Überredung

Obwohl ich ein großer Fan historischer Stoffe und insbesondere von Romanverfilmung von Jane Austen oder Charles Dickens bin, war ich mir nicht sicher, ob ich mir die jüngste Adaption von Persuasion ansehen soll. Der Roman hat in Deutschland übrigens fünf (!) verschiedene Titel, ich bleibe daher beim Originaltitel. Der Grund für meine Zurückhaltung war, neben den schlechten Kritiken, übrigens das colorblind casting.

Bei zeitgenössischen Stoffen ist dieses Verfahren, um eine Cast diverser zu gestalten, eine feine Sache, bei Historienstoffen halte ich es für eine furchtbare Idee. Ich habe anlässlich meines Beitrags zur Netflix-Schmonzette Bridgerton schon darüber geschrieben und teile nach wie vor die Kritik daran. Es ist schlichtweg Geschichtsfälschung und suggeriert zudem, dass Rassismus und Sklaverei nie existiert haben. Natürlich kann man argumentieren, dass der aufgeklärte Zuschauer dies weiß, aber man sollte auch nie die Kraft der Bilder unterschätzen.

Aber zurück zum Film, den ich mir – als Austen-Fan – schließlich doch angesehen habe.

Überredung

Vor acht Jahren hat Anne (Dakota Johnson) auf Anraten ihrer mütterlichen Freundin, Lady Russell (Nikki Amuka-Bird), den Heiratsantrag eines mittellosen Marine-Offiziers zurückgewiesen. Nun ist Captain Wentworth (Cosmo Jarvis) wieder in England und dank des napoleonischen Krieges zu Reichtum gekommen. Anne hat nach wie vor Gefühle für ihn, doch werden sie wieder zueinanderfinden?

Dakota Johnson ist ein solches Chamäleon, dass ich sie nie in einer Rolle erkenne. Jedes Mal denke ich, dass sie gut ist und ich das Gesicht schon mal gesehen habe, aber wer sie ist, erkenne ich nie. Entweder spricht das für mein schlechtes Gedächtnis für Gesichter oder für ihre Schauspielkunst. Auch in Überredung ist sie großartig und verkörpert die vernünftige, pragmatisch veranlagte Anne perfekt, man spürt ihre Zweifel, ob ihre frühere Entscheidung richtig war, ihre unterdrückten Gefühle für Wentworth, bei denen sie sich nicht ganz sicher ist, ob sie erwidert werden, und die Unsicherheit, ob sie ihrem Urteil trauen soll oder nicht. Und wenn man das nicht aus Johnsons Mimik herauslesen kann, braucht man nur ihren Worten zu lauschen, denn sie erklärt dem Zuschauer alles direkt.

Nicht nur das colorblind casting macht von Anfang an deutlich, dass man es hier mit einer erschreckend modernen Adaption von Persuasion zu tun hat. Die Drehbuchautoren Ron Bass und Alice Victoria Winslow lassen Anne direkt in die Kamera reden und damit die vierte Wand durchbrechen, ein Kunstgriff, der auch in einem historischem Stoff durchaus kraftvoll genutzt werden kann, wie die höchst sehenswerte Serie Gentleman Jack eindrucksvoll bewiesen hat. Es ist nur leider so, dass dieser Kunstgriff überstrapaziert wird. Mitunter ist Annes Rede an den Zuschauer wie ein Audiokommentar dessen, was wir gerade gesehen haben. Vielleicht ist es ja als Service gemeint: Man bekommt als Zuschauer alles präsentiert, muss nicht nachdenken oder eigene Schlüsse ziehen.

Das beginnt schon mit der Vorstellung der Figuren anhand des Adelskalenders, wobei sich die Autoren immerhin noch am Roman orientieren, aber durch die beigefügten Charakterisierungen sogleich darüber hinausschießen. Anstatt dass man sich selbst ein Bild von den Figuren machen kann, wird einem gesagt, was man von ihnen halten soll. Und so geht es weiter: Es werden Szenen aus dem Roman aufgegriffen und ins Lächerliche verdreht. Das erste Wiedersehen von Anne und Wentworth, in der Vorlage eher beiläufig und doch für Anne aufwühlend und qualvoll, wird zur einer Szene aus einer RomCom. Ganz amüsant in seiner clownesken Art, aber völlig unpassend. Viel schlimmer ist jedoch, dass sowohl Anne als auch Wentworth kaum ihre Gefühle verbergen, die Unsicherheit, die bei Jane Austen eine große Rolle spielt, existiert praktisch nicht. Zumindest nicht für den Zuschauer.

In dieser Art setzt sich die Handlung fort, folgt zwar brav den Abläufen des Romans, erlaubt sich aber alberne Eskapaden und würzt das Ganze mit modernen Sprüchen. Da wird von der schicksalhaften Kraft des Universums gefaselt oder die Attraktivität eines Menschen auf einer Skala von eins bis zehn gemessen. Von den eher subtileren historischen Ungenauigkeiten oder den Verstößen gegen gesellschaftliche Normen mal abgesehen.

Alles in allem schwankt der Film von Carrie Cracknell zwischen moderner Romanze und missglücktem Historiendrama und ist in seiner Unentschlossenheit, seiner plumpen Direktheit und Albernheit vor allem eines: überflüssig. Es gibt weitaus bessere Adaptionen.

Note: 4

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.