Western sind seit jeher beim Publikum beliebt, spiegeln aber wie andere Filme auch stark den Zeitgeist und -geschmack, die Welt- und Wertvorstellungen der Gesellschaft wider, in der sie entstanden sind. Bis Anfang der Siebzigerjahren waren die Indianer in amerikanischen Produktionen zumeist die Bösewichter, grausame, blutrünstige Wilde, die versuchten, Zivilisation und Ordnung zu zerstören. Westdeutsche Western der Sechzigerjahre orientierten sich dagegen vor allem am literarischen Erbe Karl Mays und zeichneten ein humaneres Bild vom amerikanischen Ureinwohner, noch weiter gingen die DEFA-Western, die die Indianer ab Mitte der Sechzigerjahre zu Kriegern gegen Kolonisation und Unterdrückung stilisierten und sich oft an historischen Begebenheiten orientierten.
Kürzlich bin ich bei Kabel Eins Classics über einen DEFA-Indianerfilm (der Begriff Western war in der DDR verpönt) von 1970 gestolpert, der Tödlicher Irrtum heißt und von den Morden an Mitgliedern eines Indianerstammes handelt, die von den Ölfunden auf ihrem Land profitierten. Die Ähnlichkeiten zum neuen Scorsese sind frappierend, die Geschichte, auf der das Drehbuch basiert, hat sich allerdings rund zwanzig Jahre früher und weiter im Westen der USA zugetragen. Das aber nur am Rande.
Gerade hat der neue Film von Martin Scorsese 10 Oscarnominierungen eingeheimst. Ich habe ihn relativ kurz nach dem Start im Kino gesehen und denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, über ihn zu schreiben.
Killers of the Flower Moon
Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) kehrt aus dem Ersten Weltkrieg zurück und zieht zu seinem Onkel William Hale (Robert De Niro), der als „König der Osage Hills“ eine Rinderfarm betreibt. Auf dem Land des angrenzenden Indianerreservats wurde Öl gefunden, und viele der amerikanischen Ureinwohner wurden dadurch schwer reich. Hale will sich einen Teil des Reichtums sichern, indem er Ernest mit Mollie (Lily Gladstone) verheiratet, die zu den Begünstigten des Stammes gehört, und bald nach der Hochzeit sterben Mollies Schwestern und Mutter, durch die Ernests Frau noch reicher wird …
Ein Film von Altmeister Martin Scorsese ist immer ein Ereignis, wird auf den A-Festivals vorgestellt und von der Kritik hymnisch gefeiert. In der Regel finden seine Werke ein ebenso begeistertes Publikum, und auch bei Killers of the Flower Moon ist es nicht anders, wie der IMDb-Wert von knapp 8 beweist. Aber wenn ein Film so große Erwartungen weckt, ist es auch leicht, von ihm enttäuscht zu werden.
Immerhin kann man froh sein, dass der Film eine „richtige“ Kinoauswertung erhalten hat und nicht wie The Irishman nur in einem sehr kurzen Zeitfenster zu sehen war. Das liegt daran, dass auch die Streamer, in diesem Fall Apple, entdeckt haben, dass man mit Kinofilmen richtig Kasse machen kann, schließlich sind die Produktionskosten, genehmigt wurden angeblich 200 Millionen Dollar, üppig. Dafür muss der Konzern schon eine Menge IPhones verkaufen. Und man durfte gespannt sein, wofür das ganze Geld ausgegeben wurde, denn der Trailer sah nicht gerade bildgewaltig aus.
Vermutlich war der Film so teuer, weil die Dreharbeiten so lange dauerten. Entstanden ist dabei eine Unmenge Filmmaterial, gerüchteweise war die erste Fassung ungefähr fünf Stunden lang, wurde von Scorsese allerdings auf knackige 206 Minuten heruntergekürzt, was dem Zuschauer aber immer noch viel Sitzfleisch abverlangt. Ansonsten muss man sich fragen, wofür das Geld noch ausgegeben wurde, denn über große Schauwerte verfügt der Film nicht. Sicher, vor allem zu Beginn gibt es noch beeindruckende Bilder von weiten Ölfeldern und schönen Landschaften, aber woran man sich vor allem erinnern wird, sind endlose Dialogszenen in dunklen Räumen.
Mit Leonardo DiCaprio gibt es zwar einen sympathischen Darsteller, doch sein Ernest Burkhart ist kein netter Mensch, und man fragt sich, warum ausgerechnet er zur Hauptfigur erkoren wurde. Grundsätzlich ist seine Zerrissenheit zwischen der Loyalität zu seinem Onkel und seiner Zuneigung zu Mollie interessant, doch gibt es auch keinen Zweifel, dass für ihn letzten Endes Blut dicker als Wasser ist. Leider macht es weder das Drehbuch noch DiCaprios Darstellung deutlich, warum sein blinder Gehorsam zu seinem Onkel, den man auch als falsch verstandene Dankbarkeit interpretieren kann, größer ist als seine unzweifelhafte Zuneigung zu Mollie. Man bekommt keinen wirklichen Einblick in die Seele dieses Mannes, man wird nie richtig warm mit ihm, und je hinterhältiger, schwächer und verschlagener Ernest agiert, desto mehr verliert man ihn.
Wesentlich sympathischer ist Mollie dargestellt, und Lily Gladstone spielt sie herausragend und mit viel Herzenswärme, doch die Figur bleibt insgesamt zu passiv und verbringt die meiste Zeit krank im Bett. Was aber dennoch für eine Oscarnominierung reichte. Auch die anderen indianischen Figuren werden ausschließlich als willige Opfer und leider auch oft stereotyp dargestellt.
Bleibt noch De Niro, der Bösewicht der Geschichte, der nach außen hin ein Image als großzügiger Wohltäter pflegt, aber der Urheber der Morde an Mollies Familie ist. Auch diese Darstellung ist gelungen, vielleicht die beste De Niros seit langer Zeit, aber auch ein William Hale ist nicht geeignet, den Zuschauer zu fesseln. Zudem ist De Niro viel zu alt für diese Rolle, die für einen Mann Mitte bis Ende vierzig geschrieben wurde.
Erst mit dem Auftauchen der Ermittler bekommt der recht behäbige Film ein gewisses Tempo und zum ersten Mal so etwas wie Spannung, und es wäre vermutlich dramaturgisch geschickter gewesen, die Geschichte als Kriminalfall zu erzählen. Es heißt, dass DiCaprio zuerst für den Part des BOI-Agenten Tom White (Jesse Plemons) vorgesehen war, der in der Kinofassung erst in der zweiten Hälfte des Films auftaucht, um die Morde an den Indianern aufzuklären, aber er wollte lieber den zwielichtigen Neffen von Hale spielen, woraufhin das Drehbuch geändert wurde.
Das Drehbuch von Eric Roth und Martin Scorsese basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch von David Grann (auf Deutsch Das Verbrechen), in dem die Morde an den Osage-Indianern beschrieben werden, aber auch die geniale Aufklärungsarbeit Whites und, nebenbei, einiges über die Anfangsjahre des FBI. Ich selbst kenne das Buch nicht, es scheint aber spannender und aufschlussreicher zu sein als Scorseses Film. Sogar die Wikipediaseite über die Osage-Morde ist interessanter als der Film.
Und damit kommen wir zum eigentlichen Problem: Warum hat Scorsese Killers of the Flower Moon ausgerechnet auf diese Weise erzählt? Sein Hauptanliegen war wohl, ein Schlaglicht auf dieses unrühmliche Kapitel amerikanischer Geschichte zu werfen, denn das Maß an Korruption und Niedertracht, das zu vermutlich über hundert Morden und Betrug in Millionenhöhe geführt hat, war enorm, und die weitaus meisten Taten wurden bis heute nie aufgeklärt.
Aber eine Geschichte über Weiße, die, unterstützt und begünstigt von einem korrupten, rassistischen System, indianische Ureinwohner ausbeuten und ermorden, ist – leider – nicht originell, sondern fällt eher in die Kategorie Hund beißt Mann. Wenn dazu noch die Opfer des Verbrechens passiv und hilflos agieren, geht nicht nur die Spannung verloren, sondern auch die notwendige Empörung will sich, wenn überhaupt, nur schleppend einstellen, was nicht zuletzt daran liegt, dass der dargestellte Sachverhalt, das System der Vormundschaften, sehr kompliziert ist. Andere Verbrechen, wie das Tulsa-Massaker von 1921, das in einer Szene in einer Wochenschau thematisiert werden, sind in ihrer Direktheit wesentlich leichter zu begreifen.
Natürlich hätte man das „System Hale“ dennoch interessanter gestalten können, indem man tatsächlich tiefer in die Materie eintaucht, zeigt, wie Hale als genialer Strippenzieher im Hintergrund die Fäden zieht, wie er seine Neffen unter Druck setzt und seine Organisation im Griff hat, Ärzte, Richter und Sheriff besticht. Man hätte von Loyalität und Verrat, von Skrupellosigkeit und Moral erzählen können, ähnlich wie in GoodFellas, vom Kampf gegen die auswärtigen Gesetzeshüter. Aber die Bösewichter der Geschichte, mit Ausnahme Hales, sind zumeist dumpfe und dumme Zeitgenossen, die man nicht ernstnehmen kann.
Alternativ hätte man auch aus der Perspektive der Ermittler erzählen können. Die Geschichte ist nicht so bekannt, dass jeder Zuschauer alle Einzelheiten kennt, und es hätte sich auf jeden Fall angeboten, einen packenden Whodunnit zu kreieren, der nicht nur die Abgründe menschlicher Grausamkeit enthüllt, sondern auch die Taten in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang stellt. Ansatzweise wird das gegen Ende auch versucht, aber weder Whites Ermittlungsarbeit noch die sich anschließenden Gerichtsverfahren werden besonders ausführlich oder auf eine fesselnde Weise dargestellt. Im Grunde genommen wiederholen sie nur, was man bereits weiß oder schon gesehen hat, und wenn einmal ein empörendes Detail zur Sprache kommt, kann man sicher sein, dass es nur kurz erwähnt wird und keine weitere Rolle spielt.
Killers of the Flower Moon ist die Geschichte zweier Bösewichte, deren Pläne von Anfang dem Publikum bekannt sind und die sie ohne nennenswerten Widerstand verwirklichen, bis sie zum Schluss von Ermittlern auf denkbar unspektakulärste Weise zur Strecke gebracht werden. Das alles wird gut gespielt und hübsch bebildert, ist aber weder eindrucksvoll noch bildgewaltig oder packend. Auch wenn man sich nicht wirklich langweilt, obwohl der Film viel zu lang ist (90 Minuten hätten hier problemlos gereicht), bleibt der schale Geschmack der Enttäuschung zurück, dass man aus diesem großartigen Stoff, mit einem solch üppigen Budget und tollen Darstellern so verdammt wenig herausgeholt hat.
Note: 3-