Den Dienstag haben wir komplett im Auto verbracht. Rund zehn Stunden Fahrt, inklusive Pausen, um von Charleston nach Washington D.C. zu gelangen – da braucht man ordentlich Sitzfleisch. Die Alternative wäre eine weitere Übernachtung unterwegs gewesen, aber wir wollten lieber mehr Zeit in New York verbringen, und so spannend ist es in den von uns durchquerten Bundesländern nun auch wieder nicht.
Wobei ich mir sicher bin, dass die Carolinas durchaus ihre schönen Ecken haben (Charleston gehört definitiv dazu). Vor allem die Küste soll malerisch sein, und vielleicht gibt es auch noch lohnende Nationalparks oder sogar Berge irgendwo. Nur haben wir weder das eine noch das andere gesehen, dafür jede Menge Wälder entlang des Highways. Eigentlich haben wir nichts anderes gesehen. Wälder und Reklametafeln. Auf sehr vielen davon ging es um Jesus. Den haben wir aber nicht gesehen.
Wenn wir nicht dazu aufgefordert wurden, unsere Sünden zu bekennen oder die Bibel zu lesen (auf einer zehnstündigen Fahrt klingt das schon beinahe nach einer sinnvollen Beschäftigung), wurden wir auf diverse Attraktionen am Wegesrand aufmerksam gemacht. Zum Beispiel für eine Reptilienfarm mit Vergnügungspark, Shoppingcenter und Restaurants, für die rund 150 Meilen lang Werbung gemacht wurde, so dass unsere Erwartungen nur enttäuscht werden konnten. Die gesamte Anlage wirkte verlassen und verwaist, vielleicht hat sie die Pandemie nicht überlegt, vielleicht haben sie auch einfach zu wenige Reklametafeln aufgestellt. Auch wir hatten keine Lust, uns das genauer anzusehen, aber mir kam der Gedanke, dass man hier sehr gut eine Blumhouse-Produktion spielen lassen könnte. Restaurants gab es auch einige, die uns zu sich locken wollten, aber wir blieben Wendy’s treu (so viele Gelegenheiten gibt es ja nicht mehr), und waren damit zufrieden. Wenn man lange unterwegs ist und wenig Zeit hat, ist Fast Food tatsächlich alternativlos. In Virginia hätten wir noch bei einer Erdnussfarm Halt machen können, um uns mit einem Jahresvorrat an Nüssen einzudecken, aber unsere Koffer sind auch ohne diese bereits schwer genug.
Virginia entpuppte sich gegen Ende unserer Reise tatsächlich noch als der Staat, der landschaftlich am reizvollsten war (zugegebenermaßen lag die Messlatte dafür denkbar niedrig): Ansehnliche Farmen mit alten Häusern und endlosen Maisfeldern sowie kleine Städte lagen links und rechts des Highways und stellten eine willkommene Alternative zu den monotonen Wäldern dar. Von denen es aber auch hier viel zu viele gab.
In Washington haben wir den Abend mit der Familie verbracht, Pizza gefuttert und lange gequatscht. Auch der Mittwoch sollte recht entspannt ablaufen, aber das nehmen wir uns ja immer vor, um dann das genaue Gegenteil zu tun. Die Hauptstadt der USA hat so unendlich viel zu bieten, dass es schwerfällt, eine Entscheidung zu treffen. Vor allem gibt es sehr viele interessante Museen, und da wir vor zwei Wochen nur eine Stunde für die National Gallery of Art Zeit hatten, beschlossen wir, uns den Rest anzuschauen. Es war großartig. Also, vor allem für mich. Mark G. ist ja ein ausgesprochener Museumsmuffel, den nicht einmal die Aussicht, im Spy Museum James Bond spielen zu können, reizen konnte. Erstaunlicherweise war er dann von einem Jackson Pollock-Gemälde vollkommen begeistert.
Nach so vielen Eindrücken waren wir allerdings auch relativ müde, und selbst ein – erstaunlich guter – Muffin aus dem Museumscafé konnte unsere Energie nicht so recht wiederbeleben. Mit einem Uber sind wir daher zum Kennedy Center of the Performing Arts gefahren, das zu dieser Tageszeit nahezu ausgestorben war. Dort gibt es eine sehr spannende Ausstellung über JFK, ansonsten kann man die großartige Architektur bewundern und sich in den beiden Hallen, die zum einen den 50 US-Bundesstaaten, zum anderen den Nationen dieser Erde gewidmet sind, wie ein Zwerg fühlen. Ein Eindruck, den man in dieser Stadt häufiger gewinnt. Von der Dachterrasse aus hat man übrigens einen fantastischen Blick auf Washington und Georgetown. Gefühlt war ich höchstens zehn Minuten draußen, was aber für einen Beinahe-Sonnenbrand und ein halbes Dutzend Mückenstiche gereicht hat. Trotz Sonnenschutzfaktor 50 und Mückenspray. Keine Ahnung, warum die Natur es immer auf mich abgesehen hat.
Am Abend waren wir dann leider zu müde für den geplanten Ausflug zur Treppe aus Der Exorzist und der Bar aus St. Elmo’s Fire, die genau gegenüberliegt. Kein Wunder, waren wir doch sieben Stunden lang unterwegs gewesen – bei über 40 Grad im Schatten. So viel zu „lassen wir es mal ruhig angehen“. Zum Abendessen gab es peruanisches Take Out (leckeres Ceviche, natürlich, und das unvermeidliche gegrillte Hühnchen, das neben Meerschweinchen wohl das Nationalgericht zu sein scheint), gefolgt von anregenden Gesprächen bis spät in die Nacht.
Donnerstag machten wir uns dann auf den Rückweg nach New York, der nur vier Stunden dauern sollte, tatsächlich aber den ganzen Tag beansprucht hat. Irgendwie lief es nicht ganz rund. Wir kamen zu spät los, mussten ein paar kleinere Umwege fahren und steckten am Ende in der Rushhour fest. Daher war wieder nur Zeit für einen Burger bzw. Salat bei Wendy’s (wer kann es uns verübeln?). Entschädigt wurden wir mit Pennsylvanias hügeliger Landschaft, in die sich hübsche Kleinstädte und malerische Farmen schmiegten. Dies ist das ländliche oder kleinstädtische Amerika, wie man es aus den Filmen kennt. Na ja, vielleicht nicht aus den heutigen Filmen (Avangers & Co. spielen ja eher selten in US-Kleinstädten), aber aus älteren Filmen. Das Einzige, was die Idylle ein wenig gestört hat, waren die vereinzelten Trump-Fahnen in den Vorgärten. Auch das kennt man aus Hollywood: Die Abgründe lauern überall.
Am frühen Abend erreichten wir schließlich unser Hotel in New Jersey, und weil Mark G. unbedingt ins Kino wollte, um Bottoms zu sehen, haben wir nur schnell unser Gepäck aufs Zimmer gebracht und sind sofort wieder los. Über den Film, der bei uns vermutlich nur bei Prime Video zu sehen sein wird, schreibe ich dann demnächst.