Der Film befand sich seit ein paar Jahren auf meiner Watchlist, inzwischen ist bereits der zweite Teil erschienen, aber irgendwie hatte ich nie Lust, mir die beiden anzusehen. Das liegt zum einen an einer gewissen Sherlock-Holmes-Müdigkeit, zum anderen am schwachen IMDb-Wert.
Pastiches, also Werke, die auf denen anderer Künstler basieren, diese variieren, imitieren, plagiieren oder fortsetzen, gibt es schon seit Jahrhunderten, in unserem contentsüchtigen Zeitalter vermehren sie sich allerdings wie die Pest. Was sie in den Augen von Produzenten beliebt macht, ist, dass sie sich an den Erfolg der Klassiker hängen können, ohne diese erneut zu bemühen. Das Setting ist den Zuschauern bekannt, und wenn das Original beliebt ist, ist man vielleicht eher bereit, der Kopie oder Hommage eine Chance zu geben. In diesem Fall scheint es sich ausgezahlt zu haben, denn Netflix führte die Produktion Ende 2021 auf Platz 7 seiner erfolgreichsten Filme.
Enola Holmes
Sherlock Holmes (Henry Cavill) und sein Bruder Mycroft (Sam Claflin) sind bereits erwachsen und aus dem Haus, der Vater seit Jahren verstorben, so wächst Enola (Millie Bobby Brown) allein mit ihrer Mutter Eudoria (Helena Bonham Carter) in dem großen Herrenhaus der Familie auf. Ihre Erziehung ist unorthodox, denn statt zu sticken lernt die Sechzehnjährige, Rätsel zu lösen, Schach zu spielen und Jiu-Jitsu. Als ihre Mutter, eine leidenschaftliche Suffragette, spurlos verschwindet und Mycroft das Mädchen auf ein Internat schicken will, reißt Enola aus, um in London nach Eudoria zu suchen. Unterwegs trifft sie auf den jungen Lord Edmund (Louis Partridge), den seine Familie zwingen will, zum Militär zu gehen.
Der Film basiert auf einer erfolgreichen Buchreihe von Nancy Springer, die es bereits auf acht Bände geschafft hat. Man merkt, dass sie von einer Amerikanerin geschrieben wurde, die es mit den Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts in der britischen Oberschicht nicht so genau nimmt und alles durch die Brille unserer Zeit betrachtet. Auch das wilde, ungezügelte Temperament der Hauptfigur, ihre Interessen und Eigenschaften wirken seltsam anachronistisch. Und sprechen vielleicht genau deshalb die Leserschaft an.
Papier ist geduldig, und als Leser geht man oft großzügig über Ungereimtheiten oder Ungenauigkeiten hinweg. Im Film wirkt Enola jedoch über weite Strecken ziemlich anstrengend. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Anfang ein wenig zu sehr in die Länge gezogen wird. Man sieht zu oft, wie sie mit ihrer Mutter trainiert, Rätsel löst oder andere Dinge tut, die keine junge Frau des späten 19. Jahrhunderts je getan hätte. Und ob Jiu-Jitsu damals schon so bekannt war, darf ebenfalls bezweifelt werden. Problematisch an der Figur ist jedoch, dass sie keinerlei Wandlung durchmacht. Enola ist eine patente, selbständige und einfallsreiche junge Frau und scheint das schon immer gewesen zu sein. Ängste, Zweifel oder Überforderung kennt sie nicht, und das erschwert den Zugang zu ihr.
Ein weiteres Ärgernis ist das ewige Durchbrechen der vierten Wand, eine dämliche Modeerscheinung, die House of Cards populär gemacht hat und die nun geradezu inflationär eingesetzt wird. Grundsätzlich ist das ein Kunstgriff, der durchaus seine Berechtigung hat, wenn er richtig angewendet wird. Starrt die Hauptfigur jedoch immer wieder in die Kamera, um unnötige Kommentare abzugeben, geht einem das schnell auf die Nerven.
Filme und Bücher, die mit Sherlock Holmes zu tun haben, müssen raffinierte Krimis sein, mit einer packenden Handlung, einem großen Rätsel und einer unerwarteten, verblüffenden Auflösung. Das ist elementar. Leider verfügt Enola Holmes über nichts davon. Das Verschwinden der Mutter spielt nur eine untergeordnete Rolle und wird im zweiten Teil vermutlich ebenfalls Thema sein. Dass mit ihr das Thema Frauenrechte und Emanzipation eingeführt wird, ist ein guter Einfall (in den Büchern brennt sie offenbar mit Roma durch), nur wird dieser Aspekt etwas zu plakativ umgesetzt. Es gibt zu wenig Rätselspannung, zu viele Hinweise liegen direkt auf der Hand, und jede neu entdeckte Information bestätigt die gehegten Vermutungen. Auch der eigentliche Fall, der mit dem jungen Lord zu tun hat, der in Lebensgefahr schwebt, ist viel zu durchschaubar.
Eine schlecht entwickelte Hauptfigur und eine schwache, viel zu vorhersehbare Handlung – kein Wunder, dass der IMDb-Wert so schwach ist. Was macht den Film dann so beliebt bei Netflix? Zum einen liegt es an der wunderbaren Millie Bobby Brown, deren Charme und Energie man sich nicht entziehen kann und die viele Schwächen des Drehbuchs (und auch die zahlreichen historischen Ungenauigkeiten) weitgehend vergessen lässt. Zum anderen gibt es eine niedliche Lovestory mit dem feschen Lord, also etwas fürs Herz der Zuschauer*innen. Und das Tempo ist nach dem gemächlichen Anfang flott genug, um bei der Stange zu bleiben, so dass der Film in seiner zweiten Hälfte recht unterhaltsam ist. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, und ehe man es sich versieht, hat sich Enola Holmes ins Herz des Betrachters geschlichen.
Note: 3