In der Bibel heißt es, Frauen mögen doch bitte in der Kirche schweigen, und damit ist eigentlich schon alles über das reaktionäre Frauenbild im Christentum gesagt. In den anderen Religionen sieht es auch nicht viel besser aus, und auch wenn es inzwischen vereinzelte Fortschritte in Sachen Mitbestimmung gegeben hat, sind diese in vielen Fällen noch nicht weit genug gegangen.
Die #MeToo-Bewegung, die vor gut fünf Jahren damit begann, sexuelle Diskriminierung und Belästigung von Frauen anzuprangern, ist inzwischen in alle gesellschaftlichen Bereiche vorgestoßen und vermutlich – leider – noch nicht am Ende. Im Film Die Aussprache (im viel treffenderen Original Women Talking) geht es um sexuellen Missbrauch in der abgeschiedenen Religionsgemeinschaft der Mennoniten und damit auch um einen faszinierenden Einblick in eine fremde Welt.
In Deutschland hat der Film, trotz eines Oscars für das beste adaptierte Drehbuch, leider kaum Eindruck hinterlassen und nur 34.000 Besucher erreicht. Aber nun ist er bei Prime Video zu sehen.
Die Aussprache
Die Frauen einer mennonitischen „Kolonie“ haben herausgefunden, dass sie und teilweise auch ihre Kinder über Jahre von den Männern der Gemeinde mit einem Betäubungsmittel für Kühe bewusstlos gemacht und vergewaltigt wurden. Etwaige diffuse Erinnerungen an diese Taten wurden als Einbildung oder als Werk des Teufels abgetan, doch nachdem ein Mann auf frischer Tat ertappt wurde und seine Komplizen verraten hat, haben die Frauen die Polizei eingeschaltet. Die Männer kamen in Haft, doch die Gemeindevorstände wollen sie auf Kaution freibekommen und verlangen von den Frauen, ihnen zu vergeben (und die Anzeigen zurückzuziehen). Nun müssen sich die Frauen (u.a. Rooney Mara, Claire Foy, Jessie Buckley und Frances McDormand) entscheiden, ob sie den Männern vergeben, bleiben und gegen sie kämpfen oder die Kolonie verlassen.
Der Film basiert auf einem Bestseller der kanadischen Autorin Miriam Toews, die aus einer mennonitischen Gemeinde stammt und sich auch bereits in früheren Werken mit ihrer Herkunft auseinandergesetzt hat. Frances McDormand hat sich bereits früh die Rechte an dem Buch gesichert und fungiert in erster Linie als Produzentin, im Film hat sie nur einen kurzen Auftritt.
Doch ihre Mitstreiterinnen sind selbst Schwergewichte des Gegenwartskinos, und die Performance, vor allem von Mara, Foy und Buckley, ist durchweg bemerkenswert. Es ist ein reiner Film von Frauen über Frauen, lediglich Ben Whishaw hat eine Nebenrolle – als einziger Mann – als Protokollführer und Lehrer, der vor Jahren die Gemeinschaft verlassen hatte und erst kürzlich zurückgekehrt war, weshalb man ihm vertraut. Außerdem können die Frauen kaum lesen und schreiben. Sein August ist ein sensibler, rücksichtsvoller Mann, den auch auch eine aufkeimende Liebesgeschichte mit Ona (Rooney Mara) verbindet, die nach einer Vergewaltigung schwanger ist.
In einer Abstimmung haben die Frauen sich dagegen entschieden, einfach zu bleiben und sich in ihr Schicksal zu fügen, weshalb nur noch Kampf oder Flucht zur Debatte stehen. Ein Verlassen der Gemeinschaft bedeutet nach dem Glauben der Frauen, ein Verzicht auf das Himmelsreich, während ein Kampf gegen die Männer zur Folge haben könnte, dass sie gegen ihre christlichen Überzeugungen verstoßen und damit ihr Seelenheil gefährden. Eine geradezu unmögliche Wahl.
Regisseurin Sarah Polley, die auch das Drehbuch schrieb, verzichtet nicht nur auf die Auftritte der Männer und Peiniger, sondern auch auf einer Darstellung der Gewalt gegen die Frauen. Man sieht nur die Folgen dieser Taten, blaue Flecken, Blut, das Beinen herabrinnt, vor allem aber die Verstörung und die Ängste der Opfer, die nicht wissen, was mit ihnen geschehen ist. Das ist eindringlich geschildert.
Auch ausgespart werden sämtliche Maßnahmen der Männer, die Frauen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Man kann sich vorstellen, dass ein so repressives System, das den weiblichen Mitglieder weder Mitsprache noch Bildung erlaubt, Mittel und Wege findet, sie am Weggang zu hindern, der zu einem massiven Verlust von Arbeitskräften, ein Einfluss ganz zu schweigen, führen würde. Aber nichts davon wird gezeigt oder auch nur als Möglichkeit in den Raum gestellt. Die Frauen scheinen tatsächlich frei zu sein, ihre Sachen zu packen und zu gehen, wenn sie wollen.
Das ist für den Zuschauer zunächst etwas schwer zu verstehen, weil es nicht nachvollziehbar ist. Andererseits spielt die Geschichte in einer Glaubensgemeinschaft, über deren Regeln man kaum etwas weiß, also scheint es zumindest möglich zu sein. Sobald man akzeptiert hat, dass es im Film vor allem um eine Entscheidungsfindung geht, um den Versuch der Frauen, mit dem erlebten Grauen umzugehen, ihre Ängste, ihre Wut, Frustration und Hilflosigkeit zu überwinden und eine Lösung zu finden, die sowohl dem Erlebten Rechnung trägt als auch mit ihrem tiefen Glauben vereinbar ist, kann man sich auf eine ungewöhnliche, aber faszinierende Diskussion einlassen.
Unterbrochen werden die langen Reden, die mitunter zu Streit führen, aber immer wieder versöhnlich enden, von kurzen Rückblenden, in denen man, wie gesagt, ansatzweise das Grauen der Frauen vor Augen geführt bekommt, aber in denen auch Einblicke in das Leben in der sogenannten Kolonie gewährt werden. Auch das ist faszinierend geschildert.
Der Film ist unaufgeregt, geradezu elegisch, wozu die Musik von Hildur Guðnadóttir und vor allem die Kamera von Luc Montpellier entscheidend beitragen. Bisweilen wünscht man sich ein wenig mehr Drama, und es hätte auch nicht geschadet, die Diskussion stärker zu fokussieren und schneller auf den Punkt zu bringen. Mit prägnanteren Dialogen und größerer Klarheit in der Argumentation. An manchen Stellen scheint die Handlung geradezu auf der Stelle zu treten, weil sich die Frauen argumentativ im Kreis drehen. Ein weiterer Punkt, der etwas zu kurz kommt, ist eine präzisere Charakterzeichnung. Man hätte gerne mehr über manche Frauen erfahren, die sich, trotz unterschiedlicher Temperamente, zu sehr ähneln, aber dazu reichte vermutlich die Zeit nicht.
Polley hat einen faszinierenden Film gemacht über eine fremde Welt, über Frauen mit starken Prinzipien und festem Glauben, die erkennen, dass sie zum Opfer ihrer männlichen Verwandten geworden sind. Wie sie damit umgehen, ihr Recht auf Bestrafung einzufordern, ohne dabei selbst zu Täterinnen zu werden, wie sie um ihr seelische Unversehrtheit, um Heilung und eine in der Zukunft vielleicht mögliche Vergebung ringen, ist eindringlich erzählt. Kein leichter Stoff, aber vermutlich ein notwendiger.
Note: 3