Am vergangenen Sonntag habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen und die Oscar-Edition der Jimmy-Kimmel-Show angesehen, die ein bisschen wie eine überlange Folge seiner üblichen Sendung war, inklusive seines tapsigen, humorbefreiten Sidekicks, der fleißig Tequila ausgeschenkt hat, damit die Anwesenden sich die Veranstaltung wenigstens schöntrinken konnten. Alles in allem war es dennoch eine solide Show ohne große Aufreger oder Schlägerei, dafür aber so stromlinienförmig, dass man sie bereits Stunden später wieder vergessen hat.
Der größte Aufreger, zumindest für mich, war ausgerechnet die Totenehrung, die von der Regie komplett vermasselt wurde. Dabei kann man bei diesem Segment eigentlich nichts falsch machen: Gefühlvolle Musik (Time to Say Goodbye war in dieser getragenen Instrumentierung keine schlechte Wahl), einige gut gewählte Filmausschnitte der verstorbenen Schauspieler, und der Rest ist eine Diashow. Das alles gab es, aber anstatt es auf den heimischen Bildschirmen zu zeigen, wurde eine Totale von der gesamten Bühne gewählt, auf der sich einige, im Halbdunkel kaum auszumachende Tänzer um die beiden Sänger bewegten. Gegen ein geschmackvolles Pas de deux wäre grundsätzlich nichts einzuwenden gewesen, aber dann sollte es bitte nicht so gefilmt werden, als würde das Ganze von der Mutter eines der Tänzer aus der sechsten Reihe aufgenommen. Und es wäre auch schön gewesen, wenn man die Namen der Toten hätte lesen und so ihrer gedenken können. Eine würdelose Angelegenheit.
Aber die Regie hat sich auch sonst nicht mit Ruhm bekleckert. Alles, selbst der kleinste Gag, war so durchchoreografiert, jeder Reaction-Shot genau einkalkuliert, dass der Veranstaltung jegliche Spontaneität und Lockerheit ausgetrieben wurde. Man kennt es von amerikanischen Tradeshows: Selbst die größten Schauspieler kommen vollkommen verkrampft und roboterhaft rüber, wenn sie platte Witze und schlagfertige Dialoge vom Teleprompter ablesen müssen. Stellenweise fühlte man sich an deutsche Fernsehshow aus den Siebzigern erinnert, fehlte eigentlich nur noch ein grinsender Rudi Carell.
Die Produzenten experimentieren ja immer wieder mit den Präsentationen, um sie abwechslungsreich und unterhaltsam zu gestalten, und es ist grundsätzlich in Ordnung, hin und wieder etwas anders zu machen. Die Laudationen für die nominierten Schauspieler sind beispielsweise eine gelungene Änderung, die leider nicht immer gut umgesetzt wurde. Manche waren gut geschrieben, andere furchtbar anbiedernd. Aber scheinbar haben die Produzenten darüber vergessen, wofür die Preise eigentlich vergeben werden. Zur Erinnerung: Es sind Filmpreise. Da wäre es gelegentlich schon ganz nett gewesen, einmal einen Ausschnitt aus den Filmen zu sehen.
Auf die Gefahr hin, wie ein grumpy old man zu klingen: Früher war einfach mehr Lametta. Wenn ich an die ersten Oscarverleihungen zurückdenke, die ich gesehen habe, waren das pompöse Galas mit Tanznummern, Glamour und witzigen Moderatoren. Vor allem Billy Crystal war legendär und wurde berühmt für seine Einspieler zu Beginn, in denen er in alle nominierten Filme hineinkopiert wurde, wobei ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, ob dies regelmäßig gemacht wurde. Diese Idee wurde Sonntag immerhin aufgegriffen, aber leider nur in einer einzigen, viel zu kurzen und nicht übermäßig lustigen Szene, dabei ist es technisch heute wesentlich einfacher, dies zu bewerkstelligen. Wahrscheinlich würde eine KI nur drei Minuten dafür brauchen.
Wenn ich darüber hinaus an die Filme denke, die in den Neunzigern gewonnen haben (z.B. Der mit dem Wolf tanzt, Das Schweigen der Lämmer oder Forrest Gump), überkommt mich das Gefühl, dass diese alle ein anderes Kaliber besaßen, vom Publikum geliebt und vor allem auch gesehen wurden, aber das mag nur meine subjektive Einschätzung sein. Hollywood hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert, das Publikum sicherlich auch. Es ist einfach, wie es ist.
Doch zurück zu der diesjährigen Veranstaltung. Mit Oppenheimer als bestem Film kann man leben, er ist eine sichere Wahl, und vermutlich hat er gerade deshalb gewonnen, aber seine Wahl sagt auch etwas über die allgemeine Qualität des Jahresgangs aus. Große Klassiker der Filmgeschichte, die vom Publikum geliebt und verehrt werden, waren heuer nicht dabei. Dennoch gab es in meinen Augen keine krasse Fehlentscheidungen wie in den letzten Jahren, und auch die Schauspieler haben ihre Auszeichnungen verdient, allen voran Emma Stone. Aber wenn ich wirklich ehrlich bin, muss ich sagen: Es hat mich wieder einmal kein bisschen interessiert, welcher Film welche Auszeichnung gewonnen hat. Das war früher anders, da hatte man Favoriten, denen man die Daumen gedrückt hat, heute frage ich mich, ob Preise wie der Oscar in unserer Zeit wirklich noch relevant sind – außer für die zukünftigen Gagenverhandlungen der Ausgezeichneten.