Memphis hat den Blues – und wir auch

Von Nashville nach Memphis ist es nicht weit, nur knapp vier Stunden mit dem Auto, und wir hatten einen gemütlichen Tag geplant. Es war sogar noch heißer als am Vortag, falls das überhaupt möglich ist, und wir alle waren schon nach wenigen Minuten im Freien durchgeschwitzt. Wie Nashville ist Memphis eine Stadt, die durch die Musik geprägt wurde, in erster Linie Blues und Soul, die Musik der Schwarzen, die von den Plantagen über die Bühnen und Radios in alle Welt getragen wurde. Es ist aber auch die Geburtsstadt des Rock’n’Roll und natürlich von Elvis. Wir hatten erwartet, dem großen Mann allüberall zu begegnen, tatsächlich ist Elvis jedoch nur ein Name unter vielen. Wir sind unterwegs an einer Statue von ihm vorbeigekommen, haben uns aber dann gegen einen Besuch in Graceland entschieden. Für viele ist es ein Muss, aber, mal ganz ehrlich, sechzig Dollar zu bezahlen für einen Blick in eine Villa mit scheußlicher Siebzigerjahre-Ausstattung, ist doch etwas happig. Man merkt: Wir sind keine großen Elvis-Fans.

Unser Plan war, im Mud Island Park anzufangen, der auf einer Halbinsel zwischen Mississippi und Wolf River liegt. Dort gibt es ein Museum, das dem großen Fluss gewidmet ist, ein Relief, das seinen Verlauf nachzeichnet, sowie ein hübsches Memphis-Schild, vor dem man sich fotografieren lassen kann. Doch als wir ankamen, war alles menschenleer, die Schwebebahn verkehrte nicht, auch auf der Brücke und auf der Insel war niemand zu sehen. Teile des Parks werden gerade renoviert, und anscheinend vertreibt das alle Touristen und Einheimische. Die einzigen, denen wir begegnet sind, waren Obdachlose und ein paar zwielichtige Gestalten.

Nach diesem enttäuschenden Start wurde es noch schlimmer. Memphis präsentierte sich von seiner abweisendsten Seite. Auf unserem Weg ins Zentrum wollten wir einige Sehenswürdigkeiten abklappern – viele davon gibt es sowieso nicht – und waren entsetzt, wie leer die Stadt ist. Naturgemäß ist jede amerikanische Downtown am Wochenende verwaist, aber so verlassen haben wir noch keine Großstadt erlebt. Das Viertel, in dem das Feuerwehrmuseum und ein paar andere bekannte Gebäude stehen, sah aus, als würde es demnächst abgerissen. Die Eingänge zu den Hochhäuser waren mit Brettern vernagelt, das einzige Polizeirevier schon seit langem aufgegeben. Wo ist die Gentrifizierung, wenn man sie mal braucht? Nur hier und da standen noch ein paar Häuser, die gut gepflegt aussahen, der Rest wirkte eher wie eine Kulisse für The Walking Dead. Und ein paar der Gestalten, die uns entgegenkamen, sahen aus und bewegten sich auch tatsächlich wie Zombies.

Die Jüngeren unter uns hatten inzwischen gegoogelt und herausgefunden, dass Memphis die gefährlichste Stadt der USA ist, mit der höchsten Mordrate im Land. Und Martin Luther King und Elvis sind ja auch hier gestorben, womit bereits alles gesagt ist. Memphis ist eine Stadt des Todes und der Gefahr, und wir waren wie die arglosen Protagonisten eines Horrorfilms, die geradewegs in ihr Verderben liefen.

Unser nächster Stopp war The Peabody Memphis, ein Hotel, das 1925 anstelle eines Vorgängerbaus errichtet wurde und mit seiner Art Deco-Lobby so ausnehmend hübsch und gemütlich ist, dass es sofort suspekt wirkte. Es gibt Gruselfilme, die an ähnlichen Orten beginnen. Tatsächlich beherbergt das Haus die vielleicht größte Touristenattraktion der Stadt neben Graceland: Enten. 1933, kurz nach dem Ende der Prohibition und nach einer ausgiebigen Whiskey-Verkostung, hatte der damalige Hotelmanager die witzige Idee, Enten in den Brunnen des Foyers zu setzen, und seitdem wird zweimal am Tag ein großes Spektakel daraus gemacht, wie die Enten unter Führung des „Duck Masters“ über einen roten Teppich durch die Halle marschieren. Die Vögel haben sogar ihren eigenen Walk of Fame. Leider haben wir den morgendlichen Aufmarsch verpasst, aber zu unserer Überraschung schwammen die Enten noch im Brunnen. Alle Tierliebhaber seien beruhigt: Die Enten leben nur drei Monate lang im Hotel, bevor sie ausgewildert werden. Und vermissen dann wahrscheinlich den Zimmerservice.

Unser Aufenthalt im Hotel hat uns ein wenig mit Memphis versöhnt, und im Anschluss zogen wir weiter zur Beale Street, der Wiege des Blues. Was der Broadway für Nashville, ist diese Straße für Memphis. Auch hier reiht sich eine Bar an die andere, es gibt ebenso Leuchtreklamen, Souvenirshops und Restaurants, nur mit einem Unterschied: Es war kaum etwas los. Während in die Nashville die Party niemals zu enden scheint, herrscht in Memphis die Ernüchterung danach vor. Ein bisschen erinnert es auch an Reno, die traurigste Stadt der Welt.

Um uns eingehender mit der Musik zu beschäftigen, haben wir dem Rock & Soul Museum einen Besuch abgestattet, das eines der schönsten der Stadt sein soll. Die Ausstellung ist relativ klein, beleuchtet aber eindrucksvoll die Entstehung der verschiedenen Musikstile und stellt ihre wichtigsten Interpreten vor. Jeder Besucher bekommt einen Audioguide, über den man sich auch viele Songs anhören kann, so dass der Aufenthalt ziemlich kurzweilig ist.

Wenn man schon in Memphis ist, sollte man auch Soul Food probieren, die Küche der Schwarzen, die ursprünglich eine Küche der Armen war. Einfache, sogar bei vielen verpönte Zutaten wie Innereien oder Schweinefüße kommen hier auf den Tisch, aber auch die weltweit beliebten Chicken Wings und Spareribs haben hier ihren Ursprung. Vieles, aber nicht alles, wird frittiert. Im Vorfeld hatten wir uns ein Restaurant ausgesucht, das beliebt und hoch bewertet ist, und uns überzeugt, dass es auch geöffnet hat. Als wir dann, nach einem fünfzehnminütigem Marsch durch die Gluthitze des Südens, endlich ankamen, war es natürlich geschlossen. Sämtliche Geschäfte und Lokale in dieser Straße waren zu, als wäre gerade ein Feiertag, von dem wir nichts wussten. Ich kann ja verstehen, dass am Wochenende weniger Leute in Downtown sind und manches nicht öffnet, aber warum diese Informationen (oder auch die über Mud Island) nicht online verfügbar sind, erschließt sich mir leider nicht. Alles in allem war Memphis eine große Enttäuschung.

Zum Glück gab es nahe unseres Hotels einen BBQ-Imbiss, bei dem wir ebenfalls Soul Food bekamen: unglaublich leckere Spareribs, Cole Slaw, Kartoffelsalat und geschmortes Gemüse. Das konnte uns zwar Memphis nicht mehr versüßen, hat uns aber dafür den Abend gerettet.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. und Pi Jay in La-La-Land 2023 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.