Die Marvels

Haben die Disney Studios ein Problem? Vor einigen Jahren waren die Marvel-Produktionen noch die reinste Gelddruckmaschine, und die Einspielergebnisse, auch hier in Deutschland, stiegen praktisch von Film zu Film weiter an. Doch jetzt gehen die Zahlen zurück, und die jüngste Produktion legte in den USA sogar den schwächsten Start des gesamten Franchises hin. Bei uns war das Ergebnis „nur“ das viertschlechteste. Woran liegt das? Sind die Leute, wie vielfach behauptet wird, tatsächlich superheldenmüde? Warten sie erst einmal die Mundpropaganda ab, um zu entscheiden, ob sich ein Kinobesuch tatsächlich lohnt? Oder sind die Filme so viel schlechter geworden?

Zu behaupten, wir wären Fanboys, wäre grandios übertrieben, aber bislang haben wir uns noch jede Marvel-Produktion im Kino angesehen, und manchmal hat man ja auch Lust auf eskapistische Abenteuer. Daher waren wir gleich am Starttag von Nummer 33 dabei.

Die Marvels

Die Zerstörung der Obersten Intelligenz durch Carol Danvers alias Captain Marvel (Brie Larson) hat die Kree in einen Bürgerkrieg gestürzt, durch den ihr Planet weitgehend zerstört wurde. Dar-Benn (Zawe Ashton), ihre neue Anführerin, findet ein Quantenband, mit dessen Hilfe sie Sprunglöcher im All manipulieren und so Ressourcen von fremden Planeten stehlen kann. Als Nick Fury (Samuel L. Jackson) zwei dieser Anomalien entdeckt, schickt er Captain Marvel und Captain Rambeau (Teyonah Parris) unabhängig voneinander los, um diese zu untersuchen. Kaum haben sie jedoch die Anomalie berührt, tauschen sie unvermittelt ihre Plätze. Und nicht nur die beiden sind von nun an auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden, sondern auch Kamala Khan (Imam Vellani), die sich Ms. Marvel nennt und das zweite Quantenband besitzt, nach dem Dar-Benn sucht.

Auf Disney+ erscheinen pünktlich zum Start jedes neuen Marvel-Films kurze Biografien der Akteure in der Serie Marvel Studios: Legends, die die Backstory der Helden einigermaßen sinnvoll zusammenfassen (dabei aber regelmäßig auf mein bemerkenswert schlechtes Gedächtnis treffen). Es ist dringend empfohlen, sie sich anzuschauen, am besten jedoch noch einmal Captain Marvel oder sich zumindest eine Inhaltsangabe des Films durchzulesen, sonst sitzt man wie ich in der ersten Viertelstunde im Kino, kratzt sich ratlos am Kopf und sagt: „Hä?“

Kree? Skrulls? Oberste Intelligenz? Gleich zu Beginn werden zwar in einer Rückblende einige Bilder aus Captain Marvel gezeigt, die zeigen, wie sie den Supercomputer der Kree zerstört, aber ich muss gestehen, dass zwar einiges von dem Film bei mir hängengeblieben ist, aber leider nicht dieses Detail. Wenn ich gewusst hätte, dass die Geschichte nun gewissermaßen eine direkte Fortsetzung bekommt, hätte ich mir den ersten Teil vielleicht noch einmal angesehen.

Zum Glück dauert die Verwirrung nur kurz an, denn spätestens, wenn das großen Quanten-Wirrwarr einsetzt und die drei Superheldinnen munter ihre Plätze tauschen, durch die Luft wirbeln, unvermittelt auf gefährliche Gegner stoßen und diese ins heimische Wohnzimmer der Khans in New Jersey mitschleppen, wird man vom Tempo der Erzählung mitgerissen. Es schadet auch nicht, dass das Drehbuch von Regisseurin Nia DaCosta, Megan McDonnell und Elissa Karasik nicht an Humor spart.

Vor allem das begeisterte Fangirl-Getue und die bereits in der Serie etablierte Tollpatschigkeit von Kamala sind sympathisch, herzerfrischend und amüsant. Überhaupt ist Imam Vellani das Herz des Films, die der stets etwas hüftsteifen Larson zu mehr Lockerheit verhilft und auch die Dramatik abmildert, die sich die Autorinnen ausgedacht haben. Schließlich haben die beiden Captains eine Vorgeschichte, die von Verlassensängsten, Enttäuschung und Entfremdung geprägt ist. Und auch Goose, die Nicht-Katze, spielt erneut eine (größere) Rolle und ist immer für einen Lacher gut.

Die Story selbst ist, abgesehen von ihrer komplexen Vorgeschichte, relativ simpel: Captain Marvel muss einsehen, dass sie mit der Zerstörung der Obersten Intelligenz alles nur schlimmer für die Kree gemacht hat, und gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen muss sie der Schurkin das Handwerk legen, bevor diese in einem Racheakt auch die Erde zerstört. Dafür müssen die drei Damen im All jedoch erst einmal ein Team werden.

Überraschenderweise geht es tatsächlich am Ende noch ein bisschen um unsere Heimatwelt oder vielmehr um unsere Sonne, die die Nemesis der Marvels stehlen will. Inwieweit dies möglich ist, sollte man im MCU besser nicht fragen, aber auf verquere Weise ist es tatsächlich folgerichtig. Abgesehen von dem Finale in unserem Sonnensystem ist der Film ein reines Science-Fiction-Abenteuer, das fast nur im Weltall und auf fremden Planeten spielt. Und gelegentlich im Haus der Khans.

Dabei haben sich die Macher einiges getraut: So gibt es einen Abstecher zu einem „Musical-Planeten“, auf dem alle Bewohner mittels Gesang miteinander kommunizieren, und als wäre das noch nicht schräg genug, erinnert alles an eine quietschbunte, alberne Disney-Space-Opera. Wer das Geträller in Animationsfilmen wie Frozen mag, kommt hier sicher auf seine Kosten, alle anderen wähnen sich im falschen Film. Und auch die „Katzenrettungsszene“ ist so gaga, dass der Film unfreiwillig zu seiner eigenen Parodie verkommt. Man muss es gesehen haben und wird es dann immer noch nicht glauben können.

Man fragt sich, ob Marvel sich mit solchen absurden Einfällen wirklich einen Gefallen tut. Vielleicht wird es von vielen Zuschauern goutiert, vielleicht wenden sich andere, die einen eher traditionelleren Ansatz wünschen, mit Grausen ab. Natürlich kann man dagegenhalten, dass es auf Dauer langweilig wird, wenn die Helden jedes Mal die olle Erde retten müssen. Es kann ja auch mal ein anderer Planet sein, wobei diesmal sogar die Existenz des gesamten Universums auf dem Spiel steht, wegen der Löcher, die Dar-Benn gerissen hat. Und im Showdown kommt dann sogar noch das Multiversum ins Spiel.

Ja, das Multiversum spielt in der Multiverse-Saga tatsächlich noch eine Rolle, auch wenn ich (und wahrscheinlich auch nicht wenige Fans) mich langsam frage, ob sich aus all den eingestreuten Elementen in den vergangenen neun Filmen seit dem Start der Saga noch eine brauchbare Story zusammenbasteln lässt. Mit dem Auftauchen von Kang, dem Eroberer in Loki sowie in Ant-Man and the Wasp: Quantumania, in dem auch das Council of Kangs in Erscheinung trat, schien klar, dass sie sich bei Marvel für einen Superschurken entschieden haben und nun eine neue Avengers-Truppe zusammenstellen würden. Darauf deutet auch der Titel Avengers: The Kang Dynasty hin, der 2026 starten soll.

Doch im Gegensatz zu Thanos, dessen geheimes Wirken in nahezu jedem Film zu spüren war, hat man nicht das Gefühl, dass Kang bereits eine wirkliche Bedrohung darstellt. Das kann sich zwar noch ändern, doch wird es langsam Zeit, das Schiff auf Kurs zu bringen. Und was die Avengers angeht: Wie soll dieser Ensemblefilm funktionieren, wenn die Zuschauer die neuen Superhelden weniger mögen als die alte Garde? Reicht der allseits beliebte Spider-Man als Publikumsmagnet aus?

Marvel und Disney verstehen die mageren, wenn auch nicht katastrophalen Einspielergebnisse als Warnschüsse, und es heißt, dass hinter den Kulissen bereits an den notwendigen Korrekturen gearbeitet wird, um dem Franchise zu altem Glanz zu verhelfen. Vielleicht ist es sogar von Vorteil, dass es nächstes Jahr nur einen Film aus dem MCU gibt, wobei man sich fragen muss, wie sie Deadpool 3 darin integrieren. Nun ja, das Multiversum wird es schon richten.

Doch zurück zu Die Marvels: Man muss dem Film auf jeden Fall zugutehalten, dass er vor allem in seiner ersten Hälfte ungeheuer unterhaltsam ist. Er hat, wie gesagt, eine Menge Humor, eine hinreißende Ms. Marvel und geizt auch nicht mit Spannung und Schauwerten. In der zweiten Hälfte jedoch driftet er hingegen leider ein wenig zu sehr ins Formelhafte ab. Auch für den Showdown hätte man sich ein bisschen mehr Bang gewünscht.

Alles in allem ist das Frauenpower-Weltraum-Abenteuer ein solide inszenierter Spaß, der mit 105 Min. nicht einmal übermäßig lang ist

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.