Der Film war seit den späten Achtzigern mein Lieblingsfilm von Woody Allen, den ich mir nun noch einmal angeschaut habe, weil ich neugierig war, ob er mir heute auch noch so gut gefallen würden. Ein bisschen hatte ich jedoch auch Angst davor, da sich mein Geschmack im Laufe der Zeit doch ebenso gewandelt hat wie die Art des Filmemachens.
Hannah und ihre Schwestern
Hannah (Mia Farrow) lädt zu Thanksgiving immer die gesamte Familie und einige Freunde zu sich und ihrem Mann Elliot (Michael Caine) ein. Ihre Schwester Holly (Dianne Wiest) ist wie Hannah Schauspielerin, aber leider erfolglos und hat gerade eine Entziehungskur hinter sich. Das Nesthäkchen Lee (Barbara Hershey) hatte ebenfalls Suchtprobleme in der Vergangenheit und ist nun mit einem bekannten Künstler (Max von Sydow) liiert. Doch Elliot ist heimlich in Lee verliebt, und als er ihr irgendwann seine Gefühle gesteht, beginnen die beiden eine Affäre.
Man würde dem Film Unrecht tun, ihn allein auf dieses Ehe- und Seitensprungdrama zu reduzieren, denn Hannah und ihre Schwestern ist ein Ensemblefilm mit einer Vielzahl von Handlungssträngen und handelnden Figuren. Woody Allen, der nicht nur Regie geführt, sondern auch das (oscarprämierte) Buch geschrieben hat, spielt diesmal jedoch nicht die männliche Hauptrolle, sondern begnügt sich mit einem viel kleineren, aber dafür prägnanten Part. Er spielt Mickey, Hannahs Ex-Mann, der fürs Fernsehen arbeitet, hauptberuflich aber Hypochonder zu sein scheint. Als sein Arzt nun die Befürchtung äußert, dass er tatsächlich ernsthaft krank sein könnte, stürzt ihn das in eine existenzielle Krise, die ihn an allem zweifeln lässt.
Woody Allen wäre allerdings nicht Woody Allen, wenn er so ernste Themen wie die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit nicht mit beißendem Humor erzählen würde. Anders als viele Komödienschreiber heutzutage weiß er, dass jede heitere Erzählung einen dramatische Kern benötigt, und er lotet die Düsternis von Mickeys Seele, seinen inneren Kampf, seine Depressionen und dunkelsten Momente aus, indem er mit pointierten Dialogen immer wieder Funken schlägt, die einen kurz die Ängste vergessen lassen. Am Ende, so viel sei verraten, wird auch er kuriert – dank des Kinos und vor allem der Komödie. Carpe diem mit den Marx-Brothers. Auch so sieht eine Liebeserklärung an das Kino aus.
So richtig scheint Mickeys Geschichte über Hypochondrie und Existenzangst leider nicht zu den eher banalen Stories über Ehebruch und Arbeitslosigkeit zu passen. Im weitesten Sinne dreht sich alles um die Suche nach einem Sinn im Leben. Elliot gerät in eine Midlifecrisis, als er sich Hals über Kopf in Lee verliebt, Hannah aber nicht aufgeben will, ein Dilemma, das sich leider nicht richtig auflöst und bei weitem nicht so dramatisch erzählt wird wie es vielleicht angemessen gewesen wäre.
Es ist auffällig, vielleicht allerdings erst in der Retrospektive, dass die Frauenfiguren alle relativ passiv sind. Hannah ist von den drei Schwestern ausgerechnet am wenigsten präsent und kaum greifbar. Sie hat ihre vielversprechende Schauspielkarriere aufgegeben, um vor allem Mutter von vier Kindern zu sein, und scheint auch Erfüllung darin zu finden, aber man kommt ihr emotional nicht nahe. Sie ist in sich ruhend, gefestigt, aber auch verschlossen und so genügsam, dass ihr Mann schier daran verzweifelt. Lee wiederum wird von ihrem Maler-Freund „erzogen“, wie er es nennt, und auch Elliot sagt ihr immerzu, welche Bücher sie lesen, welche Filme sie sehen und welche Musik sie hören soll. Man könnte es Mansplaning nennen, und es ist ein wiederkehrendes Motiv in Allens Arbeit. Lee jedoch ist dankbar dafür, erspart es ihr eine Menge Denkarbeit. Man würde sich nur für sie wünschen, sich nicht immerzu über einen Mann zu definieren. Als Figur wirkt sie seltsam unfertig.
Am interessantesten ist tatsächlich Holly, die immerzu dem Erfolg oder einem Mann hinterherrennt, aber nie ans Ziel gelangt. Als Hannah versucht, sie nach der Scheidung mit Mickey zu verkuppeln, geht es kolossal schief, aber die beiden bekommen später eine zweite Chance, nachdem sie sich verändert und neu erfunden haben. Es scheint, als wäre dieser Handlungsstrang tatsächlich die Ur-Idee gewesen, als hätte Allen dann aber gemerkt, dass sie nicht einen gesamten Film trägt. Immerhin ist Holly eine aktive, zupackende Frau, die weiß, was sie will, kein Wunder, dass Dianne Wiest dafür den Oscar erhielt.
Zum Kosmos der Familie gehören noch die Eltern (Maureen O’Sullivan und Lloyd Nolan), die ebenfalls ihre Ehekrisen und Kämpfe auszustehen hatten. Die Mutter trinkt zu viel und betrauert das Ende ihrer Schauspielkarriere, der Vater hatte zahllose Seitensprünge. Es scheint, als wären Suchtprobleme, Treulosigkeit und Neurosen den Schwestern bereits mit in die Wiege gelegt worden. Beeindruckend ist auch der weitere Cast, zu dem noch jede Menge bekannte Gesichter wie Carrie Fisher, John Turturro, Richard Jenkins und Daniel Stern in Nebenrollen gehören.
Was den Film auch heute noch interessant und bemerkenswert macht, ist seine unkonventionelle Art des Erzählens. Allen reißt viele Themen an, vertieft sie aber kaum, er etabliert eine Menge Konflikte, jongliert aber dann nur damit, anstatt sie auf einen Höhepunkt zuzutreiben. Dadurch wirkt vieles zwar unfertig und häufig auch undramatisch, aber gleichzeitig auch authentisch und lebensnah, und geadelt wird es von ungeheuer witzigen und pointierten Dialogen, die mit zu den besten zählen, die je aus Woody Allens Feder geflossen sind. Nur Mickeys Hypochondrie und Existenzangst, obwohl die einprägsamsten Handlungsstränge, wirken wie Fremdkörper in einer ansonsten sehr bodenständigen Dramödie. Insgesamt hätte man sich mehr Zeit mit Hannah und ihren Schwestern, ihren Dramen und Problemen gewünscht.
Der Film ist nicht mehr so gut, wie ich ihn in Erinnerung hatte, aber er gefällt mir immer noch. Und das ist eine Erleichterung.
Note: 2-