Am 24. April ist Shirley MacLaine 90 geworden, insofern kommt dieser Beitrag leider ein wenig zu spät. Natürlich habe ich diesen Klassiker der Filmgeschichte früher schon mal gesehen, gehört Billy Wilder doch zu meinen liebsten Regisseuren, nur bin ich nie so richtig warm mit dem Film geworden. Vielleicht weil er eine wunderbare Grundidee für eine flotte Komödie besitzt, dann aber ein Drama erzählt, das viele satirische Züge aufweist – ein Genremix, der den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle stürzt.
Inzwischen sind große Teile der Filmgeschichte für den Durchschnittszuschauer verloren, vor allem die Stummfilmära, aber im Grunde auch alle alten Schwarzweißfilme, auf die sich niemand mehr einlassen möchte. Nur einige Klassiker werden weiterhin „geduldet“ und tauchen sogar bei den Streamern auf. So habe ich Das Appartement (das im Film immer französisch und nicht amerikanisch ausgesprochen wird) bei Prime Video entdeckt.
Das Appartement
C. C. Baxter (Jack Lemmon) ist ein kleiner Angestellter in einer New Yorker Versicherungsgesellschaft, der einigen Vorgesetzten regelmäßig den Schlüssel zu seinem Appartement für ihre außerehelichen Stelldicheins überlässt. Im Gegenzug wird ihm eine Beförderung in Aussicht gestellt. Als er die neue Stelle antreten soll, enthüllt der Personalchef Sheldrake (Fred MacMurray) jedoch, dass er von diesem Arrangement weiß – und Baxter den Job nur gibt, wenn auch er die Wohnung nutzen darf. Notgedrungen lässt sich Baxter darauf ein, nur um zu erleben, dass Sheldrake eine Affäre mit der Fahrstuhlführerin Fran (Shirley MacLaine) hat, auf die er selbst ein Auge geworfen hat.
Baxter erklärt irgendwann selbst, wie er in diese Situation geraten ist: Ein Kollege, der mit seiner Frau ins Theater gehen wollte, bat ihn eines Tages, seine Wohnung nutzen zu dürfen, um sich dort umzuziehen. Aus diesem unschuldigen Freundschaftsdienst wurde dann ein moralisch fragwürdiges Konstrukt aus Gefälligkeiten und Abhängigkeiten. Dass man Baxter nicht als Karrieristen, der die Untreue seiner Bosse ausnutzt, um eine Beförderung zu erhalten, sondern sogar als Opfer der Umstände sieht, liegt an Wilders großartigem Drehbuch, das er zusammen mit seinem langjährigen Partner in Crime I.A.L. Diamond schrieb, und Lemmons nuancierter Performance. Baxter ist ein schwacher und großmütiger Charakter, der fast nie zu jemandem Nein sagen kann und von seinen skrupellosen Vorgesetzten massiv unter Druck gesetzt wird. Eine Weigerung hätte seinen Jobverlust zur Folge, also lässt Baxter sich einiges gefallen, macht unbezahlte Überstunden, damit andere sich in seiner Wohnung amüsieren können, und räumt auch schon mal mitten in der Nacht sein Bett.
Genial ist auch Wilders Inszenierung der Büroszenen, die aus der Versicherungsgesellschaft einen wimmelnden Bienenstock machen. Das Großraumbüro erscheint nahezu unendlich – dank perspektivisch verkleinerter Kulissen und kleinwüchsiger Komparsen in den letzten Reihen – und die Menschen darin sind unbedeutende Rädchen im Getriebe, während die Männer, die das Sagen haben, in geräumigen Büros sitzen, bei denen die Anzahl der Fenster ihren hierarchischen Rang bestimmt. Baxter lebt den amerikanischen Traum, mit harter Arbeit nach oben zu kommen – nimmt aber gerne diese kleine Abkürzung, die ihm von dem Männerclub angeboten wird.
Baxter ist ein devoter Angestellter, ein gutmütiger Kerl, der sich von seinen Bossen rumschubsen lässt, ein Karrierist, der sich seine Dienste gut bezahlen lässt, aber – und das macht ihn zum sympathischen Helden – er ist auch ein Mann mit moralischen Grundwerten. Jahrzehnte vor #MeToo zeichnet Wilder ein treffsicheres Bild vom weißen, männlichen Prädator, der unter dem Deckmäntelchen des ehrenwerten Geschäftsmanns seine innere Drecksau auslebt. So sieht man einen Vorgesetzten, der Fran im Fahrstuhl sexuell belästigt, und jede Sekretärin, Telefonistin oder weitere weibliche Bürokraft ist praktisch Freiwild für die Führungskräfte. Nur Baxter ist ein Gentleman, der als einziger im Fahrstuhl den Hut abnimmt, wie Fran wohlwollend bemerkt. Und es dürfte vermutlich auch kein Zufall sein, dass der einzige Schwarze des Films ein Schuhputzer ist, der von den weißen Bossen wie ein „Boy“ behandelt wird.
Während sich die ungefähr zeitgleich entstandenen Doris-Day-Komödien vor allem am spielerischen Machtkampf der Geschlechter abarbeiten, die Screwball Comedies der Vergangenheit zitieren, aber in ein deutlich konservatives Narrativ überführen, in dem eine Frau zwar Karriere machen darf, aber nur so lange, bis sie den richtigen Mann gefunden hat, der sie zur glücklichen Ehefrau und Mutter macht, hält Wilder der Gesellschaft den Spiegel vor. Die amerikanische Führungsschicht ist moralisch verkommen, beutet Frauen und alle unter ihr Stehende aus und amüsiert sich dabei königlich. Selbst wenn ihre Verfehlungen öffentlich werden und ihre Ehen gefährden, machen sie munter weiter, weil ihnen schließlich nichts passieren kann.
Wilder kritisiert aber auch die Untergebenen, die sich dieses Benehmen gefallen lassen, die duckmäuserisch das moralische Fehlverhalten unterstützen und ihre eigenen Vorteile daraus ziehen. Nur gelegentlich kommt es zu einem moralischen Erwachen bei einzelnen Beteiligten, und sie haben alle einen Preis dafür zu zahlen. Man muss sich in dieser Welt entscheiden: Entweder man macht das böse Spiel mit oder handelt nach seinen moralischen Prinzipien und widersetzt sich, was zwangsläufig zu einer Vertreibung aus dem vermeintlichen kapitalistischen Paradies führt. Aber immerhin ist dies Amerika, da kann man immer neu anfangen.
Wilder erzählt zwar viel über Baxter und sein Dilemma, vergisst darüber aber auch nicht die Frauen. Fran macht den Fehler, dass sie sich von Sheldrakes Versprechen auf Scheidung und Heirat verführen lässt und sich verliebt, und sie hasst sich dafür, dass sie zu einem lächerlichen Klischee geworden ist. Hier nimmt die Geschichte dann eine tragische Wendung, über die nichts verraten werden soll, die aber schließlich zu einer Wandlung einiger Figuren führt. Nur die Männer, die bleiben, wie sie sind.
Das Appartement rechnet mit Amerikas Kapitalismus ab und entlarvt seine Geschäftswelt als skrupellosen, moralisch verkommenen Männerclub, was ausgereicht hat für einen Oscar als bester Film des Jahres. Obwohl im Kern ein ernstes Drama, erzählt Wilder mit einer Leichtfüßigkeit und mit dem Timing eines Komödianten und versucht sich dabei an einem Spagat, der meistens, aber nicht immer aufgeht. Natürlich ist das Tempo für heutige Zuschauer etwas zu langsam, wie es auch die eine oder andere Länge gibt, und manche Aspekte hätte man auch gerne vertieft gesehen, aber der Film ist immer noch sehenswert und stellenweise seiner Zeit weit voraus. Das – und seine wunderschöne, anrührende Liebesgeschichte – macht ihn immer noch zu einem verdammt guten Film, wenn auch nicht zu Wilders bestem.
Note: 2