Enola Holmes 2

Nachdem der erste Teil so erfolgreich war (zumindest soweit Netflix das zugibt), war eine Fortsetzung unausweichlich. Immerhin hat Nancy Springer, die Autorin der Romanvorlage, acht Bände vorgelegt, da ließen sich noch etliche Sequels entwickeln. Dagegen sprechen die hohen Kosten, denn das Production-Value sieht beträchtlich aus, und angeblich hat die Hauptdarstellerin allein schon 10 Millionen kassiert. Ob sich das auszahlt, muss Netflix entscheiden.

Der erste Teil war trotz einiger Schwächen recht charmant, und so habe ich mir zwei Wochen später den zweiten angesehen.

Enola Holmes 2

Enola Holmes (Millie Bobby Brown) eröffnet ihre eigene Detektei in London, die sich schnell zu einem veritablen Misserfolg entwickelt, weil niemand eine Sechzehnjährige mit der Lösung eines Falls beauftragen will – und ihr Bruder Sherlock (Henry Cavill) sowieso die interessantesten Fälle bekommt. An dem Tag, an dem sie ihr Geschäft für immer schließen will, taucht die junge Bessie (Serrana Su-Ling Bliss) auf, die nach ihrer verschwundenen Schwester Sarah (Hannah Dodd) sucht. Beide arbeiten in einer Streichholzfabrik, in der Sarah wichtige Unterlagen gestohlen hat, und es scheint, dass sie in großer Gefahr schwebt, denn ihre Freundin Mae (Abbie Hern) wird ermordet – und Enola als Mörderin verhaftet.

Die Fortsetzung macht genau dort weiter, wo der erste Teil aufgehört hat: Enola hat sich in London eingelebt, doch ihre beruflichen Fortschritte sind übersichtlich, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass sie sechzehn Jahre alt und ihre Stellung als Frau im späten 19. Jahrhundert prekär ist.

Aber dies ist keine reale Geschichte über das Leben einer begabten jungen Frau im viktorianischen England, sondern die Fantasiestory einer Amerikanerin, die sich zwar einiges über diese Zeit, ihre Gepflogenheiten und Regeln angelesen hat, dieses Wissen aber nur als Steinbruch benutzt, aus der sie ihre eigene Welt bastelt, die mehr unserer eigenen Zeit entspricht. Es sieht zwar alles historisch korrekt aus, ist es aber nicht, sondern ein buntes, wild zusammengezimmertes, wokes und turbulentes Spektakel.

Allerdings ein Spektakel, das viel Spaß macht. Das Setdesign ist edel, das London des 19. Jahrhunderts pittoresk, die Kostüme hübsch, die Darsteller famos, und es gibt nicht viel, was man daran auszusetzen hätte, wenn man akzeptiert, dass es sich hier, wie bei Bridgerton, um ein reines Fantasiegebilde handelt, nicht um eine Historienverfilmung.

Enolas zweiter Fall ist sehr viel raffinierter gestrickt als ihr Debüt, zumal schnell klar wird, dass er in einem engen Zusammenhang mit einem Fall ihres Bruders steht, und die beiden nun zusammenarbeiten müssen. Als Zuschauer kann man mitraten und sich freuen, wenn man vor den Spürnasen dem Mörder auf die Spur kommt (wobei die Auflösung ein klein wenig schwach ist). Regisseur Harry Bradbeer erzählt die Geschichte erneut in einem flotten Tempo und mit viel Verve, es gibt spannende, amüsante und sogar ein paar romantische Momente, und selbst das Durchbrechen der vierten Wand ist nicht ganz so nervig wie im ersten Teil. Es scheint, als hätte jemand seine Hausaufgaben gemacht und versucht, alle früheren Schwächen auszumerzen, was weitgehend auch gelungen ist.

Mit Superintendent Grail (David Thwelis) taucht ein neuer Gegenspieler von Enola auf, der ihr das Leben schwer macht und sie sogar ins Gefängnis bringt. Auch Sherlocks Erzfeind Moriarty erscheint zum ersten Mal auf der Bildfläche. Daneben gibt es ein Wiedersehen mit einigen Bekannten: Die Liebesgeschichte mit Lord Tewkesbury (Louis Partridge) entwickelt sich weiter, Eudoria (Helena Bonham Carter) und ihre Komplizin Edith (Susan Wokoma) sorgen für einige explosive Auftritte, und der trottelige Inspector Lestrade (Adeel Akhtar) hat mal wieder keine Ahnung. Und ganz am Ende taucht zum ersten Mal auch ein gewisser Doktor Watson auf.

Die Schwächen der Fortsetzung sind im Grunde die des ersten Teils: Die Story hat wenig mit den bekannten Sherlock Holmes-Romanen oder dem realen 19. Jahrhundert zu tun, erzählt aber auf unterhaltsame Art eine nerdige Coming-of-Age-Geschichte über eine scharfsinnige junge Frau. Wenn die Fälle noch besser werden, kann Netflix gerne so weitermachen.

Note: 3+

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner und verschlagwortet mit von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.