High Life in Music City

Von Washington aus ging es weiter nach Süden in den Shenandoah National Park in den Blue Ridge Mountains. Wir sind nun in Virginia unterwegs, das mit seinen sanften Hügeln und idyllische Farmen ebenso hübsch ist wie Pennsylvania. Der Park verfügt über fünfhundert Meilen lange Wanderwege, von denen rund einhundert Teil des berühmten Appalachian Trails sind und die zu Wasserfällen und spektakulären Aussichtspunkten führen.

Unsere Gruppe besteht jedoch zum Großteil nicht aus Wanderern, weshalb wir uns darauf beschränkt haben, den Park auf dem hundert Meilen langen Skyline Drive zu durchqueren und an einigen der fünfundsiebzig Aussichtspunkte zu halten. Leider gab es dabei zwei Schwierigkeiten: Das Wetter war recht launisch an diesem Tag, der Himmel stark bewölkt, und nur gegen Mittag lugte einmal kurz die Sonne raus, nicht ideal also, um gute Fotos zu machen. Und zweitens gab es kaum etwas, das ein Foto gelohnt hätte.

Zwar hatte man von den diversen Haltepunkten schöne Ausblicke auf die Täler links und rechts des Wegs mit grünen, bewaldeten Hügeln, weiten Wiesen und kleinen Ortschaften und Gehöften. Jeder von uns hat sich sofort an eine x-beliebige Landschaft in Deutschland erinnert gefühlt. Alles sehr gefällig, aber monoton. Unsere Stopps wurden daher immer seltener, bis wir schließlich nur noch ausgestiegen sind, wenn wir uns mal die Beine vertreten wollten. Wahrscheinlich sieht alles viel spektakulärer aus, wenn sich im Herbst die Blätter verfärbt haben, oder vielleicht bietet der Park auch mehr Abwechslung, wenn man den Wagen stehenlässt und sich zu Fuß aufmacht, seine Schönheit zu erkunden. So hatten wir an jedem Haltepunkt die immergleiche Aussicht. Und das fünfundsiebzig Mal.

Der nächste Tag führte uns weiter nach Nashville oder Music City. Die Hauptstadt der Country Music. Vor ein paar Jahren lief eine gleichnamige Serie über aufstrebende Musiker, die in dieser Stadt ihr Glück versuchen, aber viel mehr fällt mir zu Nashville nicht ein. Und obwohl ich durchaus ein paar Countrystücke auf meiner Playlist habe, bin ich kein Fan dieser Musikrichtung.

Schon bei der Vorbereitung für diese Reise wurde mir klar, dass es in dieser Stadt für mich nicht viel zu sehen geben würde, aber Nashville liegt auf dem Weg nach New Orleans, weshalb es sich angeboten hat, hier einen Zwischenstopp einzulegen. Tennessee ist ein erstaunlich grüner Staat mit vielen Farmen und einer wenig aufregenden Geografie. Nicht so langweilig wie Florida, aber nahe dran. Die Menschen hier sind konservativ, und am Straßenrand stehen Schilder mit Einladungen zum Gottesdienst oder vier Meter hohe Kreuze.

Nashville ist auch konservativ, aber nicht so religiös, zumindest nicht auf den ersten Blick und schon gar nicht auf dem Broadway, dem Zentrum des musikalischen Lebens. Hier reiht sich eine Bar an die andere, und selbst eine ordinäre Pizzeria bietet noch Live-Musik. Die Fenster sind meist weit geöffnet, in manchen stehen sogar Sänger, das Mikrofon in der Hand, den glutäugigen Blick auf eine hübsche Passantin geheftet, die sie mit ihrer Kunst becircen wollen. Orpheus würde sich hier pudelwohl fühlen.

Auf den Straßen fahren umgebaute Lastwagen, von Traktoren gezogene Anhänger oder Partybikes mit feierwütigen jungen Frauen in knappen Kleidern herum. Seltsamerweise sind es vor allem Frauen, die hier zünftig die Sau rauslassen. Sind es bezahlte Sirenen oder eher moderne Bacchantinnen? Vielleicht lag es aber auch nur an der frühen Stunde, und die Männer kommen erst nach der Arbeit vorbei, um einen draufzumachen.

Wir haben uns zuerst das Capitol angesehen, das von überraschender Schlichtheit ist, dann einige der lokalen Sehenswürdigkeiten wie das Batman Building oder die Country Music Hall of Fame, in dessen Park die Namen der Stars in den Boden eingelassen sind wie auf dem Hollywood Boulevard. Allerdings sind die hiesigen Fanclubs schlechter in der Reinigung, denn auf den meisten Plaketten waren die Hinterlassenschaften von Tauben zu entdecken. Was mich am meisten überrascht hat, war die Tatsache, dass ich viele der Namen sogar kannte.

Das Wetter war unerträglich heiß und schwül. Wenn man aus dem Auto aussteigt oder ein Restaurant verlässt, in dem Temperaturen wie in einer Kühlhalle herrschen, fühlt es sich an, als würde einem jemand einen heißen, feuchten Waschlappen ins Gesicht klatschen. Und wir sind immer noch nicht im Süden, wo es wirklich heiß und schwül ist. Ist es daher ein Wunder, dass viele Frauen so gut wie nichts anhaben? Stetson und Cowboystiefel gehen aber auch bei diesen klimatischen Bedingungen seltsamerweise immer.

Jedenfalls war es so heiß, dass wir Unterschlupf gesucht haben und in eine Honky-Tonk-Bar gegangen sind. Um zwei Uhr am Nachmittag. Und manche von uns hatten sogar einen Drink. Der Laden war trotz dieser frühen Stunde schon voll, so wie alle anderen Lokale am Broadway auch. Vergesst New York, dies ist die Stadt, die niemals schläft, oder die Stadt, die immer feiert.

Honky Tonk bezeichnet eine Bar, in der laute, raue Live-Musik gespielt wird, und viele bieten den Nachwuchskünstlern eine Bühne, um sich auszuprobieren. In unserer Bar hat eine vierköpfige Band ein vierstündiges Set gespielt, vor allem Klassiker, die alle (außer uns) kannten. Übergewichtige Hausfrauen stellten sich zum Line Dance auf, ihre Drinks in der Hand, lauthals mitsingend. Vielleicht machten sie in der Abwesenheit ihrer Ehemänner und Kinder einfach einen drauf oder feierten ihre Scheidung. Dass sie meist Cowboystiefel trugen, ergab hier sogar Sinn, denn in der Bar war es frostig, und Frauen haben bekanntlich häufig kalte Füße.

Insgesamt hat mich Nashville an New Orleans erinnert, allerdings lauter, weniger dreckig und mit einer anderen Art von Musik. Hier wie dort gibt es viele Obdachlose, die zum Teil mitten auf der Straße liegen, allerdings nicht am Broadway, wo es ihnen vermutlich zu laut ist. Auf dem Weg zurück zum Parkhaus wollten wir uns noch ein historisches Fort anschauen, das bei unserer Ankunft enttäuschend klein war. Ein paar Blockhütten und ein Zaun, mehr nicht.

Eine Besonderheit, die ich mir nicht entgehen lassen wollte, war eine Replika des Parthenons im Centennial Park. Man hatte den Bau 1897 für eine Ausstellung zunächst aus Gips und Holz errichtet und, wegen seiner großen Beliebtheit, ein paar Jahrzehnte später durch einen Neubau ersetzt – aus Beton. Die Griechen hätten über den Mangel an Marmor vermutlich nur die Nase gerümpft. Aber hier bietet sich zumindest die Gelegenheit, dieses großartige Bauwerk einmal in seiner einstigen Schönheit zu bewundern. Das Innere beherbergt ein Kunstmuseum sowie eine Nachbildung der Athenestatue, die ich nicht sehen konnte, da ich genau eine Minute nach dem Ende der Öffnungszeiten ankam.

Unser Hotel lag etwas außerhalb, und ganz in der Nähe befand sich ein ausgezeichneter Mexikaner, bei dem ich das größte Glas Horchata aller Zeiten serviert bekommen habe. Da wir die mexikanische Küche im Südwesten schätzen gelernt haben, war das ein willkommener Anlass, Enchiladas und Chimichanga zu essen. Der perfekte Ausklang eines langen Reisetags.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. und Pi Jay in La-La-Land 2023 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.