Am Sonntag hieß es, Abschied zu nehmen vom Strand. Morgens um kurz vor sieben, die Sonne war kaum aufgegangen, stand ich schlaftrunken am Fenster, um noch einmal diese großartige Aussicht aufs Meer in mich aufzusaugen, das hellgrau und beinahe friedlich unter einem diffusen goldgelben Himmel schlummerte, als ein einsamer Fischreiher seine Runden zog. Kurz darauf pilgerten dann die ersten Amerikaner zum Strand, stellten ihre Liegestühle auf, errichteten gestreifte Zelte und sicherten sich so die besten Plätze. Streit wird es deshalb wohl eher nicht geben, schließlich ist hier reichlich Platz für alle vorhanden. Da fragt man sich, wo sind die Briten und Deutschen, wenn man sie braucht, um einen zünftigen Handtuchkrieg auszutragen?
In rund sechs Stunden fuhren wir nach St. Augustine, von dem der aufmerksame Leser meines Blogs schon mal gehört haben dürfte, denn wir waren bereits 2018 hier. Es ist die älteste Stadt in den USA, im 16. Jahrhundert von den Spaniern gegründet, und am Labor Day-Wochenende ein touristischer Hotspot. Wir sind ein wenig durch die Fußgängerzone in der historischen Altstadt geschlendert, haben ein Fischbrötchen gegessen und danach ein Eis geschleckt und ein paar der Sehenswürdigkeiten abgeklappert: die Kathedrale mit ihrer roten Decke und dem reich verzierten Gebälk, die älteste Schule, das Fort. Die Stadt platzte schier aus allen Nähten, und uns wurde der Rummel schnell zu viel. Daher sind wir am späten Nachmittag weiter zu unserem Hotel gefahren.
Unterwegs konnten wir übrigens die Schäden sehen, die Hurrikan Idalia auf seinem Weg durch Florida hinterlassen hat. Links und rechts des Highways lagen umgeknickte Bäume, manche hatte man schnell durchgesägt und auf die Seite geschafft, damit der Verkehr wieder ungehindert fließen konnte. Unser Navi hatte sogar noch Überflutungen angekündigt, aber zum Glück waren alle Straßen passierbar.
Am Montag, Labor Day, verließen wir Florida und fuhren durch Georgia nach South Carolina. Nachdem Florida schon seit einigen Jahren heftig mit dem Faschismus liebäugelt, war ich froh, den Staat endlich hinter uns zu lassen. Als Tourist bekommt man die Auswirkungen der Politik ja nicht so deutlich mit, die Spuren sind aber für alle Augen sichtbar. In St. Augustine gab es handgemalte Plakate, die den Präsidenten verunglimpften oder Liberalismus als Geisteskrankheit deklarierten, und entlang des Highways sieht man jede Menge Werbung von Abtreibungsgegnern und religiösen Gemeinschaften. Außerdem ist Florida, landschaftlich betrachtet, einer der langweiligsten Bundesstaaten der USA. Wenn man nicht gerade an der malerischen Küste unterwegs ist, besteht die Aussicht nur aus Wäldern und Sumpf, wo wahlweise Alligatoren oder Sheriffs im Gebüsch lauern. Und ich weiß nicht, wer davon gefährlicher ist.
Der erste Stopp an diesem Tag war Savannah, dem wir ebenfalls vor fünf Jahren einen Besuch abgestattet hatten. Wir mögen diese Stadt mit ihren vielen Parks und dunklen Eichenalleen, von deren Ästen spanisches Moos herabhängt. Leider war es mit rund dreißig Grad immer noch extrem heiß und schwül, weshalb wir nur einen kleinen, gemütlichen Sparziergang unternommen haben. Wir waren in der Kathedrale, die wir beim letzten Mal irgendwie übersehen hatten, obwohl sie sehr hübsch ist, natürlich in der River Street, um ein bisschen Hafenatmosphäre zu schnuppern, und haben danach ein Eis gegessen.
Leopold’s ist eine Institution in Savannah, die seit 1919 besteht, und sogar einige Eissorten werden immer noch nach den Originalrezepten von damals hergestellt. Lemon Custard zum Beispiel, das ich probiert habe, das aber nicht besonders aufregend war, wie Vanilleeis mit einer leichten Zitronennot. Auch das Pfirsicheis (immerhin ist Georgia der Peach State) hatte nur wenig Aroma. Richtig gut waren hingegen das Honig-Mandel-Eis sowie ein Schokoladeneis mit Pecannüssen und Karamellswirl. Genau das Richtige bei dem Wetter.
Vor fünf Jahren hatten wir ganz kurz mit dem Gedanken gespielt, einen neun Meilen langen Umweg zu fahren, um behaupten zu können, dass wir in South Carolina gewesen sind. Am Ende haben wir uns dagegen entschieden, aber heute war es endlich soweit. Mit den beiden Carolinas (der nördliche Staat wird am Dienstag auf dem Weg nach Washington durchquert) und Delaware (am Donnerstag) werde ich am Ende der Reise 28 der 50 US-Bundesstaaten besucht haben. Vermutlich mehr als so mancher Amerikaner.
Nach einem kleinen Zwischenstopp im Hotel, um das Gepäck zu verstauen, ging es am Nachmittag nach Charleston. Wie Savannah auch, ist Charleston eine Planstadt und wurde am Reißbrett entworfen. Anders als Savannah hat man hier auf lauschige Plätze und schummerige Alleen verzichtet, dafür eine luftige, lichte Stadt auf einer Halbinsel errichtet, die noch schöner ist als ihre Rivalin im Süden. Wohlhabende Kaufleute bauten sich herrschaftliche Häuser im Kolonialstil, mit griechischen Säulen, Veranden und klassischen Giebeln. Es gibt stille, ummauerte Gärten, sogar vereinzelt Kopfsteinpflaster, und hier und da brennen noch die alten Gaslaternen. Die ganze Stadt strahlt Ruhe und Wohlstand aus, und anders als in St. Augustine und Savannah war hier nicht so viel los. Vielleicht weil die meisten US-Urlauber am Labor Day-Nachmittag schon wieder nach Hause gefahren waren.
Man darf nur eines nicht vergessen: All der Reichtum entstammt weitgehend dem Sklavenhandel. Es gibt ein sehenswertes Museum im ehemaligen Sklavenmarkt, das dem Thema gewidmet ist, aber da wir an einem Feiertag und noch dazu recht spät in der Stadt waren, war dafür keine Zeit. Wie Savannah und New Orleans (und San Francisco im Westen) ist Charleston eine sehr unamerikanische Stadt, vielleicht ein wenig provinzieller als ich sie mir vorgestellt hatte, aber auch sehr viel hübscher. Der Spaziergang durch das French Quarter und die historische Altstadt, über die Rainbow Row mit ihren farbigen Fassaden und die Battery mit ihren prunkvollen Villen bis zum Waterfront Park mit dem berühmten Ananasbrunnen (wer kennt ihn nicht?) gehörte für mich definitiv zu den Highlights der Reise.
Nachdem wir zwei Städte an einem Tag besichtigt hatten, waren wir müde und hungrig. Es hätte sich ein Besuch in einem weiteren Südstaatenrestaurant angeboten, aber Mark G. hatte keine Lust auf noch mehr Gegrilltes, und der Vegetarier wollte auch endlich mal etwas anderes essen als ein Käsesandwich oder Quesadillas. Also gingen wir chinesisch essen, und alle waren glücklich (und viel zu satt von Fried Rice, Chicken Kung Pao, laut Mark G. „dem besten der Welt“, und den süßen Knoblauchauberginen, nur die scharf-sauer Suppe ließ leider zu wünschen übrig).
Am nächsten Tag steht leider eine sehr lange Fahrt nach Washington D.C. an, gefolgt von weiteren Familientreffen, weshalb der nächste Bericht vermutlich erst folgt, wenn wir wieder in New York sind, wo unsere Reise kommendes Wochenende zu Ende gehen wird. Aber ein paar Abenteuer warten bis dahin noch auf uns.