Twisters

Einer meiner früheren Klassenlehrer pflegte immer zu sagen: „Der destruktive Trieb des Menschen ist größer als sein konstruktiver.“ Meistens haben wir den Spruch zu hören bekommen, wenn jemand mal wieder Blödsinn gemacht hat. Vergangenes Wochenende ist nach langer Zeit endlich wieder ein Katastrophenfilm in die Kinos gekommen, in dem wir uns an der Zerstörungswut von Mutter Natur erfreuen können, deren destruktiver Trieb mindestens genauso stark ausgeprägt ist wie ihr konstruktiver.

Bei uns hat der Streifen kaum für ein laues Lüftchen an den Kassen gesorgt, in den USA jedoch eine Menge Staub aufgewirbelt. So wie sein Vorgänger Twister, der Mitte der Neunzigerjahre zum zweiterfolgreichsten Film seines Jahres geworden war. Wobei sich die Frage stellt: Kann man wirklich von einem Sequel sprechen, wenn die einzige Gemeinsamkeit ein Messgerät namens Dorothy ist? Sicher, es sind die gleichen Produzenten und dasselbe Thema, aber streng genommen ist es doch eher ein Reboot.

Egal ob Sequel oder Reboot, der Film funktioniert vor allem in den ländlichen Bezirken der USA gut, vornehmlich in den sogenannten Fly-Over-States. Die Geschmäcker gehen inzwischen ja weit auseinander, dem Kulturkrieg sei Dank, und es stellt sich durchaus die Frage, was das mehrheitlich konservativ eingestellte Publikum an der Produktion so begeistert. Liegt es daran, dass sie in Oklahoma spielt? Dass es um ein Thema geht, das viele Menschen, insbesondere in der Tornado-Alley, stark beschäftigt? Auf der anderen Seite ist das Thema Wetter ein wenig heikel, weil die quantitative und qualitative Zunahme von Tornados und anderen Naturkatastrophen auf den Klimawandel zurückzuführen ist, den viele Republikaner gerade in den ländlichen Gebieten vehement leugnen.

Insofern war ich doppelt neugierig, als ich ins Kino ging, um mich mal wieder an hemmungsloser Zerstörung zu erfreuen.

Twisters

Als Studentin entwickelt Kate (Daisy Edgar-Jones) ein Gerät namens Dorothy, das Messdaten von Wirbelstürmen sammelt und diese mit Hilfe chemischer Zusätze auflösen soll. Bei einem Test unterschätzt Kate jedoch die Kraft eines Tornados, wodurch drei ihrer Freunde ums Leben kommen, darunter auch der Mann, den sie liebt. Fünf Jahre später arbeitet Kate als Meteorologin in New York, als einer ihrer früheren Helfer sich bei ihr meldet: Javi (Anthony Ramos) entwickelt gerade mit seiner Firma ein neues Frühwarnsystem und braucht dafür Kates unfehlbare Prognosen. Zögernd unterstützt sie ihn und macht dabei die Bekanntschaft des selbsternannten „Tornado-Wranglers“ Tyler Owens (Glen Powell), der seine spektakuläre Jagd auf Wirbelstürme auf seinem YouTube-Kanal vermarktet.

Als der Trailer herauskam, sah er zwar ganz ordentlich aus, machte aber nicht unbedingt neugierig auf das Produkt. Hat man doch alles schon gesehen! Damals im Kino und danach noch mal im Fernsehen. Dass der Trailer dann in Dauerschleife im Vorprogramm unseres Kinos lief, hat meine Begeisterung auch nicht gerade gesteigert. Doch als der Start näher rückte, hatte ich plötzlich riesige Lust, mal wieder einen etwas altmodischen Actionfilm zu sehen. Außerdem sind die Effekte besser als vor fast dreißig Jahren, da sollte doch alles ein bisschen größer und bildgewaltiger ausfallen. Auch ohne fliegende Kuh, die den Trailer zum ersten Teil signifikant geprägt hat.

Wie erwartet, beginnt der Film mit dem Trauma seiner Heldin. Kate fühlt sich schuldig am Tod ihrer Freunde, weil sie die Stärke des Sturms unterschätzt hat. Auch im ersten Teil geht es um ein Trauma, damals wurde die spätere Hauptdarstellerin Helen Hunt als Kind Zeugin, wie ihr Vater in einem Tornado sein Leben verlor. Inzwischen werden diese Trauma-Erzählungen ein wenig zu inflationär benutzt, sie funktionieren psychologisch gesehen aber ganz gut. Daisy Edgar-Jones macht ihre Sache als schuldgequälte Wissenschaftlerin gut, obwohl das Drehbuch von Mark L. Smith kein Klischee auslässt und wie ein Uhrwerk funktioniert.

Aber sollte man einem Film, der einfach nur unverschämt gut unterhalten will, wirklich seine Vorhersehbarkeit vorwerfen? Immerhin bedient das Drehbuch sehr gekonnt die üblichen Plotmuster und gibt sich Mühe bei den Charakterisierungen. So offenbaren manche Figuren, die man zuvor als gute Menschen eingeschätzt hat, ihre Schattenseite, während andere weniger oberflächlich und gewinnsüchtig daherkommen als zunächst angenommen. Das trifft vor allem auf Owens und seine Crew zu, die nicht die dumpfen Hillbillys sind als die sie eingeführt werden.

Und vielleicht liegt hier das Geheimnis, warum der Streifen so gut im ländlichen Amerika ankommt: Owens erscheint zwar als charmanter Draufgänger, der nur Unsinn im Kopf hat und beispielsweise Feuerwerksraketen in einen Tornado schießt, entpuppt sich später aber als kluger Kopf. Glen Powell spielt ihn mit solchem Spaß und Enthusiasmus, dass man selbst spontan mit ihm auf Tornadojagd gehen würde. Seine Sidekicks sorgen für den nötigen Humor, und Kate verfällt natürlich irgendwann seinem Charme.

Mit der zarten, allerdings nie über intensives Flirten hinauskommenden Beziehung zwischen den beiden, schafft es der Film sogar, die etwas weniger turbulenten Szenen auszuschmücken die bisweilen lange Wartezeit auf den nächsten Katastrophenfall zu überbrücken. Stellenweise gefällt sich die Geschichte sogar fast wie eine RomCom, eine stürmische Romanze, wenn man so will, die gegen Ende aber enttäuschend nüchtern bleibt.

Mit Owens und seiner Crew wird vor allem ein Typ Amerikaner gefeiert, der vor allem im ländlichen Raum zu finden ist: bodenständig, patriotisch und cleverer als man ihm zutraut. Zusätzlich gibt es eine Menge Countrymusik zu hören, und es wird das kleinstädtische Amerika in einer Art gefeiert, wie man sie seit Frank Capra nicht mehr zu sehen bekommen hat. Hier sind die Menschen noch echt und halten in der Not immer zusammen. Sogar das Kino als Hort der Sicherheit wird am Ende noch beschworen.

Twisters ist ein Film mit einem gewissen nostalgischem Charme, der seinem Vorgänger durchaus gerecht wird, auch wenn er nicht viel Neues zu erzählen hat und vom wissenschaftlichem Standpunkt aus betrachtet eher zweifelhafter Natur ist. Aber diese Schwächen werden wettgemacht von sympathischen Figuren, witzigen Dialogen und toll gemachten Effekten. Alles in allem eine runde Sache und ein Film, bei dem man sich wunderbar unterhalten fühlt. Das kann man heutzutage leider nur noch selten sagen.

Note: 2-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.