The Wailing – Die Besessenen

Nicht nur das Thriller-, sondern auch das Horrorgenre ist ziemlich ausgelutscht, es gibt keine neuen Ideen mehr, nur mehr oder weniger interessante Variationen bekannter Themen. Originell ist allenfalls die Art der Inszenierung, und da hat es in den letzten zehn Jahren durchaus manche Veränderung gegeben. Horror ist salonfähig geworden, manche Filme laufen nun in Arthäusern und auf Festivals.

Auch der südkoreanische Film von Na Hong-jin wurde außer Konkurrenz in Cannes gezeigt. Weil der Trailer ganz ordentlich aussah und die Kritiken wohlwollend waren, habe ich ihn mir nun mit „nur“ achtjähriger Verspätung angesehen.

The Wailing – Die Besessenen

Jeon Jong-goo (Kwak Do-won) ist Polizeisergeant in einem kleinen, ländlichen Ort. Eines Tages wird er zum Schauplatz eines brutalen Mordes gerufen: Ein Mann hat offenbar im Wahn seine gesamte Familie abgeschlachtet. Der Gerichtsmediziner legt später nahe, dass eine Pilzvergiftung die Ursache für diesen wahnhaften Furor gewesen sein könnte, doch dann geschieht ein weiterer, ähnlicher Mord, und Jong-goo glaubt, dass viel mehr dahinter steckt. Gerüchte machen die Runde, und bald gerät ein im Wald lebender Japaner (Jun Kunimura) unter Verdacht. Als Jong-goos kleine Tochter plötzlich ähnliche Symptome zeigt wie die wahnsinnigen Mörder, weiß der Polizist, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt.

Die Geschichte beginnt wie ein klassischer Thriller mit einem rätselhaften, überaus blutigen Ereignis, von dem man allerdings nur das Endresultat zu sehen bekommt. Der Film ist, so viel für die Gore-Jünger vorweg, insgesamt eher harmlos in der Darstellung von Gewaltexzessen. Mit einer Ausnahme, aber dazu später.

Es geht klassisch weiter mit einem Ermittler, der jedoch ziemlich unsympathisch ist. Jong-goo ist launisch, betrügt seine Frau und ist auch kein guter Polizist, womit er als Held völlig untauglich ist. Obwohl es mit den Morden ein spannendes Rätsel gibt, hinter dessen Lösung, so viel ist dem Zuschauer schnell klar, etwas Übernatürliches stecken muss, versäumt es Na Hong-jin, der auch das Drehbuch geschrieben hat, den Zuschauer auf die Folter zu spannen. Stattdessen langweilt er ihn mit schleppenden, ins Nichts führenden Ermittlungen, in die sich gelegentlich verstörende Alpträume des Protagonisten oder blutige Auftritte des Japaners mischen, der schnell zum Gegenspieler avanciert.

Erst nach einer Stunde des mit 156 Minuten viel zu langen Films kommt etwas Bewegung in die tempoarme Handlung, wenn Jong-goo erstmals auf den Japaner trifft. Doch dieser ist ein überaus passiver und wortkarger Mann, der kein bisschen als Gegner taugt. Und Jong-goo schafft es zudem, alles, was er über Polizeiarbeit gelernt haben muss, zu vergessen und die Ermittlungen, die zu diesem Zeitpunkt schon fast nicht mehr existent sind, vollends zu ruinieren. Weder nimmt er den Mann fest, obwohl dieser Bilder von den Tatorten zu Hause hat, noch sichert er die Beweise, die bei seinem nächsten Besuch natürlich verschwunden sind.

Es scheint, als wüsste der Drehbuchautor Na Hong-jin nicht, in welche Richtung er seinen Film treiben will. Streng genommen ist er ein Horrorfilm, der auch mit den entsprechenden Erzählmustern spielt und von bösen Geistern und Besessenheit handelt und in dem es sogar eine Art Exorzismus durch einen arroganten Schamanen gibt. Und sobald Jong-goo den übernatürlichen Gegner akzeptiert hat, gerät die Geschichte für einige Zeit auch in sichere Bahnen. Bis ein Zombie auftaucht. Warum, lässt sich nicht sagen, und wie es dazu gekommen ist, ist auch ein wenig rätselhaft und hat etwas mit den abgehaltenen Ritualen zu tun. Jedenfalls muss Jong-goo zusammen mit seinen Helfern gegen einen Zombie kämpfen, und dies geschieht sogar relativ brutal und ist gleichzeitig unfreiwillig komisch.

Bis zum Finale bleibt es verwirrend. Ein grundlegendes Problem vieler Horrorfilme ist bekanntlich, dass sie nur so lange spannend sind, wie man nicht weiß, womit man es zu tun hat. Weil die eigene Fantasie meist schauriger ist als alles, was sich Drehbuchautoren ausdenken können. Im Ungefähren gedeihen diese Filme am besten, weshalb mit der Enthüllung des Bösewichts oder Monsters meist schlagartig Ernüchterung einsetzt. Vielleicht wollte Na Hong-jin seine Story ja im Ungefähren lassen, was erklären würde, warum er keine eindeutige Auflösung liefert, sondern gleich eine Reihe von Möglichkeiten andeutet, die sich teilweise widersprechen. So ist das Ende gleichzeitig deprimierend, enttäuschend und unbefriedigend. Schade.

Note: 4-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.