Die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung wird in den hiesigen Schulen vermutlich eher zweitrangig behandelt. Ich kann mich beispielsweise nicht erinnern, etwas darüber gehört zu haben. Aber zum Glück für unsere Allgemeinbildung gibt es ja Hollywood mit seinen hervorragenden Dokumentationen, ich meine, Spielfilmen, die sich mit dem Thema beschäftigen und uns Mitteleuropäer aufklären.
Gerade in den letzten Jahren sind einige interessante Filme entstanden, die sich mit dem Thema Rassismus in Vergangenheit und Gegenwart, der Bürgerrechtsbewegung oder dem gewaltsamen Widerstand beschäftigen: Selma, Emancipation, Judas and the Black Messiah, Loving, Detroit oder Der lange Weg. Einige davon habe ich gesehen, andere muss ich noch nachholen. Einer davon ist:
Till – Kampf um die Wahrheit
Emmett Till (Jalyn Hall) ist ein 14jähriger Junge aus Chicago, der 1955 zu Verwandten nach Mississippi geschickt wird, um dort die Ferien zu verbringen. Obwohl ihn seine Mutter Mamie (Danielle Deadwyler) eindringlich ermahnt, sich Weißen gegenüber stets respektvoll zu verhalten und nicht aufzufallen, macht er der weißen Verkäuferin in einem Krämerladen ein Kompliment und pfeift ihr nach. Wenige Tage später zerrt ihn die Familie der Frau mitten in der Nacht aus dem Haus seines Onkels und entführt ihn. Mamie unternimmt in Chicago alles, um ihren Sohn zurückzubekommen, und wendet sich an die Presse, doch Emmett wird kurz darauf tot aufgefunden. Die Entscheidung der Mutter, seine brutal misshandelte Leiche öffentlich aufzubahren, wird zum Politikum.
Das US-amerikanische Gesetz, das Lynchjustiz zum Hassverbrechen erklärt und unter Strafe stellt, trägt den Namen von Emmett Till. Erlassen wurde es aber erst im vergangenen Jahr, nachdem zahlreiche vorherige Anträge gescheitert waren. Man kann argumentieren, dass dies nun reichlich spät kommt, andererseits ist es erstaunlich, dass dieses Gesetz überhaupt zustande gekommen ist. Denn die Rechten in den USA behaupten seit langem, dass es keinen Rassismus in der Gesellschaft mehr gäbe, schließlich wurde das Land von einem schwarzen Präsidenten regiert. Ergo brauche es auch keine entsprechenden Gesetze mehr, und bereits bestehende Gesetze, die etwa die Gleichberechtigung fördern, können abgeschafft oder verwässert werden.
Gerade deshalb sind Filme wie Till – Kampf um die Wahrheit so wichtig, weil sie aufklären und erinnern, weil sie uns Heutigen vor Augen führen, welches Unrecht in der Vergangenheit herrschte und wie es überwunden wurde. Ein grundsätzliches Problem mit einem solchen Bio-Pic oder Historiendrama ist natürlich, dass man die Geschichte bereits in groben Zügen kennt und daher keine Überraschungen zu erwarten sind.
Das Drehbuch, an dem Regisseurin Chinonye Chukwu zusammen mit Michael Reilly und dem Dokumentarfilmer Keith Beauchamp gearbeitet hat, konzentriert sich vor allem auf Mamie und ihre Wandlung von der liebevollen Mutter hin zur Bürgerrechtsaktivistin. Sie hat ein enges Verhältnis zu ihrem einzigen Kind, das sie nach dem Tod des Vaters im Zweiten Weltkrieg allein aufgezogen hat, und Bobo, wie Emmett genannt wird, ist ein aufgeweckter, liebevoller Junge, der sich auf seine Ferien freut.
Chukwu deutet die Ereignisse in Mississippi weitgehend an und konzentriert sich auf die bekannten Fakten. Es ist hilfreich, dass Beauchamp sich fast dreißig Jahre mit dem Fall beschäftigt und in seinem Dokumentarfilm The Untold Story of Emmett Louis Till von 2005 auch Augenzeugenberichte verarbeitet hat. So bekommt die Geschichte eine Authentizität, die überzeugend wirkt. Auch die Inszenierung ist zurückhaltend, nie reißerisch oder effekthascherisch, sondern meist eher subtil und doch von bestechender Klarheit und Präzision. Herausragend ist dabei vor allem Danielle Deadwyler, die mit wenigen Gesten und Blicken ihre Figur zum Leben erwecken kann.
Ein dramatischer Höhepunkt ist die öffentliche Aufbahrung von Emmett, die zusammen mit den ausführlichen Medienberichten dazu beigetragen hat, dass der Fall weit über die Grenzen von Mississippi oder Chicago hinaus bekannt wurde. Dieses Ereignis ist für die Entstehung der Bürgerrechtsbewegung von beinahe so großer Bedeutung wie Rosa Parks Weigerung, im Bus aufzustehen, und spielte beispielsweise bereits in der sehr sehenswerten Serie Lovecraft Country (hierzulande bei Wow) eine Rolle. Auch hier gelingt der Regisseurin, die Szenen trotz der Schockmomente mit ruhiger Hand in Szene zu setzen.
In der zweiten Hälfte wandelt sich der Film dann teilweise zum Justizdrama, als Mamie beschließt, zur Gerichtsverhandlung nach Mississippi zu fahren, um dort für ihren Jungen auszusagen. Sie trifft sich mit verschiedenen Aktivisten, die sich für den Fall einsetzen, und hier tritt der Film dann ein wenig auf der Stelle. Es tauchen zu viele Figuren auf, die nur eine kleine Rolle spielen und die Geschichte, die sich an diesem Punkt nicht recht entscheiden kann, was sie eigentlich will, ein bisschen aufhalten.
Der anschließende Prozess sorgt dann aber noch einmal für einige dramatische und empörende Momente, wie man sie in einem Drama über Rassismus erwarten kann. Zu diesem Zeitpunkt erkennt man bereits, dass der Fall nie so große Aufmerksamkeit in den USA erregt hätte, würde es dabei nicht um ein Kind gehen und hätte Mamie anders gehandelt. Ihr Mut und ihre Beharrlichkeit, Gerechtigkeit für Emmett zu verlangen, wohl wissend, dass ihr diese verweigert werden würden, machen den Kern der Figur aus, die sich hier langsam zur Bürgerrechtsaktivistin wandelt. Damit wird betont, wie wichtig der Fall für die Bewegung war, was insgesamt vielleicht etwas zu akademisch gewirkt hätte, hätte Chukwu nicht in der letzten Szene, getragen von der Musik, die Mamie und Emmett stets verbunden hat, dem Zuschauer in poetischer Form noch einmal vor Augen geführt, worum es letzten Endes vor allem geht: Um die Liebe einer Mutter.
Note: 2-