The Outfit

Ein weiterer Film, der demnächst bei einem Streamer, in diesem Fall Prime Video, verschwinden wird, ist The Outfit, bei dem ich wie bei 65 lange Zeit hin- und hergerissen war, ob ich ihn mir anschauen soll oder nicht. Einerseits klingt die Story dieses Gangsterthrillers spannend genug, um meine Neugier zu wecken, andererseits sah der Trailer doch recht tempoarm aus. Die für heutige Verhältnisse relativ kurze Laufzeit von ca. 100 Minuten sowie die interessante Besetzung haben dann schließlich den Ausschlag gegeben.

The Outfit

1956: Leonard Burling (Mark Rylance) ist ein britischer Maßschneider, der seit seiner Emigration aus England Anzüge für die wohlhabenden Männer Chicagos anfertigt. Darunter befindet sich auch der Mafiaboss Roy Boyle (Simon Russell Beale), der Burling unter seine Fittiche genommen hat. Über einen im Hinterzimmer versteckten Briefkasten kommunizieren Boyle und seine Leute miteinander. Eines Tages erhalten sie eine Nachricht des überregionalen Syndikats The Outfit, das sie aufnehmen will, wenn sie zuvor eine verfeindete Mafiafamilie ausschalten. Doch die Konfrontation geht schief, und Roys Sohn Richie (Dylan O’Brien) taucht eines Abends schwer verletzt in Burlings Geschäft auf, in der Tasche eine Tonbandaufzeichnung des FBI, die die Existenz eines Verräters innerhalb der Organisation offenbart.

The Outfit existiert wirklich, ist aber nicht, wie die Autoren behaupten, ein Syndikat sämtlicher großer Mafiafamilie Amerikas, sondern als eine vor allem auf den Mittleren beschränkte Organisation. Diese Überhöhung der Gruppierung, die hier beinahe so mythisch anmutet wie ihr Pendant in den John Wick-Filmen, ist symptomatisch für eine Geschichte, die ebenfalls ihrem soliden und durchaus spannenden Gerüst nicht so recht zu trauen scheint und mit überraschenden Volten im Finale ein wenig über die Stränge schlägt.

Die gesamte Geschichte spielt innerhalb weniger Tage im Winter, zumeist in den späten Abendstunden, wenn es draußen bereits dunkel ist. Auch Burlings Geschäft ist in dunklen Braun- und Grautönen gehalten und erinnert mit seiner Holzvertäfelung und den gepolsterten Clubsesseln eher an einen Herrenclub in London. Dort hat Burling lange Zeit gelernt und seine Ausbildung zum Maßschneider an der berühmten Savile Row gemacht.

Burling betont immer wieder, dass er kein einfacher Schneider, sondern Maßschneider sei, im Original Cutter, was zwar weniger prestigeträchtig klingt, dafür aber weitere Assoziationen weckt. Was von Regisseur Graham Moore, der zusammen mit Jonathan McClain auch das Drehbuch schrieb, durchaus beabsichtigt ist. Denn hinter Burling steckt nicht nur ein einfacher Maßschneider, wie man als Zuschauer schon bald feststellt. Doch bis er all seine Geheimnisse offenbart hat, vergeht ein ganzer Film.

Der Anfang ist, man kann es nicht anders sagen, zäh. Verdammt zäh. Weder Burling noch seine Mitarbeiterin Mable (Zoey Deutch), die sich um Buchhaltung und Terminvergaben kümmert, sind übermäßig sympathisch oder redselig. Burling lebt für sein Handwerk und erzählt im Off von den verschiedenen Schritten zur Herstellung eines Anzugs, und Mable träumt von Reisen durch Europa, das ihr Chef nach einem schweren persönlichen Schicksalsschlag verlassen hat.

Erst das Auftauchen des angeschossenen Richies sorgt für die notwendige Abwechslung im eintönigen Handlungsverlauf, und auch wenn Moore das Tempo danach nicht merklich anzieht, kommt doch langsam Spannung auf. Mit Richie erscheint noch sein größter Rivale in der Organisation, Francis (Johnny Flynn), der ebenfalls um die Gunst des Bosses buhlt, und als plötzlich das wertvolle Tonband verschwindet und Burling die beiden Gangster gegeneinander aufhetzt, geraten die Dinge schnell außer Kontrolle.

Die Geschichte ist wendungsreicher als ein Tarantino-Thriller, wartet vor allem gegen Ende mit einigen Überraschungen auf und kulminiert sogar in einem packenden Zweikampf. Das alles ist nicht schlecht gemacht, funktioniert aber nur bedingt. Manche Wendungen sind ebenso fragwürdig wie Burlings Motive, die glaubwürdiger wären, hätte Moore sich mehr Mühe mit seinen Figuren gegeben. Alles in allem ist es jedoch ein intensives Kammerspiel, das auf seine Weise genauso blutig und gewalttätig ist wie ein klassisches Gangsterdrama.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.