La isla mínima – Mörderland

Wann gab es eigentlich den letzten richtig spannenden Thriller im Kino? So etwas à la Das Schweigen der Lämmer, Sieben oder Die üblichen Verdächtigen? James Bond fällt ja eher in die Kategorie Action, Once upon a time … in Hollywood enthielt zwar Thriller-Elemente, war aber kein klassischer Suspense-Thriller, und die Agatha-Christie-Verfilmungen sind viel zu betulich.

Ich habe in den letzten Wochen und Monaten daher nach einigen Thrillern Ausschau gehalten und bin vor allem jenseits von Hollywood fündig geworden. Leider sind diese Titel, die gelegentlich auf Cabel Eins Classics oder Kinowelt TV laufen, allesamt schon ein paar Jahre alt. Den Anfang macht ein spanischer Film, der sogar schon zehn Jahre auf dem Buckel hat und auch bei Freevee zu sehen ist. Wie Südkorea besitzt Spanien eine sehr vielseitige und innovative Branche, die mutig neue Wege beschreitet, Experimente wagt und tatsächlich noch jedes Genre bedient. Also das genaue Gegenteil von unserer Branche.

La isla mínima – Mörderland

Zwei Polizisten werden 1980 auf den Fall zweier verschwundener Schwestern angesetzt. Juan Robles (Javier Gutiérrez) trauert dem Franco-Regime nach, für dessen Geheimpolizei er lange tätig war, und verheimlicht eine unheilbare Krankheit. Sein Kollege Pedro Suárez (Raúl Arévalo) wurde strafversetzt, weil er öffentlich in einer Zeitung einen General kritisiert hat. Als ein paar Tage später die verstümmelten Leichen der Frauen gefunden werden, stoßen die Ermittler auf eine Mauer des Schweigens und stellen fest, dass es noch weitere Opfer gibt.

Der internationale Titel des Films ist Marshland, und die Geschichte beginnt mit wunderschönen Luftaufnahmen vom Unterlauf des Guadalquivir an der südspanischen Küste. Das Marschland, durchschnitten von Straßen und Wasserläufen, sieht aus der Luft aus wie ein abstraktes Gemälde, doch auf dem Boden ist von dieser Schönheit kaum etwas zu erkennen, die Landschaft ist flach, sumpfig und öde.

Anfang der Achtzigerjahre ist dieser ländliche Bereich Andalusiens noch bitterarm und heruntergekommen, obwohl die Touristenhochburgen an der Costa del Sol nicht allzu weit entfernt sind und viele junge Menschen mit gut bezahlten Jobs locken. Auch die verschwundenen Frauen hatten sich um Arbeitsplätze in den großen Hotels beworben und waren bereit, dafür ihre Familie zu verlassen. Schnell erkennen die Ermittler, dass sich der Mörder, der seine Opfer sadistisch foltert und vergewaltigt, bevor er sie tötet, die Not dieser Menschen zunutze macht.

Die Suche nach dem Mörder kommt jedoch nur mühsam in Gang, zu sehr misstrauen die Menschen den Polizisten aus dem fernen Madrid. Auch haben die Jahre der Diktatur ihre Spuren hinterlassen und für Risse in der Gesellschaft gesorgt. Man muss sich erst neu finden und an neuen Werten orientieren. Vor allem Juan, der nicht nur Verdächtige, sondern auch wenig hilfsbereite Zeugen brutal angeht, hadert mit dem Leben in der Demokratie und nimmt die Regeln nicht so genau. Das belastet die Zusammenarbeit mit Pedro, der ein ganz anderes Arbeitsethos besitzt und möglichst schnell wieder zu seiner schwangeren Frau zurückkehren möchte.

Im Verlauf der Geschichte erfährt man einiges über die Ermittler, kommt ihnen aber dennoch nie richtig nahe, und manche Aspekte werden nur angerissen, aber nicht zu Ende erzählt. Die Beziehung zwischen den beiden entwickelt auch keinerlei Dynamik, weder im positiven noch im negativen Sinn, was bisweilen seltsam anmutet. Am meisten berührt einen das Schicksal der Frauen im Dorf, für die sich in der neuen Zeit noch nicht viel geändert hat und die immer noch unter ihren gewalttätigen Ehemännern oder Väter zu leiden haben. Erst als sie ihr Schweigen durchbrechen und wichtige, entscheidende Hinweise liefern, kommen die Polizisten mit ihrer Arbeit voran.

Das Tempo des Films ist leider recht langsam, für einen Thriller mangelt es weitgehend an Suspense, und auch der Kreis der Verdächtigen ist ziemlich überschaubar. Daraus hätte man mehr machen können. Interessant ist vor allem das Sittenbild der spanischen Gesellschaft am Beginn der neuen Demokratie, das den Hintergrund bildet. Und im letzten Drittel zieht Regisseur Alberto Rodrígez glücklicherweise das Tempo ein wenig an, so dass es wenigstens einen gelungenen Showdown gibt.

Note: 3

P.S. Übrigens gibt es mit Freies Land ein deutsches Remake, das erneut beweist, wie wenig man hierzulande eigenen Ideen vertraut und stattdessen auf vorgefertigte Stoffe setzt. Es ist ein Trauerspiel.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.