An jedem ersten Dienstag im Monat werden ältere Filme gezeigt, die unter dem Label „Best of Cinema“ laufen. Keine richtig alte Produktionen wie Casablanca oder Leoparden küsst man nicht, die ich gerne mal auf der großen Leinwand sehen würde (selbst ein Schmachtfetzen wie Doktor Schiwago oder ein Monumentalepos wie Cleopatra wäre mal eine nette Abwechslung), aber immerhin Filme, die einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben. So wie ich, der etliche davon bereits bei ihrer Erstaufführung gesehen hat.
Wann genau oder mit wem ich Harry und Sally seinerzeit geschaut habe, weiß ich nicht mehr, aber 1989 war ein außergewöhnlich spannendes Kinojahr, in dem eine Menge guter Filme erschienen sind. Und nicht nur die Qualität war bemerkenswert, auch die Diversität der Produktionen konnte sich sehen lassen, denn damals wurde tatsächlich noch Kino für jede Interessensgruppe gemacht. Heute dagegen hat man das Gefühl, es gibt nur Popcornkino (meist in Form von Superheldenfilmen), Horror, Kinderfilme und Arthausdramen.
Der Topfilm 1989 war natürlich Rain Man, aber mit Gefährliche Liebschaften und Angeklagt gab es noch weitere Spitzenfilme, die auch Oscarkandidaten waren. Überhaupt liest sich die Liste der nominierten Filme überaus beeindruckend, denn zu den weiteren Titel gehören: Die Reisen des Mr. Leary, Mississippi Burning, Die Waffen der Frauen, Ein Fisch namens Wanda oder Gorillas im Nebel, um nur die zu nennen, die in jenem Jahr bei uns anliefen. Heute muss man sich direkt anstrengen, wenigstens ein paar Filme zu finden, von denen man überzeugt ist, dass sie einen Preis auch wirklich verdient haben.
1989 war auch das Jahr von Brennpunkt L.A., Indiana Jones und der letzte Kreuzzug, Abyss und Batman. Es gab mit In einem Land vor unserer Zeit einen Animationsklassiker und mit Otto der Außerfriesische und Herbstmilch sogar zwei erfolgreiche deutsche Filme. Das Arthaus war ungeheuer stark vertreten mit Titeln wie Cinema Paradiso, Almodovars Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, Sex, Lügen &Video, Pelle der Eroberer und Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber. Und sogar ein Melodram, bei dem garantiert kein Auge trocken bleibt, hat es noch in die Top 100 geschafft: Freundinnen.
Vor allem war es ein Jahr der Komödien. Neben den bereits genannten Schwergewichten gab es noch Hits wie Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft, Die nackte Kanone oder Skin Deep – Männer haben’s auch nicht leicht, aber auch Albernes wie Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit, Zwei hinreißend verdorbene Schurken, Immer Ärger mit Bernie, High Spirits oder Erik der Wikinger.
Bei dieser überreichen Auswahl und den großartigen Filmen wird mir tatsächlich ganz wehmütig ums Herz. Aber zurück zum Valentinstag: Warum nicht einmal einen Klassiker wie Notting Hill anschauen – oder:
Harry und Sally
1977 bilden die beiden College-Absolventen Harry (Billy Crystal) und Sally (Meg Ryan) eine Fahrgemeinschaft nach New York. Auf der achtzehnstündigen Fahrt lernen sie sich besser kennen – und können sich nicht leiden. Auch als sie sich fünf Jahre später in einem Flugzeug über den Weg laufen, sind sie sich nicht wirklich sympathisch. Das ändert sich erst weitere fünf Jahre danach, als beide gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich haben.
Können Männer und Frauen einfach nur Freunde sein? Diese Frage stellt der Film, ohne eine klare Antwort zu geben. Harry stellt schon bei der ersten Begegnung mit Sally, als sie ihn abblitzen lässt, weil er mit einer ihrer Freundinnen liiert ist, fest, dass eine platonische Freundschaft unmöglich ist, weil immer der Sex zwischen ihnen steht. Es ist im Grunde eine sehr männliche, fast schon chauvinistische Haltung, die suggeriert, dass Männer grundsätzlich mit jedem weiblichen Wesen, das sie kennenlernen, schlafen wollen, egal, ob sie ihr Gegenüber attraktiv finden oder nicht. Heute würde man diese Behauptung vermutlich nicht mehr so aufstellen, zu sehr haben sich die Vorstellungen von Männlichkeit, Gender und Beziehungen geändert.
Es ist erstaunlich, wie frisch und aufgeweckt dieser über dreißig Jahre alte Film dennoch für heutige Zuschauer wirkt. Er ist kaum gealtert, obwohl man am Make-up, den Frisuren und der Kleidung durchaus noch die Achtziger erkennt, und irgendwie findet man es auch erstaunlich, dass die Telefone Leitungen haben und keiner ständig auf sein Handy schaut. Aber die Geschichte selbst ist nahezu zeitlos, die Witze funktionieren auch heute noch wunderbar, und sogar das Tempo ist ruhig, aber nicht zu langsam. Harry und Sally ist tatsächlich ein zeitloser Klassiker.
Von den Schrifttafeln während des Vorspanns, über die Dialoge hin zur jazzlastigen Musikauswahl sieht er allerdings auch so aus, als wäre es ein Woody-Allen-Film. Inspiration hat bekanntlich viele Väter und Mütter. Drehbuchautorin Nora Ephron hat sich angeblich von Der Stadtneurotiker inspirieren lassen, und Regisseur Rob Reiner hat, ähnlich wie Allen, seine Liebe zu New York in die Bilder einfließen lassen. Außerdem hat der Regisseur seine Erfahrungen mit einer Scheidung benutzt, um Harrys Figur glaubwürdiger zu gestalten.
Überhaupt New York: Nachdem wir vergangenes Jahr wieder dort und zum ersten Mal bei Katz’s Delicatessen waren, wo eine der besten Szenen des Films spielt („I’ll have what she’s having“), oder am ebenfalls wichtigen Schauplatz Washington Square, weiß man die Orte und ihre Magie noch besser zu würdigen. Man fühlt sich den Figuren damit gleich um einiges näher.
Eine weitere Inspiration für den Film sind natürlich die Screwball Comedies der Dreißiger und Vierziger, in denen das Verhältnis der Geschlechter zueinander in pointierten Wortgefechten verhandelt wurde. Ephron greift diese Geschlechterdynamik auf und überträgt sie gekonnt auf die späten Achtziger, als der Feminismus bereits einiges dazu beigetragen hat, diese Dynamik zu verändern und die Menschen zu verunsichern. Insgesamt funktioniert das alles auch heute noch wunderbar, ist ebenso witzig und einfallsreich wie 1989, mit einigen, wenigen Abstrichen vielleicht, und auch die Story selbst ist nach wie vor beschwingt, nachdenklich und überraschend romantisch. Lediglich im letzten Drittel, wenn die beiden Hauptfiguren noch nicht so recht wissen, ob sie ein Paar werden sollen oder nicht, schleichen sich ein paar kleinere Längen ein, weil man den beiden nicht so recht in ihren Gedankengängen folgen kann. Und eine typische Ephron-Eigenheit gibt es ebenfalls im Skript: Man sieht keine der Figuren jemals arbeiten, ihr gesamtes Berufsleben wirkt nur behauptet, und keiner leidet offenbar unter Geldsorgen, sondern lebt in für New Yorker Verhältnisse geradezu luxuriösen Wohnungen.
Sehr schön sind auch die diversen dokumentarischen Einspieler von Paaren, die erzählen, wie sie sich kennengelernt haben. Oder die diversen Running Gags. Es ist einfach erfrischend, endlich mal wieder eine richtige Komödie zu sehen, die nicht darauf setzt, ihre Figuren vorzuführen, die über kluge, pointierte Dialoge verfügt und gekonnt die Balance zwischen Humor und Romantik findet. Um mit einem Zitat von Kenny Rogers zu enden: „They don’t make them like they used to.“
Note: 2+