Godzilla Minus One

Das Godzilla-Franchise ist das älteste noch laufende Franchise in der Kinogeschichte und feiert im kommenden Jahr seinen 70. Geburtstag. Inzwischen gibt es neben der japanischen Filmreihe ein erfolgreiches Pendant aus Hollywood namens Monsterverse, das Ende 2023 um eine Fernsehserie auf Apple+ erweitert wurde, die recht gelungen und unterhaltsam war (in der allerdings die Monster nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben), und demnächst mit Godzilla x Kong: The New Empire einen neuen Kinofilm am Start hat.

Doch auch die Japaner waren nicht untätig, und brachten mit relativ großem Erfolg einen Film in die internationalen Kinos, der beim Publikum überdurchschnittlich gut ankommt und einen imdB-Wert von 8,5 aufweist. Wenn etwas so beliebt ist, sind wir immer neugierig auf das Erfolgsrezept, daher haben wir uns den Streifen angesehen.

Godzilla Minus One

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs landet der Kamikaze-Flieger Shikishima (Ryūnosuke Kamiki) auf der Insel Odo, weil seine Maschine angeblich defekt ist. Doch die Techniker unter Kommandant Tachibana (Munetaka Aoki) können keine Störung entdecken und halten ihn für einen Deserteur und Feigling. Als die Insel plötzlich von einem riesigen Monster angegriffen wird, das die Einheimischen Godzilla nennen, soll Shikishima das Bordgeschütz seines Flugzeugs zur Verteidigung einsetzen, ist aber vor Angst wie gelähmt. Daraufhin kommen alle Männer auf der Insel bis auf Tachibana und Shikishima bei dem Angriff ums Leben.

Nach dem Krieg beginnt Shikishima in Tokio ein neues Leben. Er trifft auf die wegen Diebstahls von der Polizei verfolgte Noriko (Minami Hamabe) und verhilft ihr zur Flucht, woraufhin sich die resolute, junge Frau kurzerhand bei ihm einquartiert und das Findelkind Akiko mitbringt, dessen sie sich nach dem Tod seiner Eltern angenommen hat. In den folgenden Jahren leben die drei wie eine Familie miteinander, doch Shikishima leidet noch immer unter schweren Schuldgefühlen, weil er es nicht geschafft hat, die Männer auf der Insel zu retten. Er nimmt schließlich einen Job als Minenräumer auf einem Boot an. Doch neue Gefahr droht, als Godzilla, nach einem amerikanischen Atombombentest verstrahlt und mutiert, nun Tokio selbst angreift.

In der Entstehungsphase des ersten Films vor siebzig Jahren wurde das Monster von allen Beteiligten nur G genannt und bekam erst später den Namen Gojira – nach dem Spitznamen eines fülligen Mitarbeiters. Es ist ein Wortspiel aus den japanischen Begriffen für Wal und Gorilla (und war für den Betreffenden vermutlich wenig schmeichelhaft), aus dem der amerikanische Verleih schließlich Godzilla gemacht hat. Der Titel des aktuellen Films lautet im Abspann daher G Minus One.

Wie im Original Godzilla wird hier die Insel Odo als Heimat des Monsters genannt, und auch sonst gibt es einige Parallelen. Natürlich wird wieder Tokio von Godzilla heimgesucht, der wie ein tapsiges Kleinkind im Spielzeugland wütet und seine Gegner mit dem Hitzestrahl neutralisiert. Während er im Original mit einem Oxygen-Zerstörer vernichtet wird, soll er hier mit Fluorkohlenwasserstoffen auf den Meeresboden geschickt werden.

So weit, so wenig überraschend. Was Godzilla Minus One aber von den üblichen Monsterfilmen unterscheidet, ist seine Rahmenhandlung, die nur ganz am Rande etwas mit Godzilla zu tun hat. Über weite Strecken funktioniert der Film als Kriegs- und Nachkriegsdrama und handelt von Shikishima, der Schwierigkeiten hat, in der Zivilgesellschaft Fuß zu fassen. Für ihn ist der Krieg auch Jahre später noch nicht vorbei, er leidet unter Alpträumen, Gewissensbissen und der Schuld des Überlebenden. Erst im Kampf gegen Godzilla erkennt er, dass sein bewaffneter Widerstand auf Odo die Männer auch nicht hätte retten können.

Regisseur und Autor Takashi Yamazaki erzählt von der japanischen Gesellschaft, die im Krieg alles verloren hat, vor allem aber ihr Selbstvertrauen und ihre Würde. Die Menschen fühlen sich von ihrer Regierung im Stich gelassen und als Kanonenfutter missbraucht, und nicht einmal auf Amerika, ihre neue Schutzmacht, ist Verlass, da diese gerade mit den Russen beschäftigt ist. Am Ende ist es keine militärische Streitmacht, die Tokio verteidigt, sondern eine Gruppe ehemaliger Marineoffiziere und Soldaten, Männer, die schon einmal ihre Pflicht getan haben und dabei gescheitert sind, nun aber die Gelegenheit bekommen, ihre Ehre wieder herzustellen. Das hat im Kern beinahe einen revanchistischen Anklang, obwohl es wohl nicht so gemeint ist. Auch das Frauenbild ist eines von vorgestern, denn dies ist eine reine Männeraktion, in der die Kriegsverlierer zeigen können, was sie alles drauf haben, wenn es denn für eine gute Sache ist, während die Frauen zu Hause sitzen, kochen und den Siegern Sake einschenken.

Bemerkenswert an der Produktion ist aber die überaus schöne Kameraarbeit von Kōzō Shibasaki, die bisweilen an den italienischen Neo-Realismus erinnert und perfekt mit den CGI-Effekten harmoniert, die dem Film in den Actionenszenen einen dezent nostalgischen Touch verleihen. Vor allem der Angriff auf Tokio, der Höhepunkt der Geschichte, ist nicht nur ungemein packend erzählt, sondern auch schön bebildert und orientiert sich stark an das Original von 1954. Ebenfalls großartig ist der Score von Naoki Satō, der die Kampfszenen mit orchestraler Wucht und melodiöser Zartheit unterlegt und dabei an Góreckis Symphonie der traurigen Lieder erinnert.

Im letzten Drittel verlagert sich der Kampf schließlich auf See, und da scheint Der Weiße Hai eindeutig Pate gestanden zu haben. Dieser Showdown ist gut, aber auch recht konventionell und pathetisch in Szene gesetzt. Denn natürlich gelingt es Shikishima, seine Fehler von einst gutzumachen, und am Ende wird er sogar noch vom Schicksal belohnt. Das ist vielleicht etwas zu märchenhaft, aber dennoch schön.

Alles in allem ein gelungener Monsterfilm, der trotz eines für amerikanische Verhältnisse bescheidenen Budgets eine Menge Schauwerte herausholt und Hollywood damit locker in den Schatten stellt. Man spürt, dass hier Menschen am Werk waren, die Fans des Originalfilms sind und ihm zum siebzigsten Geburtstag ein Denkmal setzen wollten. Das ist gelungen und der Oscar für die besten Spezialeffekte mehr als verdient.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.