Abschied vom Big Apple

Der Samstag gehörte allein der Familie. Wir waren mit mehreren Cousinen verabredet, von denen es zwei nicht zur Reunion nach New York geschafft hatten, und trafen uns zum Mittagessen in der Cheesecake Factory in Jersey City. Normalerweise steht der Besuch dieser Kette am Anfang oder am Ende unserer USA-Reise, und irgendwie ist es schön, dass wir zum Schluss diese liebgewordene Tradition noch aufgreifen konnten. Nach einem wunderbaren, ausgedehnten Lunch (Sheilas Chicken and Avocado Salad ist immer noch unser Favorit, gefolgt von einem geteilten Dulce de Leche Caramel Cheesecake), der so lange gedauert hat, dass man ruhig noch das Abendessen hätte anhängen können, haben wir nur noch einen kleinen Bummel durch die angrenzende Mall gemacht (wo in einem Kaufhaus schon die ersten Weihnachtsbäume stehen!), und plötzlich war es schon wieder dunkel. Time flies when you’re having fun.

Für den Sonntag hatten wir uns ein paar Dinge vorgenommen, aber das Wetter hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht: Gleich nach dem Frühstück fing es an zu regnen, und wenn ich regnen sage, meine ich, es hat geschüttet. Natürlich hätten wir zur nächsten Bahnstation schwimmen und nach Manhattan fahren können, um in ein Museum zu gehen, aber wir waren schlichtweg zu faul dazu, und nass werden wollten wir auch nicht. Nicht schon wieder.

Immerhin ließ der Regen am späten Mittag nach, so dass wir einen ausgedehnten Spaziergang durch Jersey City machen konnten. Zwischendurch hat es zwar wieder geregnet, aber nicht allzu stark, und wir hatten zum Glück Schirme dabei. Noch später kam sogar gelegentlich die Sonne raus, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Weil wir Hunger hatten, wollten wir bei Chipotle einen kleinen Snack zu uns nehmen. Wir essen nicht sehr häufig bei der Kette, weil es fast überall bessere mexikanische Restaurants oder Street Food Trucks gibt, aber hin und wieder schmeckt es ganz gut. Quesadillas wären unsere Wahl gewesen, aber das war das einzige Gericht auf der Karte, das man nicht am Tresen, sondern nur online bestellen konnte. Und es wurde keine Ausnahme gemacht. Gründe dafür wurden auch nicht angegeben. Was kommt als nächstes? Bekommt man Tacos nur, wenn der Mond im siebten Haus steht?

Jersey City ist mit seinen beeindruckend hohen, aber insgesamt eher langweiligen Wolkenkratzern eine typisch amerikanische Großstadt und an einem Sonntag weitgehend ausgestorben. Viele Geschäfte gibt es ohnehin nicht, zumindest in dem Viertel, in dem wir unterwegs waren, wodurch die Straßen noch unpersönlicher und fader wirken. Leider auch nicht allzu viele Restaurants, von denen etliche auch noch geschlossen waren. Am Ende sind wir daher erneut in der Cheesecake Factory gelandet, weil die Alternative Fast Food oder ein zwanzigminütiger Marsch zu einem mittelprächtigen Chinesen gewesen wäre. Was mich an der Kette immer ein bisschen verstört, ist die Tatsache, dass neben den Gerichten die Kalorien vermerkt sind. Wer will das wirklich wissen? Vor allem bei Käsekuchen? Von den „Kolorien“, wie meine Großtante immer sagte, etwas eingeschüchtert, haben Mark G. und ich uns gedacht, geteilte Kalorien, sind halbe Kalorien. Diesmal gab es einen Asian Chicken Salad (1600 Kalorien, obwohl es Salat ist) und zum Dessert einen Salted Caramel Cheesecake (1200 Kalorien), die beide ziemlich gut waren, aber nicht so gut wie unsere beiden Favoriten. Und man musste sie auch nicht online bestellen.

Nach dem Essen ging es nochmals zum Hudson River und Water’s Soul (mit einem kurzen Abstecher zum nahen historischen Bahnhof mit Fähranlegestelle), um den Sonnenuntergang zu genießen. Viel Sonne haben wir nicht zu Gesicht bekommen, aber die Stimmung war angenehm, und zum ersten Mal, seit wir in den USA sind, war es nicht heiß und schwül, sondern mild und angenehm. In Manhattan gingen langsam die Lichter an, ein gigantisches Kreuzfahrtschiff, die „Norwegian Escape“, schipperte gemütlich vorbei, und am Ufer hatten sich zahlreiche Familien versammelt, um mit den Kindern zu spielen oder den Hund auszuführen. Es herrschte eine gelöste, geradezu heitere Stimmung, und beim letzten Blick auf die berühmte Skyline kam tatsächlich ein wenig Wehmut auf. Wer weiß, wann wir wieder hier sein werden?

Wer uns ein wenig kennt oder regelmäßig meinen Blog liest, weiß, dass wir früher alle anderthalb bis zwei Jahre in den USA waren. Damals, vor Pandemie und Inflation, war das Land noch relativ günstig für Reisende aus Europa, das hat sich seit dem letzten Jahr aber stark geändert, und auch wenn der Preisschock für uns nicht mehr ganz so heftig war, haben wir so manches Mal durchaus geschluckt bei einem Blick auf die Preistafel. Als wir in Florida einige Tage lang Selbstversorger waren und fürs Frühstück (Bagels mit Frischkäse, etwas Saft, Wasser, Soda, Kaffee und Obst) eingekauft haben, waren plötzlich 120 Dollar weg. Ein Hauptgang in einem einfachen Restaurant, keine Sterneküche, sondern bodenständige Lokale, ist nicht mehr unter 25-30 Dollar (inklusive Steuer und Trinkgeld) zu bekommen. Vorspeise, Getränke oder Dessert nicht mitgerechnet.

Über die Nettopreise habe ich mich schon immer geärgert, weil man nie genau weiß, wie viel etwas kostet. Klar, man kann es grob ausrechnen, aber trotzdem. Wenn man mit einer Gruppe essen geht und keine Einzelrechnungen möglich sind (in der Regel wird eine größere Rechnung nur in zwei oder höchstens drei Teilrechnungen aufgeteilt, mehr erlaubt das Restaurant nicht, und man sollte das immer vor der Bestellung klären), wird es mitunter arg schwierig. Mit sieben Leuten ist das schon eine Herausforderung, aber zum Glück haben Handys einen Taschenrechner.

Neben der Inflation beklagen viele Amerikaner auch die Tipflation: Es wird immer höheres Trinkgeld erwartet. Früher waren 15 Prozent die Regel, dann konnte man wählen zwischen 15, 18 und 20 Prozent, heute sind es eher 20 oder 25, manchmal sogar 30 Prozent. Außerdem wird immer häufiger bei kleinen Dienstleistungen, die früher unter Service fielen, die Hand aufgehalten, im Tankstellenshop oder im Laden beispielsweise. Werden Verkäufer so schlecht bezahlt, dass sie auf Trinkgeld angewiesen sind?

Apropos Service: In New York ist uns aufgefallen, wie schlecht er geworden ist, aber das ist New York, und wenn man nicht angeschrien oder beschimpft wird, kann man das schon als guten Kundendienst verbuchen. Auf dem Land sind sie immer noch am nettesten, und in den Südstaaten, wo einen jede Kellnerin mit fünf verschiedenen Kosenamen anspricht, übertreiben sie es geradezu mit ihrer Höflichkeit. Eine viel nervigere Entwicklung, die sich auch in Deutschland abzeichnet, ist für mich jedoch die Einbeziehung des Konsumenten in den Verkaufsvorgang. In den Supermärkten wird man immer häufiger aufgefordert, die SB-Kasse zu benutzen. Meine Antwort darauf lautet immer: „Nein, danke, ich arbeite hier nicht.“ Manchmal kommt man aber nicht umhin, und in New Orleans ist es uns passiert, dass es in einer Drogerie ausschließlich SB-Kassen gab. Ich finde das durchaus bemerkenswert, dass in einem Land, in dem Tankstellen ihren Kunden nicht einmal so weit trauen, dass sie erst nach dem Tanken bezahlen dürfen, dem Konsumenten die Verantwortung für die korrekte Abrechnung seiner Einkäufe übertragen wird.

Nachdem wir vergangenes Jahr und heuer in den USA waren, werden wir nun einige Zeit pausieren, und wenn wir in einigen Jahren doch noch einmal fahren sollten, steht wohl wieder der Südwesten an. Ich möchte zwar irgendwann auch mal den Indian Summer in Neuengland erleben, aber an der Wüste hängt nun mal mein Herz.

Nachtrag: Wir sind wieder in Deutschland – nach einem relativ unbequemen, aber ereignislosen Flug. Keine Ahnung, ob es am Flugzeugtyp oder United Airlines lag, aber die Stühle waren entsetzlich unbequem, so dass an Schlaf nicht zu denken war, und die Gänge sind so schmal, dass man ständig angerempelt wird, wenn man dort sitzt. Auch das Entertainmentprogramm war enttäuschend, ich habe in Black Adam reingeschaut, und die Tonspur war asynchron, dafür aber so leise, dass man selbst auf höchster Lautstärke kaum etwas verstanden hat. Was natürlich auch an den zu lauten Triebwerken liegen könnte. Aber egal, wir hatten einen wunderbaren Monat in den USA, haben viele neue Leute kennengelernt und liebe Verwandte wiedergetroffen, und von diesen Erinnerungen werden wir noch lange zehren, wenn all die Unannehmlichkeiten schon lange vergessen sind. Jetzt wird es aber erstmal Zeit für das große Abenteuer namens Alltag …

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. und Pi Jay in La-La-Land 2023 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.