Violent Night

In wenigen Tagen ist Heiligabend, und vielleicht fragt sich der eine oder andere, was man sich über die Feiertage anschauen könnte, wenn die Familie fort ist und man im Fresskoma auf dem Sofa liegt. Viele entscheiden sich wohl für einen der Klassiker, aber man möchte ja auch mal etwas Neues sehen. Ich habe mich in den vergangenen Wochen umgesehen und mir dabei die Frage gestellt: Was ist eigentlich ein Weihnachtsfilm?

Ein Weihnachtsfilm sollte sich naheliegenderweise mit dem Fest der Liebe beschäftigen oder zumindest zu dieser Zeit des Jahres spielen, aber darüber hinaus ist alles möglich. Wenn man auf der Suche nach einem passenden Film zum Fest ist, stößt man jedoch vor allem auf peinliche Schmonzetten, die meistens das Wort Weihnachten im Titel haben und auf deren Cover zwei wie Honigkuchenpferde grinsende Personen wahlweise in hässlichen Sweatern oder in Schal und Mantel suggerieren, dass spätestens am zweiten Feiertag jeder verpartnert sein sollte. Wann ist aus dem Geburtstag Christi eine Singlebörse geworden?

Wer einen besinnlichen, nicht kitschigen, sondern bestenfalls sentimentalen, nostalgischen und herzerwärmenden Film sehen möchte, muss wohl oder übel zum millionsten Mal Der kleine Lord, Drei Nüsse für Aschenputtel oder Ist das Leben nicht schön? ansehen. Natürlich gibt es noch andere Märchenfilme, die aber meist nicht so gelungen sind, und last, but noch least die Sissi-Trilogie.

Das Alternativprogramm oder eher Counterprogramming besteht aus actionlastigen Streifen wie Stirb Langsam und albernen Komödien à la Kevin allein zu Haus oder Schöne Bescherung. Eine Mischung aus diesen beiden Genres ist unser heutiger Beitrag.

Violent Night

Alle Jahre wieder kommt der Weihnachtsmann – und er hat es satt. Santa (David Harbour) war einmal ein stattlicher, nordischer Krieger, doch als er in einer Schlacht fiel, landete er nicht in Walhalla, sondern wurde dazu verpflichtet, artigen Kinder durch den Kamin rutschend Geschenke zu bringen. Zu diesem Zweck betritt er die Villa der schwerreichen Industriellen Gertrude (Beverly D’Angelo), die ihre beiden Kinder Jason (Alex Hassell) und Alva (Edi Patterson) mit ihren Familien zu Besuch hat. Plötzlich werden sie jedoch von einer Gruppe schwer bewaffneter Gangster unter der Führung von Scrooge (John Leguizamo) überfallen, die es auf den Tresor im Keller abgesehen hat. Da Jasons kleine Tochter Trudy (Leah Brady) fest an den Weihnachtsmann glaubt und ihn um Hilfe bittet, fühlt Santa sich verpflichtet, den Kampf gegen die bösen Buben aufzunehmen.

Die Prämisse, dass Santa ein über tausend Jahre alter ehemaliger Wikinger ist, den das alljährliche wiederkehrende Ritual des Beschenkens in Depressionen und Suff getrieben hat, ist wunderbar grotesk. Ein wenig erinnert Santa zu Beginn selbst an Scrooge, denn er flucht und säuft und wettert, was das Zeug hält, ein derber, ausgebrannter Krieger, der nur noch ein besserer Paketbote ist. Die Begegnung mit Trudy und ihrer Familie erinnert ihn schließlich daran, dass es immer noch gute Menschen gibt, die belohnt werden sollten, – und eine Menge Bösewichter, die Strafe verdient haben.

Wie es sich gehört, hat Santa eine magische Liste dabei, auf der die Namen aller Menschen in seiner Nähe stehen, inklusive ihrer Missetaten. Diese ist für ein paar lustige Momente gut, aus dem endlos tiefen Sack mit Geschenken hätte man allerdings noch viel mehr herausholen können. Darüber hinaus erschöpft sich Santas Magie mit der Fähigkeit, sich in eine Art Feenstaub aufzulösen und durch den Kamin gesaugt zu werden.

Dass Santa kein unsterbliches, übermenschliches Wesen ist, sondern ein in die Jahre gekommener Kerl, der zu viel trinkt und körperlich nicht der Fitteste ist, ist einer der besseren Einfälle der Autoren Pat Casey und Josh Miller. Vor allem seine Verletzlichkeit macht ihn zum perfekten Helden, um den man zittern kann, denn Santa blutet wie jeder Sterbliche auch und ist trotz seines Alters keineswegs gegen den Tod gefeit. Dadurch wirkt die Figur zugänglicher und sympathischer.

Es dauert leider eine Weile, bis die Geschichte mit der Geiselnahme an Fahrt aufnimmt, und Santa lässt sich auch ganz schön lange bitten, bevor er zum Angriff schreitet. Dafür lernt man Trudys dysfunktionale Familie besser kennen, die vor allem aus Klischeefiguren besteht. Gertrude ist eine kalte, habgierige Frau, die nur vor unnachgiebiger Stärke Respekt zeigt. Alva und ihr schauspielernder Mann Morgen (Cam Gigandet) sind aufgeblasene Wichtigtuer, die man nicht eine Sekunde lang ernstnehmen kann. Jason wirkt zwar deutlich glaubwürdiger, ist aber ebenfalls nicht sympathisch. So bleiben am Ende nur Trudy und Santa, mit denen man sich identifizieren kann.

Das kleine Mädchen, das ein paar Mal zu oft Kevin allein zu Haus gesehen hat, verbündet sich mit Santa und legt einige tödliche Fallen aus, bei denen Macaulay Culkin vor Neid erblassen würde. Die fiesen, aber größtenteils nicht besonders hellen Räuber fallen wie die Fliegen, und auch wenn der Body-Count nicht an Stirb Langsam heranreichen dürfte, ist er ziemlich hoch. Und manche Szenen sind erstaunlich blutig und eklig.

Tommy Wirkola inszeniert das Gemetzel stilsicher und mit einem gehörigen Schuss Humor. Es gibt dabei zwar keine Überraschungen, und auch das an Peter Pan erinnernde Finale ist dem Actionjünger vielleicht eine Spur zu schmalzig, aber wann darf man denn sonst ungestraft rührselig sein, wenn nicht an Weihnachten.

Vielleicht kein neuer Festtagsklassiker, aber für die Fans hartgesottener Actionfilme mit Weihnachtstouch eine solide Alternative zu den sonstigen Streifen.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.