The Big Stink

Wir waren gewarnt worden. Vor fünf Jahren, als wir im Mai in New Orleans weilten und uns bei den Einheimischen über die schwüle Hitze beschwerten, hieß es, wir sollten besser nie im Sommer wiederkommen. Und wir waren uns einig, dies auch nie, niemals zu tun. Tja, im August 2023 heißt es nun für uns: Welcome back in New Orleans!

Bei unserer Ankunft herrschten 39 Grad und über 60 Prozent Luftfeuchtigkeit. Es ist wie in einer Sauna, der Körper ist konstant mit einer leichten Schweißschicht bedeckt, und das T-Shirt fühlt sich an, als hätte man es aus der Waschmaschine genommen und angezogen, ohne es vorher trocknen zu lassen. Besonders unangenehm ist es, wenn man nassgeschwitzt in einen der auf zwanzig Grad heruntergekühlten Innenräume geht und augenblicklich zu frieren beginnt, weshalb man selbst in der Tropenhitze immer eine Jacke dabeihaben sollte. Wirklich neu ist diese Erfahrung ja nicht für uns, aber ich kann mich einfach nicht an diesen Zustand gewöhnen, und als Deutscher ist man genetisch sowieso dazu verdammt, sich über das Wetter beschweren zu müssen.

Genug über das Wetter lamentiert, reden wir über andere unerfreuliche Dinge. New York war schon ziemlich übel, olfaktorisch betrachtet, aber New Orleans stellt die Stadt am Hudson locker in den Schatten. Mein Geruchssinn ist ja eher unterentwickelt – im Gegensatz zu Mark G., der jeden Drogenspürhund und jedes Trüffelschwein in den Schatten stellt – aber sogar ich nehme den Gestank wahr, der über der Stadt lastet, sich auf die Haut legt und in jede Pore dringt. New Orleans stinkt entsetzlich. Es ist der muffige Modergeruch verfallener Häuser, der süßliche Verwesungsduft der Mülltonnen, die Miasmen, die aus der Kanalisation wabern, und der beißende Gestank von verschüttetem Bier, Erbrochenem und Urin auf den Straßen im French Quarter, die sich zu einem unvergleichlichen, ekelerregenden Bukett der Unappetitlichkeiten verbinden.

Man muss es hinnehmen. Dieses Odeur ist das Parfum von New Orleans, und besser, man gewöhnt sich schnell daran, denn man wird es die ganze Zeit über in der Nase haben. Insbesondere in der Innenstadt, in der sich die meisten Touristen aufhalten, denn hier liegen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Unser Hotel befindet sich direkt am Rand des French Quarters, und nachdem wir uns eingerichtet hatten, ging es gleich zum Essen. Anscheinend haben die unangenehmen Gerüche keinen Einfluss auf unseren Appetit.

Nur wenige Straßen weiter haben wir ein kreolisches Restaurant mit guter Bewertung gefunden, das zwar kalt wie ein Grab war, aber überaus gemütlich aussah: Creole Cookery. Offene Backsteinwände, dunkles Holz und eine schummerige Beleuchtung sorgten für ein anheimelndes Flair, und das Essen war so gut wie erwartet. Wir hatten Firecracker Shrimps als Vorspeise, die nur mild scharf waren, und eine Auswahl an klassischen Gerichten zum Hauptgang: Jambalaya und Shrimp Creole, Fried Beans und Crawfish Étoufée. Genau das Essen, auf das ich mich seit unserem Abflug gefreut habe, und es war alles ganz vorzüglich.

Leider hatten wir die schusseligste Kellnerin, die man sich vorstellen kann, und die Hälfte der Worte, die sie zu uns gesagt hat, waren Entschuldigungen. Sie brachte nur die Hälfte der bestellten Drinks, und nachdem wir sie darauf hingewiesen hatten, kam sie mit den fehlenden Getränken zurück, und hatte erneut etwas vergessen. Später fehlte Besteck, ein Essen, und zu guter Letzt hat sie Mark G.s Sprite mit Wasser aufgefüllt. Natürlich war die Rechnung auch nicht korrekt. Und als wir gerade fertig waren und gehen wollten, lief auch noch eine Ratte ins Lokal. Dabei wurde nicht einmal Ratatouille serviert.

Nach diesem vorzüglichen Dinner sind wir noch eine Weile durchs French Quarter spaziert und haben der Bourbon Street einen Besuch abgestattet. Vor fünf Jahren steppte hier der Bär, zogen Hunderte Touristen durch die Straße oder bevölkerten die Bars, aus denen laute Musik dröhnte und mit dem Sound der Straßenmusiker konkurrierte.

Diesmal waren die Straßen beinahe leer und die Bars auch. Es gab immer noch etliche Nachtschwärmer, aber kein Vergleich mit dem Gedränge von damals. Selbst in Nashville war mehr los – und das in der Mittagszeit. Viele Clubs waren sogar vollkommen leer, andere ganz geschlossen, und es gab mehr Restaurants, Souvenirshops und Tattoostudios als früher. Auch die Musik hatte sich verändert, vor fünf Jahren überwog noch der Jazz, gefolgt von Rock, jetzt sind wir an zwei Hip Hop-Bars vorbeigekommen, die hier so gut reinpassen wie eine Missionsstation der Heilsarmee. Liegt es am Sommer? Sind die amerikanischen Touristen vernünftiger als wir und meiden die Stadt in der schlimmsten Hitze? Oder leidet New Orleans immer noch unter den Auswirkungen der Pandemie? Vielleicht sollten wir mal einen Einheimischen fragen.

Vor fünf Jahren saßen wir fast jeden Abend im gemütlichen Freiluft-Café Beignet und lauschten einem Jazzkonzert. Jetzt hatten wir Mühe, das Etablissement wiederzufinden, weil es plötzlich an jeder Ecke ein Café mit diesem Namen zu geben scheint. Aber Mark G. hat nicht nur eine vortreffliche Nase, sondern auch einen guten Orientierungssinn, und wir fanden den gesuchten Ort, der zum Glück unverändert war. Auch die Musik war so angenehm wie damals, nur machten sie um halb zehn bereits zu. Auch das war vor fünf Jahren anders. Die Welt ist nicht mehr dieselbe, New Orleans anscheinend auch nicht. Nur der Gestank, der ist unverändert.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. und Pi Jay in La-La-Land 2023 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.