Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich erstmals auf diesen Film aufmerksam geworden bin, es ist sicherlich einige Jahrzehnte her. Irgendwann bin ich beim Zappen hängengeblieben und habe mir einige Minuten angesehen. Obwohl ich normalerweise keinen Historienfilm auslasse, noch dazu einen mit einer so tollen Besetzung, hat mir damals die Film-im-Film-Idee nicht gefallen. Andererseits ist es ein – zumindest in den USA – recht bekannter Film, den ich noch nicht kannte, da lag es nahe, ihn auf meine Watchlist zu setzen.
Die Geliebte des französischen Leutnants
Mitte des 19. Jahrhunderts verlobt sich der Gentleman und Amateur-Wissenschaftler Charles Smithson (Jeremy Irons) mit Ernestina Freeman (Lynsey Baxter), der Tochter eines reichen Tuchfabrikanten. Während eines Aufenthalts in Lyme macht er allerdings die Bekanntschaft von Sarah Woodruff (Meryl Streep), die von der viktorianischen Gesellschaft ausgestoßen wurde, weil sie einst die Geliebte eines französischen Leutnants war und sitzengelassen wurde. Doch Charles ist von der melancholischen, schicksalergebenen Frau vollkommen fasziniert und verliebt sich schließlich in sie.
Der Film basiert auf einem Roman von John Fowles, der es zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Einerseits erzählt er eine Liebesgeschichte in der viktorianischen Zeit, beleuchtet dabei gesellschaftliche Konventionen, Bigotterie und soziale Ungerechtigkeit, sorgt aber mit „metafiktionalen Brüchen, intertextuellen Verweisen und philosophischen Erläuterungen“ für Spannungen. Ohne das Werk, das zu den bedeutendsten Romanen des 20. Jahrhunderts gezählt wird, zu kennen, kann man nur vermuten, dass es vor allem die ironischen Kommentare des fiktiven Erzählers waren, die der Geschichte den nötigen Reiz verliehen haben, dass sie sich so großer Beliebtheit erfreute.
Erschienen ist der Roman bereits 1969, aber es dauerte über zehn Jahre, um ihn zu verfilmen, weil seine ungewöhnliche Erzählweise sich nicht ohne weiteres in Filmsprache übertragen lässt. Am Ende gelang es Harold Pinter, der das Drehbuch geschrieben hat, durch das Hinzufügen einer weiteren Ebene, auf der die Verfilmung des Romans selbst zum Thema wird.
So sieht man in einer Parallelhandlung, wie Anna (Meryl Streep) und Mike (Jeremy Irons) als Schauspieler Szenen proben, zu Dreharbeiten fahren – und nebenbei eine Affäre unterhalten. Beide sind mit anderen Partner liiert, und obwohl ihre Gefühle tief zu sein scheinen, wissen beide nicht, ob sie dafür ihre Beziehungen aufs Spiel setzen sollen. Auf diese Weise wird eine zusätzliche Kommentarebene geschaffen, um offen über die einengenden Konventionen des viktorianischen Zeitalters diskutieren zu können, aber auch, um einen direkten Vergleich mit unseren heutigen Moralvorstellungen zu ermöglichen.
Weitgehend funktioniert das gut, hätte aber noch weiter auf die Spitze getrieben werden können. Sehr schön ist die Inszenierung von Karel Reisz, der auf beeindruckende Art und Weise die beiden Geschichten miteinander verzahnt, immer wieder gelungene Transitionen findet und Parallelen herausarbeitet. Insbesondere der Schluss, der im Roman aus gleich drei unterschiedlichen Enden besteht, bekommt so eine wesentlich poetischere Note.
Insgesamt nimmt die viktorianische Handlung den meisten Raum ein, während die moderne Handlung etwas zu kurz kommt und zu konfliktarm ist. Doch der Wechsel zwischen der einen und der anderen ist weniger störend als zunächst angenommen, sondern insgesamt sogar bereichernd. Dem heutigen Zuschauer dürfte das Tempo jedoch etwas zu gemächlich, die Geschichte vielleicht auch zu banal sein.
Wer allerdings Meryl Streep und Jeremy Irons mag, ein Faible für historische Filme oder ungewöhnliche Erzählweisen hat, sollte dem Film unbedingt eine Chance geben
Note: 3+