In den USA tobt seit vielen Jahren ein Kulturkampf, den politische Kommentatoren inzwischen als kalten Bürgerkrieg bezeichnen. Das Land ist tief gespalten in Progressive und Konservative, die die politische Ausrichtung und den gesellschaftlichen Rahmen der USA für die nächsten Jahre und Jahrzehnte definieren wollen. Das Thema Abtreibung steht dabei an oberster Stelle und wird auch im nächsten Jahr die Wahlen beeinflussen. Das liegt vor allem an dem umstrittenen Urteil des Obersten Gerichtshofs, seine fast fünfzig Jahre zurückliegende Grundsatzentscheidung, durch die den Frauen das verfassungsmäßige Recht zugestanden wurde, selbst über eine Abtreibung zu entscheiden, wieder aufzuheben. Seither kehren viele Bundesstaaten wieder zum Status quo der Sechzigerjahre zurück.
Genau hier setzt Call Jane an, der bei uns Ende 2022 gestartet ist, aber leider nur 27.000 Besucher gefunden hat. Der Trailer sah aber gut aus, die Besetzung ist ebenfalls nicht schlecht, weshalb ich dem Film bei Netflix eine Chance gegeben habe.
Call Jane
Joy (Elizabeth Banks) wird mit 40 Jahren noch einmal schwanger. Ihr Mann Will (Chris Messina) und ihre 15jährige Tochter Charlotte (Grace Edwards) freuen sich auf das Kind, doch dann wird bei Joy eine Kardiomyopathie diagnostiziert, durch die sich die Wahrscheinlichkeit, während der Schwangerschaft zu sterben, auf fünfzig Prozent erhöht. Der Antrag beim Krankenhausvorstand auf einen medizinisch begründeten Abbruch wird einstimmig von den Männern abgelehnt. Joy ist so verzweifelt, dass sie bereits zu einem dubiosen Engelmacher gehen will, als sie an einer Bushaltestelle einen Zettel entdeckt, der sich an Frauen in Not wendet: Call Jane.
Wenn man wissen will, was die Zukunft bereithalten kann, lohnt sich oft ein Blick in die Vergangenheit. Nicht nur in den USA, sondern überall in den westlichen Demokratien sind bestimmte reaktionäre Kräfte auf dem Vormarsch, die die Zeit am liebsten wieder zurückdrehen und viele rechtstaatliche Errungenschaften abschaffen möchten. Ob es das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist, die Ehe für alle oder die Pressefreiheit, im Kampf gegen die Feinde der Demokratie steht viel auf dem Spiel.
Die Sechzigerjahre waren eine ebenfalls stürmische Ära, in der progressive und konservative Kräfte miteinander gerungen haben. Call Jane beginnt mit Joys neugierigem Blick auf eine Demonstration, die vor dem Hotel stattfindet, in dem sie gerade die Beförderung ihres Mannes zum Partner seiner Anwaltskanzlei feiert. Während Joy und Will durch den Hinterausgang hinausgehen, werden vorne Menschen zusammengeschlagen, zu sehen ist das alles freilich nicht, zumindest nicht deutlich.
Damit werden gleich in den ersten Szenen die Stärken und Schwächen des Films definiert. Einerseits erzählt das Drehbuch von Hayley Schore und Roshan Sethi von wichtigen Themen und aufrüttelnden Ereignissen, blendet sie aber weitgehend aus und verzichtet auf eine packende Dramatisierung. Hinzukommt eine etwas gemächliche Regie von Phyllis Nagy, die sich mehr auf ihre Figuren als die Ereignisse konzentriert.
Als Zuschauer folgt man jedoch von Anfang an gerne Joy und ihrer Reise zu ihrem politischen und feministischen Erwachen. Joy ist eine etwas biedere, angepasste Hausfrau, die eine gewisse Leere in ihrem Leben spürt. Ihre beste Freundin Lana (Kate Mara) hat gerade ihren Mann und damit ihren Lebensmittelpunkt verloren, und beide wirken ein wenig orientierungslos und trinken zu viel.
Packend und in manchen Momenten überraschend komisch wird die Geschichte ausgerechnet dann, wenn Joys Leben von einer Handvoll Männer gedankenlos aufs Spiel gesetzt wird, wenn sie mit einem Psychiater über verschiedene Selbstmordszenarien sprechen muss, um auf diese Weise vielleicht an einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer psychischen Notlage zu kommen, oder wenn ihr eine überdrehte Sekretärin rät, sich die Treppe hinunterzustürzen. Dieser makabre Humor steht dem Film gut.
Spätestens wenn Joy an die Janes gerät, jene Gruppe von Frauen, die sich in Chicago zusammengetan haben, um Schwangeren in Not zu helfen, hat der Film sein eigentliches Thema gefunden: weibliche Solidarität. Die Geschichte handelt vor allem vom Zusammenhalt einer Gruppe unterschiedlicher Frauen, die all ihre Differenzen überwinden, um gemeinsam ein Ziel zu verfolgen, und das ist weitgehend gut gelungen.
Am Rande werden noch weitere Themen angeschnitten, etwa der systemimmanente Rassismus, weil viele der Frauen, die sich nicht das nötige Geld für die Abtreibung leisten können, schwarz sind. Auch sind viele Frauen, die eine Abtreibung suchen, Vergewaltigungsopfer. Diese Aspekte werden jedoch kaum vertieft und bestenfalls im Dialog erwähnt, was, dramaturgisch gesehen, nachteilig ist, verzichtet das Buch auf diese Weise auf tiefere Einblicke und Dramatik.
Überhaupt gibt es nur sehr wenige dramatische Szenen. Man sollte meinen, dass eine illegale Organisation, die von Frauen geleitet wird, mit einer Menge Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Manche werden tatsächlich benannt, etwa der Einfluss der Mafia, die sie nicht nur für ihre Räume, sondern auch für Sicherheit bezahlen müssen, die aber nie auftaucht. Oder der Konflikt mit den Ehemännern, Polizisten, der Kirche – es gab mit Sicherheit einige prekäre Situationen, vielleicht auch die Gefahr, entdeckt zu werden, aber auf all das verzichtet der Film. Nur am Ende wird einmal eine Razzia erwähnt, die sie alle beinahe ins Gefängnis gebracht hätte, aber da ist die Geschichte schon vorbei.
Nagy konzentriert sich allein auf Joy und ihre Reise zu sich selbst, was unbestreitbar gut erzählt und von Elizabeth Banks hervorragend gespielt wird und keine Sekunde langweilig ist. Aber es wäre mehr möglich gewesen, viel mehr, und das ist ein bisschen schade. Andererseits kann man das heutzutage über fast jeden Film sagen.
Note: 3+