Wonka

Als Kind bin ich weder mit den Büchern von Roald Dahl in Berührung gekommen noch mit ihren Verfilmungen, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie bei uns liefen. Dafür bin ich mit den Geschichten von Astrid Lindgren und Michael Ende aufgewachsen, habe Die fünf Freunde gelesen und Jugendbuchversionen von Ivanhoe, David Copperfield und Die drei Musketiere. Ich habe Kiplings Die Dschungelbücher geliebt, aber auch Heimatlos von Hector Malot, Mark Twains Klassiker und viele andere.

Was ich schon als Kind und junger Teenager nicht mochte, waren Bücher, die einem ihre Botschaft mit erhobenem Zeigefinger eingetrichtert haben, deren Handlung zu überdreht und unlogisch war oder deren Figuren sprechende Namen hatten. Also Bücher, die ihre Leser nicht wie gleichberechtigte Partner und Verschwörer behandeln, sondern wie dumme Kinder, die erzogen werden müssen. Das soll nicht heißen, dass die Bücher von Dahl so geschrieben sind, das kann ich, wie gesagt, gar nicht beurteilen, aber manche Filmadaptionen seiner Werke erwecken genau diesen Eindruck.

Charlie und die Schokoladenfabrik wurde bereits zweimal verfilmt. Der Klassiker mit Gene Wilder aus den frühen Siebzigern wurde erst im Fernsehen so richtig beliebt, nachdem er sich an den Kinokassen als Flop erwiesen hatte. Und die Version von Tim Burton habe ich höchstwahrscheinlich damals gesehen, kann mich aber an absolut nichts erinnern. Nun gibt es zwar keinen dritten Anlauf, aber immerhin ein Prequel.

Wahrscheinlich wäre es das Beste gewesen, den Film vor Weihnachten zu sehen, wenn man in der richtigen Stimmung und empfänglich für süßliche Stories ist. Leider hatte ich zu dem Zeitpunkt keine Zeit, überhaupt ins Kino zu gehen, dann kamen der Januar mit einer fiesen Erkältung, der Filmwoche und neueren Filmen, und so sind wir erst jetzt dazu gekommen, den Weihnachtserfolgsfilm anzuschauen.

Wonka

Nach einer siebenjährigen Reise durch die Welt, auf der Suche nach den exotischsten Zutaten, erreicht Willy Wonka (Timothée Chalamet) eine Stadt, deren berühmtes Feinschmecker-Paradies Galeries Gourmets schon als Kind seine Gedanken beflügelt hat. Hier möchte er in einem Geschäft seine besonderen Schokoladenkreationen verkaufen, um auf diese Weise seiner verstorbenen Mutter (Sally Hawkins) nahe zu sein. Doch drei fiese Konkurrenten setzen alles daran, ihn aus dem Weg zu räumen. Zusätzlich gerät Wonka in die Fänge der gierigen Wäschereibesitzerin Schrubbes (Olivia Colman).

Als der Film auf einer Tradeshow erstmals vorgestellt wurde, gab es besorgte Stimmen, die gehört hatten, dass er ein Musical sei. Der Verleih versicherte daraufhin, dass dies nicht so sei und es insgesamt nur drei Gesangsnummern gäbe. Das war, um es vorsichtig zu formulieren, eine Fehlinformation. Es gibt definitiv mehr als nur drei Musicaleinlagen. Und dass der Film gleich mit einer beginnt, hat leider nicht dazu beigetragen, mich positiv auf ihn einzustimmen. Grundsätzlich mag ich Musicals sehr gerne – auf der Bühne. Im Film eher weniger, und ich kann nicht einmal sagen, warum. Ich kann selbst den Disneyfilmen nichts abgewinnen, wenn in ihnen gesungen wird (weshalb ich bis heute nicht die Fortsetzung von Frozen angesehen habe).

Wenn ich mich auf die reine Story konzentriere, gibt es an Wonka nicht allzu viel auszusetzen. Das Drehbuch von Regisseur Paul King und Simon Farnaby ist solide geschrieben, stellt seinen Helden von Anfang an als freundlich und selbstlos vor, aber auch als reichlich naiv. Wenn er den Vertrag von Frau Schrubbes trotz der eindringlichen Warnung des Waisenkinds Noodle (Calah Lane) unterschreibt, möchte man die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Doch auch dafür gibt es später eine plausible Erklärung: Wonka kann nämlich nicht lesen.

Diese Schwäche macht die Figur, als ob das überhaupt nötig wäre, noch sympathischer. Überhaupt ist er ein durch und durch netter Zeitgenosse, der nur das Gute in den Menschen sehen möchte und der über einen unerschütterlichen Optimismus verfügt. Er erinnert stark an Dickenssche Helden wie David Copperfield, und wie jenen widerfährt auch Wonka eine Menge Unrecht. Dennoch verfolgt er weiterhin hartnäckig sein Ziel vom eigenen Schokoladengeschäft, und es steht von Anfang außer Frage, dass er dieses trotz heftigen Widerstands erreichen wird.

Ihm zur Seite stehen einige weitere liebenswerte Figuren mit sprechenden Namen wie Abakus Klug (Jim Carter) oder Ludwig Kicherlaut (Rich Fulcher), die Buchhalter bzw. Komiker sind. Zusammen müssen sie einige Abenteuer bestehen, gegen die drei Fieslinge, die den schokosüchtigen Polizeichef auf ihrer Seite haben, und ihre Unterdrücker Schrubbes und Bleicher kämpfen. Der Geschichte mangelt es also nicht an Bösewichtern und Herausforderungen, was sie ungemein abwechslungsreich macht.

Das alles wäre schön und gut, wenn es nicht einige Elemente gäbe, die einem sauer aufstoßen würden. Allen voran die unmotivierten Gesangsnummern in überproduzierten Sets, die so opulent und farbenfroh sind, dass es selbst Liberace zu viel wäre. Für die kindlichen Zuschauer wurden die Liedtexte übersetzt, und auch wenn man sich dabei viel Mühe gegeben hat, geht leider der Charme, den diese Szenen im Original besitzen mögen, vollkommen verloren. Sie wirken lahm und wenig mitreißend, und ich habe bei jeder einzelnen leise aufgestöhnt und gedacht: Müssen sie wirklich schon wieder singen?

Leider neigen auch einige Schauspieler, allen voran die ansonsten stets großartige Olivia Colman, dazu, viel zu stark aufzudrehen – bis zu Grenze zum Chargieren. Eine sehr ähnliche Rolle hat sie im Mehrteiler Les Misérables besser gespielt. Warum glauben Schauspieler und Regisseure immer, dass sie in Kinderfilmen so dick auftragen müssen? Weniger wäre hier auf jeden Fall mehr gewesen.

Ein weiterer Punkt ist das „magische Talent“ Wonkas. Vielleicht ist es in der Vorlage schon so angelegt und damit unabdingbar, aber die Tatsache, dass Wonka einfach alles, was er braucht, aus dem Hut zaubert, hat mir die an sich nette Geschichte vermiest. Dass er für seine Kreationen lächerliche Zutaten benötigt, um ihnen das gewisse Etwas zu verleihen, ist der kindlichen Imagination geschuldet und durchaus akzeptabel (obwohl ich vermutlich schon als Kind deshalb mit den Augen gerollt hätte), aber dass er tonnenweise Schokolade produziert, ohne auch nur ansatzweise über entsprechende Zutaten zu verfügen, ist lächerlich. Genauso gut könnte er auch einfach das Geld aus seinem Hut zaubern, das er benötigt, um Schrubbes auszuzahlen.

Letzten Endes ist es diese Infantilisierung des an sich schönen Stoffes und die Überdrehtheit in vielen Szenen, gepaart mit den überflüssigen Musicalnummern, die mir den Spaß an Wonka verdorben haben. Ich wurde mit dem Film einfach nicht warm, obwohl ich die Figuren und ihre Geschichte grundsätzlich gemocht habe. Vielleicht ist es ein guter Kinderfilm, als Erwachsener habe ich mich aber nicht von der Magie einfangen lassen. Im Gegenteil, sie hat mich eher genervt. Nennt mich Grinch.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.