Die Königin des Nordens

Als Fan von Historienfilmen bin ich immer auf der Suche nach interessanten Produktionen. Leider sind meistens die IMDb-Werte zu schwach oder die Geschichte klingt nicht spannend genug, um mich zu fesseln. Daher stand auch dieser Film lange auf meiner Watchlist bei Prime Video, ohne dass ich mich überwinden konnte, ihn mir anzusehen. Bis er auf die Liste der Filme landete, die bald von der Plattform entfernt werden. Tja, und dann hatte ich plötzlich das Gefühl, ich könnte ja was verpassen. Voll FOMO.

Die Königin des Nordens

Margarete I. (Trine Dyrholm), Königin von Dänemark, Norwegen und Schweden, hat erfolgreich alle drei Länder in der Kalmarer Union vereint und ihren Großneffen und Adoptivsohn Erik von Pommern (Morton Hee Andersen) als Herrscher auf den Thron gesetzt. Auf Schloss Kalmar kommen 1402 nun die führenden Adeligen der drei Länder zusammen, um der bevorstehenden Verlobung zwischen Erik und Prinzessin Philippa von England beizuwohnen. Doch plötzlich macht ein Gerücht die Runde: Margaretes Sohn und rechtmäßiger Erbe Olav, der vor fünfzehn Jahren unter mysteriösen Umständen starb, soll gar nicht tot sein, sondern wurde all die Jahre in Preußen gefangen gehalten. Nun ist er geflohen und erscheint vor der Königin.

Der Film hat alles, was ein saftiges Historiendrama ausmacht: Für die Protagonistin steht eine Menge auf dem Spiel, genauer gesagt, ihr gesamtes Lebenswerk, für das sie vieles geopfert hat und das sie mit idealistischem Eifer verteidigt. Neben den inneren Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Adelsfraktionen bedrohen auch äußere Feinde, vor allem in Gestalt des Deutschen Ordens, den Frieden im Land. Im Kern steht aber ein mysteriöser Todesfall, der fünfzehn Jahre zurückliegt und von dem man nicht weiß, ob er nicht ein Mord war – oder überhaupt stattgefunden hat. Mit dem Auftauchen des Mannes, der behauptet, Margaretes Sohn zu sein, nimmt die Story dann früh ihre erste Wendung hin zu einem spannenden Ränke- und Rätselspiel. Zumindest auf dem Papier.

Leider unterlaufen den Autoren Jesper Fink, Maya Ilsøe und Charlotte Siebling, die auch Regie geführt hat, jede Menge Fehler. Das beginnt mit einer unzureichenden Erklärung der historischen Begebenheiten. Man versteht zwar, was die Kalmarer Union ist und was sie bedeutet, doch die unterschiedlichen Fraktionen und ihre Vertreter werden nur am Rande vorgestellt, obwohl sie für den Verlauf der Geschichte wichtig sind. Bis zum Schluss ist für den uninformierten Laien nicht ganz klar, wer eigentlich gegen wen intrigiert.

Zwar spielen die höfischen Ränke nur eine untergeordnete Rolle, doch es werden leider auch andere, wichtigere Sachverhalte unzureichend erklärt. Manches bleibt dabei sogar bloße Behauptung. Auch darüber könnte man zur Not hinwegsehen – wenn das alles nicht so viel Raum einnehmen würde. So folgt man zunehmend ungeduldig endlosen Gesprächen, an denen man bereits längst das Interesse verloren hat.

Der Kern der Geschichte ist das Rätsel um den verlorenen Sohn. Ist Olav tatsächlich am Leben und zurückgekehrt, oder versuchen hier die Feinde des Reiches, mit einem Betrüger Zwietracht zu säen und die frisch geschmiedete Union zu zerstören? Daraus könnte man ein packendes Politdrama machen, aber auch eine kleine, emotionale Geschichte über eine Frau, die mit der Möglichkeit konfrontiert wird, dass ihr einziges Kind noch am Leben sein könnte, die aber gleichzeitig als Herrscherin auch die Konsequenzen abwägen muss, die eine „Wiederauferstehung“ für ihr Reich haben. Mit Erik gibt es zudem einen machthungrigen jungen Mann, der sich nicht so einfach seine Krone nehmen lassen will.

Anstatt mit der Leidenschaft und Neugier einer Ermittlerin an die Sache heranzugehen, den angeblichen Olav genauer zu befragen und die Umstände des Todes ihres Sohnes genauer zu durchleuchten, schiebt Margarete lieber alles auf die lange Bank. Zu viel Raum nehmen auch die Verhandlungen mit dem englischen Gesandten ein, die nun wirklich niemanden interessieren.

Alles bleibt viel zu vage, zu oberflächlich, zu ungenau. Margarete, obwohl von Trine Dyrholm sehr gut gespielt, ist eine distanzierte Frau, deren emotionalen Nöte nie wirklich deutlich werden. Man erwartet von den Skandinaviern vielleicht keine Gefühlsausbrüche, aber ein wenig mehr Leidenschaft wäre schon nett gewesen. Erst gegen Ende, in den letzten dreißig, vierzig Minuten gewinnt der Film an Spannung und Dramatik, und sogar das gemächliche Tempo steigert sich fast unmerklich. Es kommt zu Verrat, ein Krieg droht, und Margarete muss eine schier unmögliche Entscheidung treffen. Für einen kurzen Moment glaubt man tatsächlich, der Filme könnte auf seiner Zielgeraden noch richtig, richtig gut werden.

Wird er aber nicht.

Note: 4+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.