In einem Land, das es nicht mehr gibt

Als China im Frühjahr 1989 brutal die Demokratiebewegung niedergeschlagen hat, waren nur die wenigstens optimistisch, was die weitere Entwicklung im östlichen Europa betraf. Die meisten rechneten mit einem Eingreifen der Sowjets oder zumindest mit einer Niederschlagung der Proteste in der DDR durch die ostdeutsche Polizei oder Armee. Doch je länger der Sommer andauerte, desto unwahrscheinlicher erschien das alles, bis das System im Herbst schließlich kollabierte. So richtig begreifen konnte man das im Westen damals nicht, aber es war eine ungemein aufregende Zeit.

In einem Land, das es nicht mehr gibt

Im Frühsommer 1989 in der DDR: Suzie (Marlene Burow) will ihr Abitur machen und träumt davon, eines Tages Romane zu schreiben, doch als sie mit einem verbotenen Buch erwischt und von der Schule verwiesen wird, ist es damit vorbei. Statt an die Uni muss Suzie nun jeden Tag in eine Fabrik gehen und dort Löcher in Werkstücke bohren. Alles ändert sich jedoch, als sie eines Tages auf dem Weg zur Arbeit von dem Fotografen Kojote (David Schütter) entdeckt wird. Sie bekommt das Angebot, als Mannequin zu arbeiten, befreundet sich mit dem Designer Rudi (Sabin Tambrea), der sie in die Underground-Modeszene einführt, und verliebt sich in Kojote. Doch die allgegenwärtige Staatssicherheit hat bereits ein Auge auf Suzie und ihre Freunde geworfen.

Als Westdeutscher hatte man in den Achtzigerjahren nur eine vage Vorstellung davon, wie es hinter dem Eisernen Vorhang aussah, der eine oder andere ist vielleicht einmal im Rahmen einer Klassenfahrt dorthin gereist, um etwas über die deutsch-deutsche Geschichte zu lernen, aber wirklich auseinandergesetzt hat man sich mit dem Land erst, nachdem die Mauer gefallen war. Aus Dokumentationen, Büchern und Filmen weiß man inzwischen mehr über das Alltagsleben in der DDR, aber dass es dort auch eine lebendige Modeszene gab und eine staatliche Modeindustrie, dürfte für viele neu sein.

Daher ist es schön, dass Aelrun Goette in ihrem Film ein Schlaglicht auf diesen Aspekt der Geschichte wirft und uns mit ihrer Heldin Suzie tief in die Szene eintauchen lässt. Mode hat immer etwas mit Glamour und Schönheit zu tun, zumindest in unserer Vorstellung, und daher wirkt vor allem der erste Teil der Geschichte geradezu märchenhaft. Wie Anne Hathaways Andy in Der Teufel trägt Prada gerät Suzie in eine fremde, schöne und auch erschreckende Welt voller Versuchungen und Abenteuer.

Marlene Burow macht ihre Sache ausgesprochen gut und verzaubert nicht nur die Kreativ-Chefin der Modeindustrie (Claudia Michelsen) und Kojote, sondern auch den Zuschauer. Auch Sabin Tambrea, der oft etwas hüftsteif und theaterhaft wirkt, geht voll in seiner Rolle auf, ist flatterhaft und fantasiebegabt, aber auch rebellisch und subversiv, und liefert dabei eine seiner überzeugendsten Arbeiten ab.

Problematisch ist vor allem ein noch nicht ausgereiftes Drehbuch, das zwar die richtigen Fragen stellt und die richtigen Weichen für die Figuren stellt, es aber nicht schafft, die Geschichte auf Kurs zu halten. Da vieles auf Aelrun Goettes persönlichen Erfahrungen basiert, kann man verstehen, dass sie so viele Aspekte wie möglich unterbringen wollte, nur hat sie sich damit keinen Gefallen getan. Die Handlung greift zu viele Fäden auf, lässt sie im Verlauf immer wieder fallen oder verheddert sie, so dass man als Zuschauer bisweilen darin zappelt wie eine Fliege im Spinnennetz.

In erster Linie ist es die Geschichte einer Emanzipation, nur versteht man vor allem im zweiten Teil nicht mehr so recht, was Suzie eigentlich will. Die Figur wird zu passiv, so dass man die Bindung zu ihr verliert, ihrer Liebesgeschichte mit Kojote fehlt die Leidenschaft, so dass das Ende nicht seine volle dramatische Wucht entfalten kann, und vieles – seien es die Schikanen der Stasi oder auch nur die persönliche Feindschaft eines weiteren Models – wird völlig unzureichend erklärt.

Nach einem schönen, märchenhaften Anfang verliert die Geschichte daher ihren Fokus, den sie erst ganz am Ende wiederfindet. Das ist wirklich schade, weil das Setting toll ist und man Suzie gerne in die Modewelt der DDR folgt. Aber es wird leider nicht so richtig klar, was die Regisseurin eigentlich erzählen will.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.