Wer glaubt, dass Hollywood erst in den letzten Jahren auf die Idee kam, späte Fortsetzungen von alten Klassikern auf den Weg zu bringen, wird heute eines Besseren belehrt: 1990 kam Texasville in die Kinos, fast zwanzig Jahre nach seinem ersten Teil, Die letzte Vorstellung, der zu den bedeutendsten Werken der US-amerikanischen Filmgeschichte gezählt wird. Ich hatte beide irgendwann in den Neunzigern gesehen, konnte mich aber nicht mehr an viel erinnern, außer dass ich den ersten Teil großartig fand, die Fortsetzung dagegen nur mittelprächtig. Als kürzlich Die letzte Vorstellung auf Kabel Eins Classics gezeigt wurde, war mir klar, dass es höchste Zeit für ein Wiedersehen wird.
Die letzte Vorstellung
Anfang der Fünfzigerjahre hat die texanische Stadt Anarene ihre besten Jahre bereits hinter sich – falls es sie denn je gab. Die Hauptstraße wirkt verwaist, Diner und Kino sind schlecht besucht, und die Jugend langweilt sich. Sonny (Timothy Bottoms) ist im letzten Highschool-Jahr und hätte gerne zum ersten Mal Sex mit seiner Freundin, was jedoch daran scheitert, dass sein bester Freund Duane (Jeff Bridges) ständig mit dem gemeinsamen Auto unterwegs ist. Nach der Trennung von seiner Freundin beginnt Sonny schließlich eine geheime Affäre mit Ruth (Cloris Leachman), der Frau seines Football-Trainers. Duane wiederum ist bis über beide Ohren in Jacy (Cybill Shepherd) verliebt, der Tochter eines neureichen Ölbarons und seiner gelangweilten Ehefrau (Ellen Burstyn). Doch anders als Duane denkt Jacy nicht an eine Ehe, sondern will möglichst viel Spaß und interessiert sich bereits für einen anderen Jungen. Mit ihrem Highschool-Abschluss und dem plötzlichen Tod von Sam (Ben Johnson), einem Vaterersatz für Sonny und Duane, endet für die Jungs jedoch mit einem Schlag ihre unbeschwerte Jugend.
Es ist nicht einfach, die Handlung von Die letzte Vorstellung zusammenzufassen, weil die Geschichte weniger von ihrem Plot lebt, sondern vor allem von den Figuren. Mit Sonny gibt es eine Art Hauptfigur, mit der man die meiste Zeit verbringt, über die man aber relativ wenig erfährt. Das Verhältnis zu seinem Vater, der nur ein einziges Mal auftaucht, ist unterkühlt, und die beiden benehmen sich wie Fremde, insofern ist seine Beziehung zu Sam von größerer Bedeutung. Der ältere Mann erzählt Sonny von seiner Jugend, von der unerfüllten Liebesbeziehung mit einer rebellischen jungen Frau und den vielen anderen Enttäuschungen, aus denen das Leben besteht.
Der Film von Peter Bogdanovich, der zusammen mit Larry McMurty das Drehbuch schrieb, das auf einem autobiografischen Roman von McMurty beruht, gilt als Schüsselwerk des New Hollywood. Wie andere Vertreter dieser Epoche setzt er den Außenseitern ein Denkmal und wirft einen kritischen und pessimistischen Blick auf die US-amerikanische Gesellschaft. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Story rund zwanzig Jahre früher spielt, als das Land nach der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg einer neuen Blütezeit entgegenging, die jedoch zu Entstehungsbeginn des Films, nach Bürgerrechtsbewegung und sexueller Revolution, bereits Geschichte war und deutlich kritischer gesehen wurde.
Von Aufbruchsstimmung ist in Anarene zumindest nichts zu spüren, sogar die lokale Sportmannschaft besteht nur aus Losern. Die geistige Enge der Kleinstadt steht dabei in einem ironischen Kontrast zur texanischen Weite der Landschaft. Rassismus und Misogynie sind allgegenwärtig und die Klassenunterschiede deutlich zu spüren. Das bekommen vor allem Habenichtse wie Sonny und Duane zu spüren, als sie sich auf Jacy einlassen, die mit beiden spielt, weil sie unendlich gelangweilt ist. Das Mädchen kommt dabei ganz nach ihrer Mutter, die selbst eine Affäre mit einem Ölfeldarbeiter unterhält und auf eine bewegte Jugend zurückblickt.
Die Frauen in diesem Film agieren selbstbewusst und nehmen sich wie selbstverständlich (jüngere) Liebhaber, sie sind sexpositiv und genauso lebenshungrig wie die Männer und damit überraschend modern. Sogar die biedere Ruth, die in einer lieblosen Ehe mit einem vermutlich homosexuellen Mann gefangen ist, bricht aus ihrer tradierten Rolle aus und blüht sichtlich auf. Zwar ist die männliche Dominanz wie ein gleichbleibendes Hintergrundrauschen immer noch deutlich spürbar, man erkennt jedoch, dass sich etwas in der filmischen Darstellung grundlegend verändert hat. Deutlich wird das vor allem, wenn Sonny und Duane mit ihren Freundinnen im Kino rummachen und dabei Der Vater der Braut anschauen, eine brave Studioproduktion mit einer idealisierten Elizabeth Taylor als Tochter aus gutem Haus.
Die letzte Vorstellung setzt ganz auf Realismus und Gesellschaftskritik. Sämtliche Ehen sind unglücklich, weil, wie Ruth einmal feststellt, die Menschen dazu erzogen wurden, bei ihren meist viel zu früh gewählten Partnern zu bleiben, anstatt persönliche Freiheit und Selbstverwirklichung zu wagen. Liebe kann es nur geben, wenn sie einem geschenkt wird, und selbst dann ist sie nicht von Dauer, sondern eine Momentaufnahme, auf die man später nostalgisch zurückblickt. Das Leben ist hart, und am Ende wartet nur der Tod. Auch der taucht immer wieder auf und verändert die jugendlichen Protagonisten für immer.
Bogdanovich erzählt eine sensible Coming-of-Age-Story und liefert gleichzeitig eine Studie über Einsamkeit ab, die ungeheuer feinsinnig und tiefschürfend ist. Die Ängste und Sehnsüchte dieser Menschen sind stets greifbar und nachvollziehbar, und selbst ihre falschen Entscheidungen, ihre Grausamkeiten und Streitigkeiten werden nicht als verwerflich verurteilt, sondern als Bestandteil des menschlichen Seins. Trotz der eher pessimistischen Grundstimmung und einer schrecklichen Tragödie in seinen letzten Minuten, die einem noch einmal die Brutalität einer gefühllosen Gesellschaft vor Augen führt und filmisch an Denn sie wissen nicht, was sie tun anknüpft, verströmt der Film doch einen gewissen trotzigen Optimismus, denn auch wenn wir vielleicht unglücklich sind, müssen wir nicht allein sein, wenn wir nur bereit sind, uns zu öffnen und anderen ihre Schwächen zu vergeben.
Übrigens, der letzte Film, den das schließende Kino in Anarene zeigt, ist Panik am roten Fluss – um den es dann morgen an dieser Stelle gehen wird.
Note: 2