Warum der deutsche Film so ist wie er ist, warum es so viele gibt und was man (noch) besser machen könnte
Gemeines Gedankenspiel zum Jahresbeginn
Bevor es im folgenden Text allzu negativ losgeht, soll erst einmal das Gute an unserer Filmlandschaft hervorgehoben werden. Und dabei handelt es sich um diejenigen, die die Filme machen. All die – dank der hohen Qualität der hiesigen Filmhochschulen – gut ausgebildeten, vor allem aber kreativen Regisseure, Drehbuchautoren, Kamerafrauen und -männer sowie die Mitglieder der anderen Gewerke, die an dem Gesamtkunstwerk Film beteiligt sind. So beweist nicht zuletzt die große Nachfrage von ausländischen Produzenten nach Filmdienstleistungen Made in Germany, dass auch international sehr bewusst und gerne auf deutsches Knowhow zurückgegriffen wird.
Warum der deutsche Film so ist wie er ist
Aber warum ist es um den deutschen Film in den heimischen Kinos so schlecht bestellt? Warum werden jedes Jahr so viele Filme produziert, die aber – von wenigen Ausnahmen abgesehen – niemand gucken will? In 2012 sind laut FFA-Statistik 220 deutsche Spiel- und Dokumentarfilme neu in unsere Kinos gekommen, das sind mehr als vier pro Woche. Doch wo soll das Publikum für all diese Werke herkommen, wenn man bedenkt, dass der Deutsche im Durchschnitt noch nicht einmal zwei Mal pro Jahr ins Kino geht? Bei 24 Millionen Besuchern von deutschen Filmen in 2012 entfallen also im Schnitt gerade einmal knapp 110.000 Besucher auf jeden Film. Wenn man sich dann vor Augen führt, dass es in 2012 noch erfolgreiche Hits wie „Türkisch für Anfänger“ mit mehr als 2,4 Millionen Besuchern gab, wird schnell klar, dass für den Rest nicht mehr viele Zuschauer übrig bleiben.
Warum aber werden alle diese Filme produziert, wenn dafür kein ausreichend großen Markt zu existieren scheint? Die Antwort ist einfach: Weil es die deutsche Filmförderung in all ihren regionalen und bundesweiten Ausprägungen gibt. Hier wird fleißig gefördert, werden Steuergelder scheinbar wahllos verteilt an jeden, der mit einem halbwegs annehmbaren Skript oder auch nur einer Idee dazu vorstellig wird. Und hat man als Regisseur einmal in seiner Karriere einen erfolgreichen oder künstlerisch wertvollen Film abgeliefert, scheint man für all die nächsten Projekte eine Art Blankoscheck zu besitzen und die Gelder sprudeln mehr oder weniger automatisch.
Und zum Glück für die Förderer gibt es jedes Jahr die zwar wenigen, dafür aber erfolgreichen Filme. In 2013 zählen dazu beispielsweise „Fack Ju Göhte“, „Kokowääh 2“, „Der Medicus“ oder auch „Feuchtgebiete“. Sie gelten allen staatlichen Unterstützern – denn sie wurden jeweils von fast allen größeren Länder- und Bundesförderungen unterstützt – als Legitimation ihrer Arbeit. Äußerst pressewirksam lassen sich die Übergaben überdimensionaler Schecks von den Filmemachern zurück an die Förderinstitutionen inszenieren. Wobei das Geld nicht wirklich an die Förderer zurückfließt, sondern vom Produzenten des jeweiligen Hits zur Herstellung eines neuen Films abgerufen werden kann. Es verbleibt also im Förderkreislauf. Doch wo steht geschrieben, dass jemand, der einmal einen erfolgreichen Film gemacht hat, diese Leistung mit dem nächsten wiederholen kann?
Aber da fast alle großen regionalen Förderungen sowie die FFA und der DFFF an diesen Erfolgsstreifen von Schweiger, Schweighöfer & Kollegen beteiligt sind, kann man sich auch noch prima gegenseitig auf die Schultern klopfen, was man doch wieder für erfolgreiche Arbeit geleistet habe. Doch über das viele Geld, das nicht zurückgeflossen ist, weil es in Filme investiert wurde, die fast niemand im Kino sehen wollte und die auch nicht zu Festivals eingeladen wurden, über diese letztlich verlorenen oder zumindest schlecht investierten Euro wird sehr gerne der Mantel des Schweigens gehüllt.
Warum es so viele deutsche Filme gibt
Dies alles erklärt jedoch nur im Ansatz die schiere Masse von deutschen Produktionen, die Jahr für Jahr in unsere Kinos kommen. Denn mit der Schaffung des DFFF ist nicht nur noch eine weitere Förderinstitution neu hinzugekommen, es gelten auch veränderte Regeln: DFFF-geförderte Filme müssen später in den Kinos mit einer bestimmten Mindestkopienanzahl ausgewertet werden. Dies ist vertraglich von Anfang an vereinbart und die Kopienzahl ist festgeschrieben. Sollte eine entsprechende Kinoauswertung nicht stattfinden, droht dem Produzenten die Rückzahlung der Fördergelder.
Und diese Kinoauswertung findet völlig unabhängig davon statt, ob die fertigen Filme es überhaupt wert sind, ins Kino gebracht zu werden. So hat sich um diese Regelung herum, die mittlerweile auch andere Förderer verfolgen, eine neue Industrie etabliert: Es gibt Verleihe, die sich darauf spezialisiert haben, all diese zahlreichen kleinen Filme herauszubringen. Denn für die Herausbringung winken noch einmal Gelder in Form von Verleihförderung. So wird einem absehbar erfolglosen Produkt noch weiteres Geld sinnlos hinterhergeschmissen. Und dies alles nur, weil die Förderer sich nicht eingestehen wollen, dass mit ihren Produktionsgeldern in großen Mengen Filme hergestellt wurden, für die es gar kein Kinopublikum gibt. Was auf Seiten der Förderer wiederum mit dem Argument begründet, oder besser: verschleiert wird, all diese Werke seien vielleicht nicht kommerziell erfolgreich, dafür aber künstlerisch äußerst wertvoll. Nur werden sie aber meistens trotzdem zu keinem Festival eingeladen. Und so kommt schließlich die Zahl von 220 deutschen Filmen zustande, von denen über 70% noch nicht einmal 10.000 Zuschauer in die Lichtspieltheater der Republik locken konnten.
Was man besser machen könnte
Es steht außer Frage, dass es vermutlich ohne die diversen staatlichen Förderinstitutionen den deutschen Film nicht geben würde. Dies wäre schade, denn das bewegte Bild ist nicht zuletzt die im Wortsinne nach außen strahlende Visitenkarte eines Landes, die ein Abbild unserer Kultur und unseres Selbstverständnisses in die Welt trägt. Vom Film als Wirtschaftsfaktor ganz zu schweigen. Trotzdem liegt beim derzeitigen System der Filmförderung an einigen Stellen etwas gehörig im Argen.
Zum einen funktioniert die Projektauswahl nicht. Was wiederum nicht verwundert, sitzen dort doch Menschen in Gremien, die vielleicht noch den langsam verstummenden Stimmen von Godard, Antonioni oder Fassbinder lauschen, aber nur selten dem Ruf des Zeitgeistes. Besetzt nach einem politischen, gesellschaftlichen und brancheninternen Verteilungsschlüssel wird dort im vermeintlichen Konsens alles für förderungswürdig erklärt, was sich nur irgendwie rechtfertigen lässt (und sei es durch den künstlerischen Wert eines Projekts). Und wenn bei den Länderförderungen der Regionaleffekt stimmt, also bei der Produktion viel Geld dort wieder ausgegeben wird, woher die Fördergelder stammen, ist der Rest beinahe egal. So ist nicht Qualität der Maßstab für die Geldausschüttung, sondern der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die beteiligten Entscheider einigen können. Dann wird auch lieber ein Film mehr als einer weniger gefördert, schließlich will man niemanden vor den Kopf stoßen. Und ob es darüber hinaus wirklich sinnvoll ist, den kalkulierbaren Erfolgsprojekten von Schweiger, Schweighöfer & Co. noch staatliche Fördergelder hinterherzuwerfen, darf ebenfalls in Frage gestellt werden.
Riskiert man dann noch einen Blick auf die personellen Neubesetzungen bei einigen Filmförderungen der letzten Zeit, bekommt man eine Ahnung davon, wie das System funktioniert: Das Personal rekrutiert sich aus sich selbst, es wird nach Proporz besetzt und die Pöstchen werden untereinander hin- und hergeschoben. Viel abgestandener Mief, wenig frischer Wind und auch Sachverstand ist nicht unbedingt nötig, wenn man nur die richtigen Kontakte hat.
Gefragt wären in diesen Jobs aber echte und vor allem auch durchsetzungsstarke Profis: Dramaturgen, die idealerweise auch noch in der Lage sind, das spätere Auswertungspotenzial eines Projekts im Voraus wenigstens grob einschätzen zu können. Die also zugleich noch selbst über Erfahrung im Filmmarketing verfügen oder sich alternativ noch solch einen Marketing- und Filmprofi für das Fällen der Förderentscheidungen beratend dazu holen. Und es ist nicht damit getan, eine Filmidee nur abzunicken und das Geld zu überweisen. Vielmehr muss es die Aufgabe dieser Förderer neuen Stils sein, ein Projekt zusammen mit dem Autor, Regisseur oder Produzenten im stetigen Dialog weiterzuentwickeln, gemeinsam daran zu arbeiten, um es fortlaufend bis zum Produktionsstart zu optimieren. Dabei sollte es durchaus möglich sein, dass die Filmemacher in dieser Zeit der gemeinsamen Projektentwicklung Geld von den Förderern erhalten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Wichtig wäre aber in jedem Fall, dass die Förderer immer das letzte Wort haben, die Vorgaben machen und Projekte auch im Laufe der Entwicklung einstellen können, wenn sich das erhoffte Potenzial gemeinsam wider Erwarten doch nicht erschließen lässt.
Darüber hinaus wäre es sinnvoll, schon so früh wie möglich ein Projekt entweder als künstlerisch oder als kommerziell einzuordnen. Bei ersterem stünde eine erfolgreiche Kinoauswertung nicht ganz so im Vordergrund, die Energien und das Geld sollten eher in eine möglichst aussichtsreiche Festivalplatzierung gesteckt werden. Bei den kommerziellen Projekten sollten dafür die Fördergelder aufgestockt und in eine smarte Marketingkampagne zum Kinostart investiert werden. Mit dieser eindeutigen Klassifizierung würde man auch mit der in der Realität schon lange nicht mehr zutreffenden Vorstellung aufräumen, die Filmförderungen würden sich bei ihren Entscheidungen allein an rein künstlerischen Maßstäben orientieren.
Die zweite Stellschraube, um der deutschen Filmflut Herr zu werden, liegt im Bereich der Verleihförderung und der damit verbundenen Verpflichtung, einen Film, bevor überhaupt die erste Klappe gefallen ist, später mit einer gewissen Kopienanzahl in die Kinos zu bringen. Warum wird das Werk nach seiner Fertigstellung nicht den Förderern vorgeführt, um dann zu entscheiden, ob es wirklich eine gute Idee ist, es auf ein Kinopublikum loszulassen? Auch bei diesem Screening wäre es sinnvoll, noch einige unabhängige Experten mit in den Saal zu setzen, die die Kino- oder auch Festivalqualität des Films ebenfalls beurteilen. Sollte dieses Gremium zu dem Ergebnis kommen, das Werk besser nicht auf die eine oder andere Weise auszuwerten, sollten die Förderer auch dazu stehen und nicht noch mehr Geld in Form von Verleihförderung in das Projekt versenken. In diesem Fall des Versagens weiterer Unterstützung steht es dem Filmemacher natürlich frei, seine Arbeit auf eigene Faust auszuwerten und sich einen Verleih oder Vertrieb zu suchen.
Aus beiden Punkten resultiert, dass die Zahl der geförderten Filme durch eine strengere, vor allem aber fundiertere Vorauswahl und eine daran anschließende Qualitätskontrolle des fertigen Werks verringert wird. Diesem Weniger an Filmen stünde dafür ein Mehr an Geld zur Verfügung, um diese Filme mit einem entsprechenden Marketingbudget auszustatten oder sie den Entscheidern der bedeutenden Festivals schmackhaft zu machen.
Letztlich läuft aber alles darauf hinaus, dass sich die deutschen Förderinstitutionen wandeln müssen. Weg vom reinen Scheckaussteller, der keinem Bittsteller wehtun möchte und darum nach dem Gießkannenprinzip Geld regnen lässt. Hin zu einem echten Partner der Kreativen, der mehr tut als nur das Portemonnaie zu öffnen, sondern der den Filmemachern beratend und durchaus auch kritisch zur Seite steht, um nicht nur gemeinsam sondern vor allem gemeinschaftlich ein möglichst qualitativ und künstlerisch hochwertiges Produkt zu erschaffen. Es entstünde in der Folge ein Output an Filmen, auf den alle Beteiligten zu Recht stolz sein könnten. Und es wäre nicht mehr nötig, die wenigen kommerziell erfolgreichen Filme zu feiern und die weitaus größere Zahl der Misserfolge zu verschweigen. Es ist also an der Zeit, die diversen deutschen Förderinstitutionen stärker zu professionalisieren und sie damit auch qualitativ auf eine neue Stufe zu heben.
Insofern sollte das Ende Januar anstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht als über dem deutschen Film schwebendes Damoklesschwert betrachtet werden, sondern als Chance, um verkrustete Strukturen aufzubrechen, auch wenn es sich alle Beteiligten in ihnen derzeit so gemütlich gemacht haben. Denn wenn irgendwann einmal die großen deutschen Erfolgsfilme ausbleiben, sehen die jetzt noch so stolzen Förderer von einem Jahr aufs nächste ganz schön alt aus und haben dann vielleicht wirklich ein Problem, ihre Existenz gegenüber der geldgebenden Politik zu rechtfertigen.
Wie anfangs erwähnt, das Talent in Deutschland ist vorhanden, es sollte bloß richtig kanalisiert und zielgerichtet gefördert werden. Denn mit der großen Anzahl an Kino- und Festivalflops kann wohl niemand zufrieden sein, weder die Macher, noch die Verwerter und erst recht nicht die Förderer, die derzeit dieses Vergnügen für zu wenige mit dem Geld von uns allen finanzieren.