Barbie

Nachdem der Film für acht Oscars nominiert wurde, kam er am vergangenen Wochenende wieder in die Kinos. Der Verleih hofft, auf diese Weise noch die sechs Millionen-Besuchermarke zu knacken, was den ohnehin schon beeindruckenden Erfolg noch beeindruckender machen würde, und für mich bestand so die Gelegenheit, ihn doch noch auf der großen Leinwand zu sehen.

Über den Film ist so viel gesagt und geschrieben worden, dass es unmöglich ist, ihn sich unvoreingenommen anzuschauen. Persönlich habe ich keinerlei Bezug zu dem Spielzeug, ich erinnere mich aber daran, dass Feministinnen früher die Puppen verteufelt haben, weil sie die sexuelle Objektifizierung von Frauen, Genderklischees und ein falsches Körperideal popagierten. Inzwischen hat sich jedoch der Feminismus weiterentwickelt und viel von seiner unerbittlichen Strenge verloren, dennoch gibt es noch einiges, was man an dem Spielzeug kritisieren könnte. Ist Barbie also nur der geniale PR-Coup einer profitorientierten Spielzeugfirma, der von dem Hype um Barbenheimer profitiert hat, oder doch ein feministisches Meisterwerk, das unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält?

Barbie

Sterotyp-Barbie (Margot Robbie) lebt glücklich und zufrieden in ihrer Traumvilla in Barbieland, wo alles rosa und verspielt ist. Sie trifft sich mit all den anderen Barbies, die Ärztinnen, Richterinnen oder Präsidentin sind, denn Barbieland ist ein Matriarchat, in dem alle Kens nur treue Begleiter ihrer jeweiligen Barbie sind, man hat zusammen Spaß, feiert Partys und genießt das Leben. Doch Barbie denkt plötzlich an den Tod und rutscht in eine existenzielle Krise, die auch ihre „Barbieheit“ gefährdet. Plötzlich ist sie anders als alle anderen. Deshalb rät ihr die komische Barbie (Kate McKinnon), in die reale Welt zu reisen, denn alle Probleme haben ihren Ursprung bei dem Mädchen, das mit ihr spielt. Zusammen mit Ken (Ryan Gosling) macht sie sich auf den Weg ins Unbekannte.

Der Film beginnt mit einer Überraschung, denn der erste, von 2001: Odyssee im Weltraum inspirierte Teaser ist tatsächlich der Anfang des Films, in dem Barbies Ankunft in der Welt einer Revolution gleichkommt. Gab es zuvor nur Babypuppen, die die Mädchen auf ihre Mutterrolle vorbereitet haben, durften sie nun mit einer Erwachsenenpuppe spielen und sich auf anderen Aufgaben vorbereiten. Dass dies lange Zeit nur die Rolle war, hübsch auszusehen, blond und spindeldürr zu sein, jede Menge Kleider und Accessoires zu kaufen und in einer pinken Villa wie in einem Vogelkäfig zu hausen, verschweigt die Geschichte. Stattdessen wird auf Barbies Diversität hingewiesen. Barbie hat viele Hautfarben und Körperformen, sie ist Ärztin, Bauarbeiterin, Richterin usw., womit den Mädchen signalisiert wird, dass sie alles erreichen und alles werden können, sogar Müllwerkerin. Und die Barbies in Barbieland glauben das, sie sind davon überzeugt, dass die reale Welt so ist wie ihr Leben und alle Mädchen sie lieben und ihnen dankbar sind.

Das Szenario, das Regisseurin Greta Gerwig und Noah Baumbach in ihrem Drehbuch entwerfen, ist genial, vereint eine tiefe Huldigung an Mattel, ohne dabei komplett auf Seitenhiebe gegen den Konzern zu verzichten, mit offener Gesellschaftskritik und bestimmt so den Tonfall des Films. Auch die Ausgestaltung von Barbieland ist überaus gelungen, orientiert sie sich doch stark an der Produktpalette und ist damit einerseits perfekte Werbung, schafft es aber anderseits auch, über die Dialoge Konsumkritik zu üben. Hinzukommt, dass Gerwig auch längst aus der Produktionsserie verschwundene Puppen wie Allan (Michael Cera) oder Mitch (Emerald Fennell, die Regisseurin von Saltburn und Promising Young Woman hat bekanntlich als Schauspielerin begonnen) ein Zuhause gibt, sie teilweise sogar als Schnapsideen bezeichnet (wie die Barbie mit dem Bildschirm im Rücken) und auch auf diese Weise Kritik am Konzern übt.

Barbie ist Hommage, Reminiszenz und Tadel in einem, und diese Mischung macht den Film glaubwürdig und dank seiner Selbstironie auch wunderbar unterhaltsam. Gerwig hat eine Art filmischen Essay geschaffen, in dem sie über die historische Bedeutung von Barbie nachdenkt, welche Rolle sie in der Sozialisierung von Mädchen und Frauen im Laufe der Jahrzehnte gespielt hat und wie sich diese Rolle verändert hat. Wie der Konzern Anpassungen an den Zeitgeschmack und das veränderte Rollenverhalten nimmt, um weiter Geld verdienen zu können, wie diese Bemühungen aber, der Kritik der frühen Feministinnen zum Trotz, auch dazu beigetragen haben, dass Mädchen beim Spielen davon geträumt haben, wie ihre Puppe Ärztin oder Astronautin zu werden. Doch damit nicht genug, Gerwig geht noch weiter, indem sie über das Frausein im frühen 21. Jahrhundert nachdenkt und das idealisierte, auf Werbeversprechen gegründete Barbieland mit der Realität kollidieren lässt, als Barbie und Ken den pinken Ziegelsteinweg beschreiten. Oder vielmehr die diversen Fortbewegungsmittel bemühen, die Barbie im Verlauf der Zeit bekommen hat. Fehlen eigentlich nur noch die Bestellnummern und Preise.

Dass die reale Welt ganz und gar nicht den Vorstellungen der Puppen entspricht, liegt auf der Hand, und wie Barbie erkennt, dass Frauen nicht so stark und selbstbewusst sind und die Gesellschaft in scharfem Kontrast zu ihrer Welt steht, wird von Robbie wunderbar gespielt. Hier trifft sie schließlich auf Gloria (America Ferrera), die bei Mattel arbeitet und durch ihre Fantasie Barbie beeinflusst hat, denn die Puppe gehörte einst ihrer Tochter. Von ihr stammen die Todesgedanken und die Cellulite, die Barbie das Leben schwer gemacht haben und Grund für ihr Weggehen waren. Gloria hat wiederum Probleme mit ihrer Teenagertochter, die mit Barbies nichts mehr anfangen kann. Leider wird die Begegnung von Barbie und ihrer „Besitzerin“ viel zu profan und gleichgültig beschrieben, und tatsächlich fällt die Story ab diesem Moment rapide ab.

Das erste Drittel des Films ist großartig, witzig, einfallsreich und klug durchdacht. Es sind die vielen, liebevollen Details (wie die eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten der Barbies), die den Film aufwerten, vor allem aber die zwar wenig subtilen, aber dafür brillanten Dialoge über weibliches Selbstverständnis und die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Letzteres Thema wird von Gloria in einem Monolog gegen Ende angesprochen und gehört zu den Höhepunkten des Films. Dies alles kann man bewundern.

Das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass die Story ziemlicher Quark ist. Auf einen witzigen oder klugen Einfall folgt garantiert ein idiotischer, und so ist ab Barbies Ankunft in Kalifornien alles Hit and Miss. Zwar ist Kens Entdeckung des Patriarchats eine tolle Idee und auch sein Versuch, Barbieland in eine verspielt-witzige Macho-Arena zu verwandeln an sich gut, nur ist die Umsetzung viel zu simpel und plump und funktioniert nur, wenn man sehr viel guten Willen mitbringt und nicht genauer darüber nachdenkt. Es wirkt, als hätten Gerwig und Baumbach am Anfang unheimlich viele, verschiedene Ideen zur Handlung entwickelt, sich dann nicht entscheiden können, welche sie weiterverfolgen sollen, um schließlich alle in einen Topf zu werfen.

Barbies Erscheinen vor dem Mattel-Vorstand ist ungemein witzig, endet dann aber in einer peinlichen Verfolgungsjagd, die auch noch schlecht inszeniert ist. Vermutlich soll es komisch sein, dass sich bei Mattel alle verhalten und bewegen wie ihre Produkte, nur befinden wir uns nicht in Barbieland, sondern in der realen Welt. Die Slapsticknummer im Konzern ist für den Zuschauer ebenso beleidigend wie Will Ferrells Auftritt als CEO insgesamt, und es wäre besser gewesen, sie wären nie nach Barbieland gereist.

So ist die zweite Hälfte des Films ein Flickenteppich aus Ideen, die im Ansatz klug erscheinen, aber dann schlecht umgesetzt oder zumindest nicht zu Ende gedacht wurden. Dabei bleiben vor allem die Figuren auf der Strecke. Dass Kens unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung in patriarchaler Unterdrückung mündet, ist zwar ein wunderbarer Einfall, nur nimmt man die Figur nicht ernst genug und löst diesen starken Konflikt mit einem lächerlichen und dümmlichen Dialog auf, der die Bemühungen zunichtemacht. Wurde anfangs etabliert, dass sich die Gedanken der Mädchen auf die Puppen auswirken und ihre Charaktere formen, ist es nun plötzlich umgekehrt, und Kens Umgestaltung von Barbieland kreiert Konsumwünsche in der realen Welt. Für einen billigen Gag scheint man hier alles opfern zu wollen, selbst die Logik.

Irgendwie gelingt es Gerwig dennoch, ihre Story zu einem versöhnlichen Ende zu bringen, ohne ihre Figuren noch weiter zu beschädigen. Aber es ist dennoch schade, dass die Beziehung zwischen Barbie und Gloria nie richtig vertieft wird, weil sich beide Frauen gegenseitig ergänzen und helfen könnten, ihren Weg zu finden. Stattdessen löst sich einfach alles in Wohlgefallen auf: Gloria versteht sich plötzlich mit ihrer Tochter, Ken ist wieder domestiziert, und der Zuschauer enttäuscht, weil er mehr erwartet hat. Am Ende ist Barbie wie Pinocchio, sie ist sich bewusst, dass sie nur eine Puppe ist, kann sich sogar an ihre Zeit im Karton erinnern – und will ein Mensch werden. Es gibt sogar eine blaue Fee, die es ihr ermöglicht.

Alles in allem ist Barbie okay. Für ein Meisterwerk mangelt es ihm letzten Endes an einer glaubwürdigen, stringenten Story, aber die Dialoge sind, obwohl wenig subtil, intelligent und oft ziemlich witzig. Nach einem starken ersten Drittel schleicht sich leider eine gewisse Enttäuschung darüber ein, dass der Ideenreichtum und die Cleverness nicht beibehalten werden können, aber es gibt noch genügend gelungene Szenen, um nicht das Interesse zu verlieren.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.