55 Tage in Peking

Das erste Mal habe ich von diesem Film in der kuriosen spanischen Miniserie Arde Madrid gehört, die von Ava Gardners Aufenthalt in Spanien handelt, bei dem sie vom Franco-Regime ausspioniert wird. Eine faszinierende und empfehlenswerte Serie, gedreht in Schwarz-Weiß, und stellenweise ungeheuer witzig – dank des exilierten Präsidenten Perón, der nebenan wohnt. In einer Folge erhält Gardner jedenfalls das Drehbuch zu 55 Tage in Peking und zögert, die ihr vorgeschlagene Rolle anzunehmen.

Vor einiger Zeit tauchte die Produktion dann bei Prime Video auf, und ich war neugierig, spielt sie doch zur Zeit des Boxeraufstands im kaiserlichen China, einer Periode, die eher selten Gegenstand eines Films ist. Der Trailer versprach einen Monumentalfilm mit prächtiger Ausstattung und reichlich Action, und meine Neugier wuchs, denn wie konnte es sein, dass ich noch nie von diesem Film gehört hatte?

55 Tage in Peking

Im Jahr 1900 kommt es in China zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen europäische und amerikanische Ausländer und heimische Christen, die von der sogenannten Boxerbewegung verübt werden. Die Nationalisten wollen alle Ausländer, deren Länder chinesische Gebiete besetzt halten und die der Regierung zahlreiche Privilegien abgetrotzt haben, vertreiben. Am kaiserlichen Hof paktiert Prinz Tuan (Robert Helpmann) offen mit der Bewegung, während General Jung-Lu (Leo Genn) dafür plädiert, sie zu ignorieren. Seiner Meinung nach sind die Menschen aufgebracht und verunsichert wegen einer lange anhaltenden Dürre und wirtschaftlichen Problemen und suchen nur nach einem Ventil für ihre Wut. Die Kaiserin (Flora Robson) ist unentschlossen.

Als jedoch der deutsche Botschafter auf offener Straße – und auf Befehl Prinz Tuans – ermordet wird, eskaliert die Situation. Die Kaiserin rät den Botschaftern der elf im Gesandtenviertel ansässigen Nationen, Peking zu verlassen, und stellt ihnen ein Ultimatum, doch der britische Botschafter Sir Arthur Robertson (David Niven) überredet seine Kollegen zum Bleiben. Daraufhin versuchen die Boxer, das Viertel zu stürmen und werden zurückgeschlagen. Die Belagerung beginnt.

Die meisten werden sich an den Boxeraufstand vielleicht noch aus dem Geschichtsunterricht und an Kaiser Wilhelms berühmt-berüchtigte Hunnenrede erinnern, die er gehalten hat, als das Expeditionskorps zur Befreiung der Botschaftsgeiseln nach China entsandt wurde. Dieses war Teil der alliierten Truppen der Vereinigten acht Staaten, die den Großteil der in Peking festgesetzten Nationen ausmachten, und wurde zu besonderer Härte und Rücksichtslosigkeit aufgefordert. Im Ersten Weltkrieg fiel diese menschenverachtende Attitüde schließlich auf die Deutschen zurück, die beim Feind nur als Hunnen bezeichnet wurden.

Robert Hamer, Philip Yordan und Bernard Gordon, die das Drehbuch zu 55 Tage in Peking verfassten, orientieren sich grob an den historischen Ereignissen und zeitlichen Abläufen. Auch einige Details wie die „internationale Kanone“ Betsy, die man aus Einzelteilen aus den Militärbeständen mehrerer Länder zusammengebastelt hatte, sind authentisch. Erstaunlich ist jedoch, dass viele Namen geändert wurden.

Vermutlich wurden diese Änderungen vorgenommen, um freier bei der Ausgestaltung der persönlichen Schicksale zu sein, die einen relativ großen Raum einnehmen. In erster Linie handelt die Geschichte allerdings vom Boxeraufstand und dem Heldenmut der Eingeschlossenen, die sich mit nur vierhundert Soldaten und schwacher militärischer Ausrüstung gegen die Boxer und später gegen die um ein Vielfaches überlegene chinesische Armee verteidigen müssen. Gewissermaßen eine Alamo-Story, nur mit glücklicherem Ausgang.

Bei einer so alten Produktion (aus dem Jahr 1963) befürchtet der moderne Zuschauer eine etwas zu revanchistische Darstellung der Ereignisse und vor allem ein plumpes Schwarz-Weiß-Schema mit den guten Weißen auf der einen Seite und den bösen Chinesen auf der anderen, zumal sich hier auch angeboten hätte, die zeitgenössischen Zustände, also den Kalten Krieg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, zu spiegeln. So ganz frei von dieser Sichtweise ist der Film nicht, zeichnet aber doch ein relativ wohlwollendes Bild von den Chinesen. Im Gegenteil, die Amerikaner werden sogar einmal zur Ordnung gerufen, indem man ihnen sagt, hier könnten sie die Leute nicht einfach abschlachten wie ihre Indianer zu Hause, schließlich seien die Chinesen ein uraltes Kulturvolk. Vielleicht hätte sich der deutsche Kaiser ein Beispiel daran nehmen sollen.

Dennoch gibt es für uns Heutige schon einige Elemente, die in unserer Zeit nicht mehr tragbar wären. In erster Linie gehört dazu, führende chinesische Rollen mit Weißen zu besetzen, was jedoch damals üblich war. Immerhin bemühten sich die Produzenten, so viele asiatische Statisten wie möglich zu bekommen – mit dem Resultat, dass während der Dreharbeiten die meisten Chinarestaurants in Spanien, wo der Film entstand, geschlossen werden und Komparsen aus anderen europäischen Ländern anreisen mussten.

Der Film ist in mancherlei Hinsicht ungewöhnlich, vor allem für heutige Zuschauer. Er beginnt mit einer langen musikalischen Ouvertüre, gefolgt von den Titeln und einem Song, in dem die Ereignisse der Handlung bereits vorweggenommen werden. Auch die erste Szene, in der das Gesandtenviertel vorgestellt wird, ist musikalisch geprägt, werden doch die unterschiedlichen Nationalhymnen gespielt und gehen ineinander über, ein Medley, das auf die bevorstehende Allianz hinweist und am Ende wieder aufgegriffen wird, wenn nach erfolgreicher Rettung jede Nation wieder ihr eigenes Lied spielt. Man kann den Film durchaus als Loblied auf die internationale Zusammenarbeit betrachten, in einer Szene scheint sich sogar bereits die Idee der Vereinten Nationen anzudeuten, und dass es keine landestypischen Stereotype oder Verunglimpfungen, insbesondere der Deutschen, gibt, ist für die damalige Zeit zumindest ungewöhnlich.

Bemerkenswert sind vor allem die monumentalen Kulissen, zu denen das Gesandtenviertel und ein Teil des Kaiserpalastes zählen, die teilweise in den Kämpfen auf eindrucksvolle Art und Weise in Schutt und Asche gelegt werden. Die Kampfszenen sind von einer ungeheuren Dramatik, packend und spannend in Szene gesetzt. Obwohl Nicholas Ray offiziell als Regisseur genannt wird, hatten auch Guy Green und Second-Unit Director Andrew Marton einen großen Anteil daran, da Ray längere Zeit krank war, und es dürfte vor allem Marton, der bereits für Wyler das berühmte Pferderennen in Ben Hur in Szene gesetzt hatte, gewesen sein, der die Kampfszenen choreografierte.

Wie in Monumental-, noch mehr aber in Katastrophenfilmen üblich, gibt es neben der dramatischen Haupterzählung noch zahlreiche persönliche Handlungsstränge. In erster Linie dreht sich die Geschichte um den frisch nach Peking versetzten amerikanischen Major Matt Lewis (Charlton Heston), der das inoffizielle Kommando bei der Verteidigung übernimmt und in allen wichtigen Actionszenen die Führung innehat. Wenn er gerade nicht kämpft oder etwas in die Luft jagt, setzt er seine zögerliche Liebesgeschichte mit einer in Ungnade gefallenen russischen Baronin (Ava Gardner) fort, die ein Geheimnis umgibt, für das die Autoren viel zu lange brauchen, um es zu lüften. Gerade diese Geschichte ist unzureichend und viel zu umständlich erzählt und besitzt ein unnötig melodramatisches Ende, das wohl in erster Linie auf Gardners schwieriges Verhalten am Set zurückzuführen ist: Die Produzenten wollten sie endlich loswerden. Dass Lewis sich darüber hinaus auch noch um ein Waisenkind kümmern muss, die Tochter eines gefallenen Kameraden, ist dann definitiv zu viel des Guten.

Leider sind es vor allem diese kleinen, privaten Geschichten, die die Handlung zudem auch nicht voranbringen, die negativ auffallen. Auch die politischen Intrigen am Kaiserhof wirken eher unbeholfen. Charlton Heston soll angeblich nach Abschluss der Dreharbeiten geschworen haben, nie wieder einen Film zu drehen, dessen Drehbuch nicht völlig ausgereift ist. 55 Tage in Peking ist dennoch ein sehenswerter Film, weil er ein Licht auf eine eher selten ausgeleuchtete historische Epoche wirft, fantastische (historische Original-)Kostüme, eine prächtige Ausstattung und wunderschöne Bilder besitzt, deren Leuchtkraft in der restaurierten Fassung sehr schön zur Geltung kommen. Beeindruckend sind auch die packenden Actionszenen, die noch in liebevoller Handarbeit entstanden sind. Dadurch entsteht eine Authentizität, gegen die CGI-erzeugte Massenszenen häufig viel zu glatt und unrealistisch wirken.

Dass der Film weitgehend vergessen ist, liegt vermutlich an seiner für den Durchschnittszuschauer zu „exotischen“ Geschichte, die auf einem heute eher wenig bekannten historischen Ereignis beruht. Der Produzent Samuel Bronston hat Anfang der Sechziger eine Reihe von Monumentalfilmen in Spanien gedreht, von denen El Cid, König der Könige oder Der Untergang des römischen Reiches weitaus bekannter sind. Noch entscheidender: 55 Tage in Peking gehörte zwar zu den erfolgreicheren Filmen an den Kassen, wurde aber als Flop betrachtet, da er in den USA nicht einmal die Hälfte seiner Produktionskosten eingespielt hat. Diese betrugen die für die damalige Zeit enorme Summe von 10 Millionen Dollar. Wenigstens dafür hätte er berühmt werden können – wäre nicht zur selben Zeit Cleopatra entstanden, dessen Budget am Ende mit 44 Millionen den Film zum teuersten aller Zeiten machte (zumindest bis 2009).

Mit zweieinhalb Stunden ist der Film zwar recht lang, aber dabei erstaunlich kurzweilig und für einen Monumentalschinken in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Man sollte ihm eine Chance geben.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.