In letzter Zeit hadere ich ein wenig mit Netflix, dessen Angebot zwar reichhaltig ist, aber immer seltener qualitativ überzeugen kann. Selbst vollmundig angekündigte und teilweise teuer produzierte Serien wie 3 Body Problem, Bodkin oder Dead Boys Detectives blieben hinter den Erwartungen zurück, und die eigenproduzierten Filme sind meist von so miserabler Qualität, dass schon ein Blick auf ihren IMDb-Wert oder ihre Inhaltsangabe genügt, um dankend abzuwinken.
Gelegentlich gibt es aber Filme, die man sich anschauen kann. Vor ein paar Jahren habe ich Murder Mystery mit Adam Sandler und Jennifer Aniston gesehen und mich dabei ganz gut amüsiert, weshalb ich auch der Fortsetzung eine Chance gegeben habe. Leider. Denn der Film ist eine Katastrophe, so schlecht, dass man sich nicht einmal über ihn ärgern kann. Alle Figuren, die im Original noch halbwegs charmant waren, sind zu Karikaturen ihrer selbst verkommen, die weder auf psychologischer noch emotionaler Ebene funktionieren. Die Story ist platt, einfallslos und alles andere als witzig. Deshalb gibt es an dieser Stelle nur eine Warnung vor dem Film, aber keine Besprechung.
Grundsätzlich fährt man besser mit der eingekauften Ware, und um meine ziemlich lange Watchlist etwas zu verkürzen, habe ich mir diesen Thriller angesehen, der eine tolle Besetzung und sogar einen guten IMDb-Wert hat.
The Devil All The Time
Willard (Bill Skarsgård) kehrt aus dem Zweiten Weltkrieg zurück und lernt auf der Durchreise in Meade, Ohio die Kellnerin Charlotte (Haley Bennett) kennen, in die er sich sofort verliebt. Zur gleichen Zeit trifft Charlottes Kollegin Sandy (Riley Keough) auf den Amateurfotografen Carl (Jason Clarke), den sie einige Zeit später heiratet.
In seinem Heimatdorf Coal Creek in West Virginia kann Willard Charlotte nicht vergessen, obwohl seine Mutter Emma (Kristin Griffith) ihn mit der naiven Helen (Mia Wasikowska) verkuppeln will, die beide zu einer streng religiösen Gemeinde gehören. Doch Willard zieht es zurück nach Meade, und Helen heiratet daraufhin den reisenden Prediger Roy (Harry Melling).
Zehn Jahre später erkrankt Charlotte an Krebs, und Willard errichtet im Wald einen Altar, um für ihre Genesung zu beten. Er zwingt auch ihren kleinen Sohn Arvin zu stundenlangen Gebeten und opfert schließlich dessen Hund. Doch Charlotte stirbt, und Willard begeht daraufhin Selbstmord. Zur selben Zeit bringt Helen ihre Tochter Lenora zu Emma, um einen Ausflug mit Roy zu unternehmen. Doch dieser tötet sie im religiösen Wahn, um selbst kurz darauf Carl und Sandy in die Hände zu fallen, die als Serienmörder junge Männer umbringen. Die Waisenkinder werden daraufhin von Emma aufgezogen, doch als Arvin (Tom Holland) und Lenora (Eliza Scanlen) erwachsen sind, werden auch sie in den Strudel aus Gewalt gerissen, der schon ihre Eltern zerstört hat.
Der Roman, der auf Deutsch Das Handwerk des Teufels heißt und der Verfilmung zugrunde liegt, war vor gut zehn Jahren ein preisgekrönter Bestseller. Mit seiner düsteren Atmosphäre und seinen expliziten Gewaltdarstellungen wurde dieser Country Noir-Thriller häufig mit den Werken von James Ellroy verglichen. Ohne das Buch selbst gelesen zu haben, gehe ich davon aus, dass es sich viel Zeit nimmt, die zahlreichen, unterschiedlichen Figuren darzustellen und die verwickelten Handlungsstränge zu entwirren. Leider hat die Adaption diese Zeit nicht, und das ist das größte Problem.
Die Handlung wiederzugeben, ist schwierig, weil es eine Vielzahl von Storylines gibt, die miteinander verflochten sind, was in der Struktur mitunter an einen Episodenfilm erinnert. Hinzukommen mehrere Zeitebenen und Rückblenden, die bis in den Zweiten Weltkrieg reichen und Willards Trauma beleuchten. Leider wirkt das Ganze recht unstrukturiert, Figuren tauchen auf und verschwinden sofort wieder, Rückblenden werden zu einem Zeitpunkt eingeführt, an dem die Episode, auf die sie sich beziehen, bereits zu Ende erzählt ist, und im letzten Drittel wird mit Sheriff Bodecker (Sebastian Stan) noch eine Figur, die zuvor bestenfalls eine Statistenrolle hatte, zum Handlungsträger aufgewertet. Immer neue Erzählstränge werden aus dem Hut gezaubert und mit den anderen verwoben, aber nie so vertieft, dass man ein besseres Verständnis für die Figuren entwickeln würde oder von dem Gezeigten fasziniert wäre. Die Folge sind Längen und – Langeweile.
Thematisch geht es um Religion und Gewalt, die teilweise Hand in Hand gehen. Man kann die Figuren unterteilen in Gewalttäter und Opfer, wobei die Grenzen mitunter fließend sind, und trotz einer sehr breit angelegten Figurenriege gibt es nicht einen sympathischen Charakter. Arvin kommt einer Hauptfigur noch am nächsten, weil er mit den meisten anderen Figuren in einer Beziehung steht und man über ihn mehr erfährt als über alle anderen. Leider kommt man den Figuren nicht so nahe, dass man ihren extremen Verhaltensweisen und Wahnvorstellungen, die im Roman sicherlich besser vorbereitet und detaillierter behandelt werden, nachvollziehen könnte. So wirkt manches einfach nur behauptet.
Vermutlich deshalb haben sich die Autoren Antonio Campos, der auch Regie geführt hat, und sein Bruder Paulo Campos dafür entschieden, einen Off-Kommentator einzuführen, der im Original vom Romanautor Donald Ray Pollock gesprochen wird. Er gibt Hinweise auf die Psychologie der Figuren, ihre Motive und Überzeugungen, er gibt auch wichtige Informationen über ihre Backstory, durch die man die Figuren besser versteht. Nun ist ein Off-Kommentar immer auch eine Krücke, die ein gut geschriebenes Drehbuch nicht nötig haben sollte, in diesem Fall ist er unverzichtbar, um sich in der Geschichte zurechtzufinden und den Figuren nahezukommen.
Sympathisch ist von ihnen, wie bereits gesagt, keiner, lediglich Arvin scheint trotz seiner traumatischen Kindheitserlebnisse emotional stabil und vernünftig zu sein, verfolgt aber eine rücksichtslose Rachephilosophie, die ihn am Ende auf eine Katastrophe zusteuern lässt. Er ist der einzige Täter, der tatsächlich Reue empfindet und Gewalt verurteilt, aber er ist nicht in der Lage, ihren Ursprung zu hinterfragen oder anerzogene Verhaltensweisen zu ändern. Eine wie auch immer geartete Wandlung bleibt daher aus.
Das Bild des ländlichen Amerikas, das Pollock und die Campos-Brüder zeichnen, ist ein grausames und düsteres. Gewalt und Religion scheinen alles zu sein, was die Gesellschaft zusammenhält und gleichzeitig von innen heraus zu zersetzen scheint. Überall lauern Monster, die Teufel, vor denen die Prediger warnen. Doch gerade diese sind die schlimmsten Übeltäter, sei es Roy, der dem Wahn verfällt, Tote erwecken zu können, und darüber zum Mörder wird, oder der sinistre Prediger Teargardin (Robert Pattison), der junge Mädchen verführt und dann als Huren brandmarkt. Sogar der Serienkiller Carl übt auf seine Weise eine pervertierte Form der Religion aus.
Die Kritik richtet sich vor allem gegen den fanatischen evangelikalen Protestantismus des Bible Belts, deren Vertreter häufig als christliche Taliban bezeichnet werden. Tatsächlich sind es aber in erster Linie die weißen Männer, die hier ihre Macht- und Gewaltfantasien ausleben und die Religion als dürftiges Feigenblatt benutzen. Die Frauen im Film haben lediglich ihre Rollen als Opfer zu akzeptieren, sogar Sandy, die gemeinsam mit Carl mordet und zumindest anfangs eine Art Vergnügen dabei empfindet, ist nur ein Spielball des Teufels, den sie geheiratet hat. Auch das macht den Film nicht gerade sehenswert.
Trotz einer starken Besetzung und einiger guter schauspielerischer Leistungen, kann der Film insgesamt nicht überzeugen. Die Story wirkt stellenweise wie mit der heißen Nadel gestrickt, Entwicklungen vollziehen sich zu sprunghaft, charakterliche Veränderungen kommen aus dem Nichts, und das alles trägt dazu bei, dass man förmlich durch die Handlung gehetzt wird und sich erstaunlicherweise gleichzeitig langweilt. Zusammengehalten wird das Ganze von einem Off-Kommentar und einer Reihe außerordentlicher Zufälle. Für einen spannenden Thriller ist das leider viel zu wenig.
Note: 4+