Wochenendrebellen

Dieser Beitrag schlummert schon seit einer Ewigkeit in meiner digitalen Schublade und passte irgendwie nie so richtig in mein sorgfältig konzipiertes redaktionelles Layout. Aber er passt zur EM, und weil ich die Beiträge in dieser Woche nach dem Motto „ein Pfund Gemischtes“ zusammengestellt habe, bot er sich geradezu an.

Als wir eine Einladung zum Screening dieses Films bekommen haben, wollte ich zuerst ablehnen. Fußball interessiert mich nicht die Bohne, und ich habe so viele Filme und Serien über Autismus gesehen, dass es für den Rest meines Lebens reicht. Außerdem habe ich einen Menschen mit Asperger-Autismus in der Familie und daher selbst einige Erfahrungen zu dem Thema sammeln dürfen.

Doch Mark G. hat mich schließlich überredet, dem Film eine Chance zu geben, und ich muss zugeben, dass die Ausschnitte, die wir vor anderthalb Jahren auf der Münchner Filmwoche gesehen hatten, vielversprechend aussahen. Dass der Film ein Erfolg werden würde, war, schon aufgrund der Besetzung, keine Frage. Vielleicht, dachte ich mir, gefällt er mir sogar richtig gut. Und was zu essen gab es auch.

Wochenendrebellen

Mirco (Florian David Fitz) und Fatime (Aylin Tezel) sind die Eltern des zehnjährigen Jason (Cecilio Andresen), der unter dem Asperger-Syndrom leidet. Weil er ganz genaue Vorstellungen davon hat, wie die Dinge zu laufen haben, nicht berührt werden will und streng auf Logik achtet, eckt er vor allem in der Schule häufig an. Seine Lehrerin droht bereits mit der Versetzung auf die Förderschule, was Jason vehement ablehnt, da er eines Tages Astrophysik studieren will. Weil Mirco als Außendienstmitarbeiter eines Fast Food-Konzerns viel reisen muss und wenig Zeit mit seinem Sohn verbringt, schlägt er vor, ihm bei der Suche nach einem Lieblingsfußballverein zu helfen. Dafür reisen die beiden jedes Wochenende zu einem anderen Verein.

Der Film von Marc Rothemund beruht auf einem sehr erfolgreichen Buch, das die echten Mirco und Jason geschrieben haben und in denen sie über Autismus und die Liebe zum Fußball berichten. Natürlich muss das verfilmt werden, zumindest in Deutschland, wo nicht einmal erfolgreiche Sachbücher davor gefeit sind.

Tatsächlich bietet die Geschichte einiges, was für eine Adaption spricht. Es geht um ein Vater-Sohn-Drama, die elterlichen Bemühungen, ihrem Sohn ein möglichst gutes Leben zu bieten, und um die Schwierigkeiten, die ein Kind mit Autismus in einer Welt hat, die zu wenig darüber weiß. Das alles ist gut und schön, wenn auch nicht wirklich originell. Immerhin gibt es mit der Suche nach dem „besten“ Fußballverein einen Ansatzpunkt, der die Story von den Hunderten anderen Autismusgeschichten unterscheidet.

Drehbuchautor Richard Kropf hat auch vieles richtig gemacht – manches aber auch leider falsch. Zwar behauptet Jason einmal, er sei nicht Rain Man, weil er nicht die Maiskörner auf seinem Teller zählt, aber dann wird er doch als Rain Man verkauft. Mit anderen Worten: Das Autismusklischee der Inselbegabung, das seit dem Dustin Hofmann-Hit nicht totzukriegen ist, wird erneut eifrig bemüht. Das mag vielleicht in diesem Fall tatsächlich zutreffend sein, macht die Sache aber nicht besser. Auch die Art und Weise, wie Fördereinrichtungen diskreditiert werden, ohne gleichzeitig alternative Lernmethoden zu propagieren, verleiht der Darstellung der Schule und Lehrer einen unschönen Beigeschmack.

Letzten Endes sind das jedoch Kleinigkeiten, die zwar negativ auffallen, aber für die Story nicht ausschlaggebend sind. Immerhin gibt es auch einige gelungene Szenen und pointierte Dialoge (die zwar nicht immer glaubwürdig sind, insbesondere aus dem Mund eines Zehnjährigen, aber dafür witzig), die einen für die Fehlgriffe entschädigen, und Cecilio Andresen ist in der Rolle als Jason phänomenal und spielt alle anderen an die Wand. Dennoch kann der Film in der Summe nicht überzeugen.

Wer sich nicht für Fußball interessiert, dürfte es schwerhaben, mit der Geschichte warmzuwerden, weil er einfach einen viel zu großen Raum einnimmt. Immer wieder sieht man Mirco und Jason auf dem Weg zu einem Spiel, im Stadium oder im Gespräch über die Vorzüge und Nachteile diverser Vereine. Das ist auf Dauer ermüdend. Zumal darüber hinaus nicht viel passiert und die Geschichte sehr geradlinig und vorhersehbar verläuft. Auch mag Florian David Fitz kein schlechter Schauspieler sein, aber es gelingt ihm keine Sekunde, einen begeisterten Fußballanhänger zu mimen.

Mein persönliches Fazit lautet daher: zu viel Fußball und zu wenig Humor. Weder bin ich den Figuren besonders nahe gekommen noch hat mich der Film in irgendeiner Weise emotional abgeholt. Er ist stellenweise witzig und unterhaltsam, dafür muss man aber über einige Schwachstellen hinwegblicken, von denen manche ärgerlicher sind als andere.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.