Saltburn

Als ich vor einigen Monaten den Trailer zu Saltburn sah, wusste ich nicht so recht, was ich davon halten sollte. Schön fotografiert, stylisch in Szene gesetzt, aber welche Geschichte will er erzählen? Irgendwie erinnerte die Story an Wiedersehen mit Brideshead, dank der düsteren Atmosphäre und einiger mehrdeutiger Einstellungen könnte das Ganze aber genauso gut in The Wicker Man umkippen.

In den englischsprachigen Ländern lief der Film im Kino, sogar einigermaßen erfolgreich, bei uns erschien er kürzlich auf Prime Video, und weil plötzlich alle von ihm sprachen, war ich neugierig.

Saltburn

Der ehrgeizige und streberhafte Oliver (Barry Keoghan) beginnt 2006 sein Studium in Oxford, wo er schon bald auf den charmanten und überaus beliebten Felix (Jacob Elordi) aufmerksam wird und sich in ihn verliebt. Die beiden lernen sich zufällig näher kennen, und schon bald gehört der schüchterne, ungelenke Oliver zur Clique des Aristokratensprösslings. Als Felix erfährt, dass Oliver niemanden hat, zu dem er in die Ferien fahren kann, lädt er ihn kurzerhand auf seinen Familiensitz Saltburn ein. Oliver lernt die Eltern (Rosamund Pike und Richard E. Grant) kennen, deren Tochter Venetia (Alison Oliver), die sich ein wenig in ihn verguckt, und schon bald beginnt er geschickt, sie alle gegeneinander auszuspielen. Der Einzige, der ihm misstraut, ist Farleigh (Archie Madekwe), der ähnlich wie Oliver auf die Großzügigkeit der Familie angewiesen ist.

Schon zu Beginn der Geschichte stellt Oliver klar, dass er nicht in Felix verliebt war, aber ihn geliebt hat. Sein Verhalten kann man wohl besser als obsessiv beschreiben, denn er stalkt Felix bereits in Oxford, beobachtet ihn beim Sex mit seinen vielen, wechselnden Partnerinnen und himmelt ihn wenig subtil an. Felix scheint die Aufmerksamkeit zu genießen, macht ihm aber nie Avancen.

Wiedersehen mit Brideshead erzählt eine recht ähnliche Geschichte, nur ist die Rollenverteilung eine andere, hier ist der Adelsspross schwul und in den besten Freund verliebt, der jedoch eine Affäre mit dessen Schwester beginnt. Auch dies passiert in Saltburn, zumindest geht Oliver auf Venetias Annäherungsversuche ein. Am Ende beschreibt sie ihn aber als eine Motte, die vom Licht der Familie angezogen wird, in ihr Haus eindringt und alles zerstört. Man könnte Oliver auch einen Parasiten nennen. Wirklich sympathisch ist er von Anfang an nicht, daran kann auch sein bubihaftes, an den jungen Dustin Hoffman erinnerndes Gesicht nichts ändern. Oliver besitzt etwas Heimtückisches, Verschlagenes, und man hat bereits früh eine Ahnung, dass seine Absichten nicht lauter sind.

Mit dem Wechsel nach Saltburn sollte die Geschichte, die recht vielversprechend in Oxford beginnt, eigentlich an Intensität gewinnen. Man erwartet, dass sich die Beziehungen weiterentwickeln, dass es zu Amouren, Sexkapaden oder wenigstens Konflikten kommt, aber leider passiert so gut wie nichts. Man faulenzt am Pool, spielt Tennis und betrinkt sich. Die Clique aus vier jungen Menschen entwickelt leider überhaupt keine Dynamik, es gibt keine Spannungen, kein Drama. Es ist Brideshead extra light.

Amüsant ist vor allem Rosamund Pike als passiv-aggressive Matrone, die so unterkühlt britisch agiert, dass man sich die ganze Zeit fragt, ob man es mit einer Persiflage zu tun hat. Auch Grant legt eine leicht zerstreute, gutmütige Gutsherrenparodie vor, die besser in ein Historiendrama gepasst hätte. Hier gelingen der Regisseurin und Drehbuchautorin Emerald Fennell immerhin einige schöne Szenen mit pointierten Dialogen. Auch ihr Star aus ihrem Debüt Promising Young Woman, Carey Mulligan, hat eine kleine Nebenrolle als nerviger Hausgast der Familie.

Der Film ist auf jeden Fall ein Augenschmaus, schön bebildert, toll in Szene gesetzt, mit angenehmer Musik untermalt und alles in allem sehr gefällig. Warum die Regisseurin sich aber für das alte Fernsehformat 4:3 entschieden hat, bleibt ein Rätsel. Auch der Look des Films erinnert an alte BBC-Produktionen der Achtzigerjahre wie eben Wiedersehen mit Brideshead. Um diese Ähnlichkeiten zu rechtfertigen, lässt die Autorin Felix irgendwann reüssieren, dass Evelyn Waugh von dem Anwesen seiner Familie besessen gewesen sei. Als könnte sie so die Ähnlichkeiten in eine Art Hommage verwandeln. Und warum die Geschichte, die so aussieht, als würde sie in den späten Siebzigern oder frühen Achtzigern spielen, ausgerechnet im Jahr 2006 angesiedelt ist, wird auch nie geklärt. Es wirkt, wie vieles in diesem Film, völlig willkürlich und scheint sich einzig und allein dem visuellen Konzept der Regisseurin unterzuordnen.

Dass sich ein Autor oder eine Autorin an bekannten Vorlagen orientiert und sich, bisweilen ausgiebig, bei ihnen bedient, ist eine Sache, dass sie dann aber nichts daraus macht, ist eine ganz andere. Weder entwickelt sich ein ordentliches Beziehungsdrama noch eine heimliche, verzweifelte oder womöglich tragische Liebesgeschichte. Alles bleibt oberflächlich und ohne Weiterentwicklung. Fennell setzt vor allem auf provokante Szenen, die jedoch nie ihre volle Wucht entfalten können, weil sie nur Behauptung bleiben.

Im Grunde hat Fennell auch kein Interesse an einer Beziehungsgeschichte, denn sie will von Olivers Versuch erzählen, die einzelnen Familienmitglieder gegeneinander auszuspielen. Hier und da gelingt ihr auch ein ganz guter Einfall, aber leider ist vieles zu durchschaubar und zu wenig durchdacht. Warum niemand Oliver auf die Schliche kommt, ist rätselhaft, sein Erfolg am Ende schlichtweg unglaubwürdig.

Vieles wäre vielleicht verständlicher gewesen, wenn man Oliver besser begreifen würde, aber dazu hätte Fennell früher die Karten der Figuren aufdecken müssen, was sie nicht wollte, um ihren „Twist“ am Ende nicht zu gefährden. Der jedoch keiner ist, weil man jede Entwicklung meilenweit voraussieht.

Alles in allem ist Saltburn ein hübsch bebilderter, leidlich unterhaltsamer Film mit guten Schauspielern und einigen gelungenen Szenen. Er beginnt wie Wiedersehen mit Brideshead nur ohne Tiefe und Drama und endet als Der talentierte Mr. Ripley ohne Highsmiths Raffinesse und Abgründigkeit. Wenn eine so unausgegorene Mischung aus zwei Erfolgsromanen bzw. -filmen für Begeisterungsstürme unter Zuschauern und Kritikern reicht, steht es um das gegenwärtige Kino noch schlechter als ich dachte.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.