Mo Hayders – Die Behandlung

Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett lautet der Titel einer Komödie mit Heinz Erhardt sowie eines Hits von Bill Ramsey, der vermuten lässt, dass die Krimibegeisterung der deutschen Zuschauer schon vor sechzig Jahren groß war. Ohne Tatort gehen weite Teile der Bevölkerung auch heute am Sonntagabend nicht ins Bett, und die Fülle an Krimiserien und -reihen ist schier endlos. Von den Publikationen mal ganz zu schweigen.

Die wahren Könige des Krimis sind jedoch die Briten, die mehr bemerkenswerte Ermittler in diversen Buchreihen hervorgebracht haben als vermutlich jede andere Nation. Einer davon ist Jack Caffrey, der aus der Feder der inzwischen verstorbenen Mo Hayder stammt. Schon Der Vogelmann, der erste Fall aus der siebenbändigen Reihe, war ein Schocker, der von einem Serienmörder handelte und mit Nekrophilie, Folter und Verstümmelungen Themen anriss, die nichts für schwache Nerven sind. Gelesen habe ich nur die ersten beiden, danach aber keine mehr, obwohl ich sie gut fand. Aber bis auf wenige Ausnahmen bin ich kein großer Krimifan mehr, und Hayders Geschichten sind zudem keine leichte Kost. Vor allem Die Behandlung ist der Stoff, der einem Alpträume bereiten kann.

Dieser Film ist eine belgische Adaption des Stoffes, daher die veränderten Rollennamen, es gibt aber auch eine sechsteilige britische Miniserie, die sich der Geschichte angenommen hat und die unter dem Titel Wolf bei Magenta TV zu sehen ist.

Mo Hayders – Die Behandlung

Hauptinspektor Cafmeyer (Geert van Rampelberg) hat es mit einem besonders perfiden Verbrechen zu tun: Eine Familie wird drei Tage lang in ihrem Haus gefangen gehalten und misshandelt. Als der Täter gestört wird, verschwindet er mit dem neunjährigen Jungen, den die Polizisten später tot auffinden. Durch die Tat wird Cafmeyer an das Verschwinden seines Bruders vor zwanzig Jahren erinnert, das nie aufgeklärt wurde und bei dem ein Nachbar als Tatverdächtiger galt. Dieser Nachbar quält den Polizisten noch immer mit geheimnisvollen Andeutungen – und scheint auch mehr über den Mann zu wissen, der die Familie überfallen hat.

Die Story ist komplex, und wenn man die Romanvorlage nicht kennt, muss man schon sehr genau aufpassen, um die vielen Hinweise und Querverbindungen zu erkennen. Im Grunde sind es zwei Fälle, die im Mittelpunkt stehen, einmal das Verbrechen an der Familie und die Jagd auf den Täter, der sich bereits neue Opfer gesucht hat, um die der Zuschauer bangt. Zum anderen der ungelöste Vermisstenfall aus Cafmeyers Vergangenheit.

Dass es Verbindungen zwischen beiden Fällen gibt, erschließt sich dem Polizisten im Verlauf seiner Ermittlungen, die ihn tief in den Morast der Pädophilen-Szene führen. Die Täter kennen sich, schweigen aber, und die Hilflosigkeit, die Cafmeyer zunehmend empfindet und die durch die perfiden Methoden seines Nachbarn noch weiter verstärkt wird, schlägt zunehmend in blinde Wut um. Je tiefer der Polizist in diesen Abgrund hinabsteigt, desto mehr verliert er seine Selbstbeherrschung, seinen Sinn für Moral. Die Vergangenheit ist für Cafmeyer eine Wunde, die nie verheilt ist, weil er sie auf der Suche nach der Wahrheit immer wieder aufkratzt.

Im Roman wird dieser stetige psychische Verfall noch viel intensiver geschildert, wie überhaupt sämtliche Aspekte dieser Geschichte beim Lesen einen nachhaltigeren Eindruck hinterlassen als diese recht konventionelle Umsetzung, die an einen durchschnittlichen Fernsehthriller erinnert. Das Tempo der Inszenierung ist behäbig, und es gibt auch die eine oder andere Länge.

Der Autor Carl Joos gibt sich immerhin große Mühe, der Komplexität der Figuren und der Story des Romans gerecht zu werden. Dennoch gelingt es weder ihm noch dem Regisseur Hans Herbots, der Vorlage wirklich gerecht zu werden. Statt des Horrors, den man beim Lesen empfindet, überwiegt hier vor allem der Ekel angesichts der schrecklichen Taten. Statt der üblichen Spannung bei der Mörderjagd empfindet man eher Traurigkeit und Verzweiflung.

Die Verfilmung scheitert nicht komplett, vieles ist eindringlich inszeniert und stark erzählt, aber die Verzahnung zweier Fälle, die lediglich thematisch miteinander verbunden sind, geht leider auf Kosten der Genauigkeit. So hätte man gerne mehr über den Täter, seine Biografie und Psychologie erfahren, und auch die Geschichte des Nachbarn wird etwas zu schnell auserzählt.

Die Behandlung ist harte Kost, düster und deprimierend, mit einem grausamen Ende, das einen nahezu verstört zurücklässt, und wer ein Fan solch abgründiger Filme ist oder keinen Tatort versäumt, kommt hier (d.h. bei Prime Video) vermutlich auf seine Kosten. Allen anderen sei der Roman empfohlen.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.