Deadpool & Wolverine

Der Mensch liebt Spektakel. Sie sind eine Abwechslung vom drögen Alltag, lassen uns staunen und lachen, sie wecken das Kind in uns und bereiten uns Freude. Im Augenblick findet fast jedes Wochenende irgendwo ein Straßenfest oder ähnliches statt, und wer seine Couch nicht verlassen will, greift zur Fernbedienung und schaut sich die Eröffnung der Olympischen Spiele an. Inzwischen funktioniert aber auch das Kino immer mehr über das Spektakuläre, während die gewöhnlichen Filme unter Zuschauerschwund leiden. Ob das nur ein vorübergehendes Phänomen ist oder ein neuer Trend, der sich zur Gewohnheit verfestigen wird, wird die Zukunft zeigen.

Mit Deadpool & Wolverine ist kürzlich ein weiterer Eventfilm gestartet, der von vielen heiß ersehnt wurde und entsprechend gleich zum Start sehr gute Zahlen schrieb. Ich muss gestehen, dass mir die ersten beiden Deadpool-Filme Spaß gemacht haben, vor allem wegen der schnodderigen Dialoge und kalkulierten Respektlosigkeit, und entsprechend habe ich mich auf diesen Sommerspaß gefreut. Wir waren am Starttag dabei.

Deadpool & Wolverine

Wade Wilson, alias Deadpool (Ryan Reynolds), bewirbt sich als Avenger, wird von Happy (Jon Favreau) jedoch leider abgelehnt und hängt daraufhin seine Karriere als Superheld an den Nagel. Einige Jahre später arbeitet er als Autoverkäufer. Obwohl ihn seine Freundin verlassen hat, führt er ein zufriedenes Leben, auch weil er seine verstorbenen Freunde mittels einer Zeitreise zurückholen konnte. Doch dann eröffnet ihm ein Abteilungsleiter der TVA  namens Paradox (Matthew Macfadyen), dass seine Zeitline aufgrund des Todes ihres Ankerwesens Wolverine (Hugh Jackman) dem Untergang geweiht ist, die Behörde ihm aber einen Job in einer anderen Zeitline anbieten kann. Wade ist damit ganz und gar nicht einverstanden und will seine Freunde und die Welt retten, wofür er jedoch die Hilfe eines anderen Wolverine benötigt. Seine Wahl fällt ausgerechnet auf den am wenigsten geeigneten Kandidaten.

Es tut sich was im Marvel Cinematic Universe. Auf der Comic Con wurde bekanntgegeben, dass Kang der Eroberer Geschichte ist und stattdessen Doctor Doom als neuer Oberschurke etabliert werden soll, gespielt vom Ex-Iran Man Robert Downey Jr., der aber wohl nur mit Maske zu sehen sein wird. Gibt vermutlich zu wenige fähige Schauspieler in Hollywood. Aber grundsätzlich ist es eine gute Nachricht, die wohl schon lange feststand, denn auch Deadpool ätzt im Film heftig gegen das Multiversum und die MCU-Filme der letzten Jahre. Und wenn Joe Biden kurzfristig von seiner Position als Präsidentschaftskandidat zurücktreten und jemand anderen ranlassen kann, sollte das doch auch für Marvel-Schurken gelten.

Markenzeichen der Deadpool-Filme waren nicht nur die explizite Gewalt oder die vielen Schimpfwörter, die selbst die Figuren aus The Boys zum Erröten bringen könnten, sondern auch das Durchbrechen der Vierten Wand und die augenzwinkernde Komplizenschaft mit dem Publikum. Diesen Kunstgriff haben die knapp ein halbes Dutzend Autoren erneut aufgegriffen und setzen ihn nun geradezu inflationär ein. Meist zum Vergnügen der Zuschauer, denen die Worte häufig aus dem Mund genommen werden. Insbesondere, wenn es um Disney und das Multiversum geht. Tja, wer den Schaden hat …

Auch die Chemie zwischen Reynolds und Jackman stimmt, die beiden sind das neue Action-Dreamteam von Marvel, dem man gerne dabei zusieht, wie sie ihre Gegner verkloppen. Schon der Beginn ist furios, wenn Deadpool Logens Grab aushebt, um sich davon zu überzeugen, dass Wolverine wirklich gestorben ist, wie es in Logan: The Wolverine zu sehen war, und er sich daraufhin einen extrem brutalen, aber ästhetisch anspruchsvoll choreografierten Kampf mit der TVA liefert, der wie ein eigenständiges Musikvideo daherkommt. Tatsächlich ist diese Titelsequenz der Höhepunkt des Films.

Das bedeutet nicht, dass alles danach schlecht wäre, ganz im Gegenteil. Es gibt wunderbare Szenen, herrliche Dialoge und Cameos, bei denen das Herz jedes Marvel-Jüngers vor Freude hüpfen sollte. Insbesondere Deadpools Dialoge gehören zum Witzigsten, was seit Guardians of the Galaxy im MCU zu hören gewesen ist, und Ryan Reynnolds hat so viel Spaß an seiner Performance, dass der Funke mühelos auf den Zuschauer überspringt.

Leider ist bei all dem Spaß die Geschichte auf der Strecke geblieben. Schon der Aufhänger ist sichtlich bemüht, die Idee vom Ankerwesen total lächerlich, und die weitere Entwicklung der Story kommt nur mühsam in Gang. Der Motor des Films stottert und säuft zwischendurch mehrmals ab. Und wenn den Autoren nichts mehr einfällt, lassen sie ihre beiden Titelhelden sich einfach gegenseitig bis aufs Blut bekämpfen, da beide regenerative Fähigkeiten besitzen und umgehend heilen, spielen Verletzungen schließlich keine Rolle.

Das bedeutet aber auch, dass man um die Helden nicht mehr bangen muss. Was auch immer ihnen zustößt, man weiß, sie werden es überleben. Das killt dann leider sämtliche Spannung, die zumindest ansatzweise vorhanden ist. Das auch von Deadpool angesprochene Problem des Multiversums, durch das man beliebig viele Versionen eines toten Helden (oder Gegners) herbeischaffen kann, wirkt sich später dann ebenfalls auf das Finale aus. Auch hier gibt es grundsätzlich einige nette Ideen, aber eine viel zu schwache Umsetzung. Zugegeben, auch die Showdowns anderer Marvel-Filme hatten bisweilen etwas Formelhaftes, wenn in nahezu jedem Kampf gegen böse Außerirdische oder andere Fieslinge eine Stadt zerstört wurde, aber sie bestanden eben auch aus beeindruckenden Schauwerten, die über einen reinen Kampf hinausgingen. Dieses Finale wirkt eher wie die Sparversion eines Marvel-Showdowns und versandet in emotionsloser Beliebigkeit. Schade.

Was bleibt als Fazit in Erinnerung? Jeder Schauspieler, der jemals in der Geschichte des Films einen Marvel-Helden verkörpert hat oder den Produzent Kevin Feige auch nur für eine Rolle im Auge gehabt hat, kann sich Hoffnungen auf ein Cameo machen. Und Deadpools ständige Kommentare über Disney, Marvel und die Tatsache, dass wir alle nur einen Film schauen, sorgen dafür, dass man sich nie der Fiktion hingegeben und mit den Figuren emotional mitgehen kann, was durch ihre persönlichen Eigenschaften noch verstärkt wird. Das macht den Film vor allem auf der Metaebene unterhaltsam. Oder anders formuliert: Man hat das Gefühl, einen Film zu schauen, den der Hauptdarsteller permanent kommentiert, und dieser Kommentar ist um Längen besser als alles andere.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.