Argylle

Nach all den Oscarfilmen, die heutzutage nahezu ausschließlich aus anstrengenden Dramen zu bestehen scheinen, von denen ich immer noch nicht alle gesehen habe (Maestro und Rustin stehen nach wie vor auf meiner Liste), wird es Zeit für weniger schwere Kost.

Rasante, actionreiche Agentenkomödien, häufig mit einer romantischen Komponente, hat es in letzter Zeit einige gegeben. Ghosted oder The Family Plan sind nur zwei aktuelle Titel, die mir gerade einfallen. Sie alle eint, dass sie zwar ganz launige Trailer haten, aber dann mit einer überzogenen Story und wenig überzeugenden Gags enttäuschten. Anfang Februar brachte Apple eine weitere Geschichte dieser Art in die Kinos, wieder mit einem gelungenen Trailer, einer starken Besetzung und einem Regisseur, dem man am ehesten zutraut, aus dem Stoff einen tollen Film zu machen.

Argylle

Elly Conway (Bryce Dallas Howard) ist eine gefeierte Bestsellerautorin, die bereits vier überaus erfolgreiche Spionageromane geschrieben hat. Nun hat sie gerade die Arbeit an ihrem fünften Buch beendet, als plötzlich ein realer Geheimagent in ihr Leben tritt: Aidan Wilde (Sam Rockwell) erzählt ihr, dass ihre Story über eine abtrünnige Geheimdienstabteilung real ist und sie daher in großer Gefahr schwebt, weil sie anscheinend Dinge weiß, die sie nicht wissen sollte. Bevor Elly es sich versieht, machen plötzlich jede Menge Killer Jagd auf sie, und nur Agent Wilde kann sie retten.

Okay, die Prämisse der Geschichte ist abstrus, aber wenn man sich darauf einlässt, macht der Anfang eine Menge Spaß. Der Film beginnt allerdings mit einem Ausschnitt aus Ellys viertem Buch, in dem Agent Argylle (Henry Cavill) erfährt, dass sein Vorgesetzter abtrünnig geworden ist. Das gibt Regisseur Matthew Vaughn die Gelegenheit, eine fulminante Actionszene an der griechischen Küste zu inszenieren, die der perfekte Einstieg für dieses Genre ist.

Auch die Szene, in der Elly Aidan kennenlernt und er sie gegen eine Horde brutaler Killer in einem Zug verteidigen muss, ist großartig und sogar ziemlich witzig. Sicher, es gibt einige Dinge, die unglaubwürdig sind, etwa die für amerikanische Verhältnisse lächerlich hohe Geschwindigkeit des Zuges, aber alles in allem wird man gut unterhalten. Die Ausstattung ist edel, die Darsteller haben sichtlich Spaß an ihren Rollen, und alles scheint gut.

Aber es schleicht sich auch ein gewisses Misstrauen ein: Die erste Szene beispielsweise sollte auf eine elegante, sexy Tanznummer à la Pulp Fiction hinauslaufen, bleibt aber flach und wird dann viel zu früh abgebrochen, was etwas enttäuschend ist. Zudem sehen manche CGI-Effekte ziemlich billig und schlecht aus – was bei einer zweihundert Millionen Dollar teuren Produktion überrascht. Auch fragt man sich, wie Ellys Bücher mit miesen Dialogen, einem stereotypen Bond-Verschnitt und einer dünnen Story zu Bestsellern werden, aber auch darüber kann man mit gutem Willen hinwegsehen.

Über weite Strecken funktioniert die Geschichte prima. Doch ab der Hälfte beginnt der Plot Volten zu schlagen und eine dramatische Wendung nach der anderen zu entwickeln, dass einem beim Zuschauen schier schwindelig wird. Zwar erzählt das Drehbuch von Jason Fuchs die Geschichte mit einem kleinen Augenzwinkern, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ganze eine Räuberpistole ersten Ranges ist, eine Parodie auf Agentenfilme, die sich selbst für ungeheuer clever hält und Metaebene auf Metaebene schichtet, bis man schon das Geschick eines Archäologen braucht, um am Ende noch durchzusteigen.

Übrigens – und das ist kein Scherz – basiert der Film auf einem Roman namens Argylle von Elly Conway, der allerdings einen vollkommen anderen Plot hat, auf den eine Szene am Ende während des Abspanns anspielt. Wen es interessiert, bei Amazon gibt es eine Leseprobe, und der Stil einer romantic novel (auf Deutsch: Liebesschnulze) passt hervorragend zu den Texten, die man im Film von der fiktiven Elly Conway zu hören bekommt. Dabei stellt sich die Frage, warum Vaughn ausgerechnet dieses Buch ausgewählt hat (war es die Reiselektüre seiner Frau Claudia Schiffer?) und warum er und sein Autor dann so weit davon abgewichen sind, dass lediglich die Namen der Figuren übriggeblieben zu sein scheinen. Es gibt sogar Vermutungen, dass Conway gar nicht existiert oder dass sich dahinter Taylor Swift verbirgt (die gerade ja gerne Gegenstand von Verschwörungstheorien ist), aber nichts Genaues weiß man nicht.

Zurück zum Film: Irgendwann erreicht man beim Betrachten den Punkt, an dem Ernüchterung eintritt und man sich nicht mehr amüsiert, sondern auf den Arm genommen fühlt. Selbst die Schauspieler scheinen gegen Ende die Lust zu verlieren, Catherine O’Hara scheint sich geradezu ironisch von ihrer Darbietung zu distanzieren, und Bryan Cranston und Samuel L. Jackson reizen ihre Klischeerollen bis zum Anschlag aus.

Der große Twist, den sich die Macher ausgedacht haben und der sogar eine – im Rahmen – plausible Erklärung für Ellys „prophetische“ Gabe liefert, sei hier nicht verraten, aber auch er rettet die Story leider nicht mehr vor der endgültigen Entgleisung im Showdown. Schuld daran ist aber in erster Linie nicht der hanebüchene Plot, sondern Vaughns überdrehte Inszenierung, die zwar recht nett anzuschauen ist, aber leider nicht an Kingsman: The Secret Service heranreicht, der zwar auch schräg und over the top war, aber dafür sehr viel mehr Spaß gemacht hat. Argylle reiht sich daher tatsächlich nahtlos ein in die Reihe wenig gelungener Action-Agenten-Komödien. Schade.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.