Tourists of the Revolution

Bei Philadelphia denke ich an Frischkäse. Okay, nicht ausschließlich, ich denke auch an Brüderlichkeit (und dass ich nie Griechisch gelernt habe) und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, was alles nicht so recht zusammenpasst. Aber so funktioniert mein Kopf nun einmal. Als wir nach ungefähr zweistündiger Fahrt mit unserem Schlachtschiff (irgendwie muss man ja sieben Personen und Unmengen an Gepäck unterbringen) in Pennsylvania einfuhren, war es so schwül, dass wir am liebsten im klimatisierten Wagen sitzen geblieben wären. Aber es hilft ja nichts, wer was sehen will, muss laufen – und schwitzen. Eine Menge schwitzen. Es sind wieder Zwei-T-Shirts-und-zwei-Duschen-Tage, und wir sind noch lange nicht im Süden.

Wir begannen am Race Street Pier mit einem Blick auf die Benjamin Franklin Brücke, weil das so im Reiseführer stand. Die Aussicht ist nett, das Bauwerk imposant, aber Brücken haben wir in New York schon einige gesehen, und irgendwie hat uns diese hier nicht so Hocker gehauen. Vielleicht liegt es an der Hitze, vielleicht werden wir auch wählerischer und wollen uns nicht mehr jede bekannte Brücke anschauen. Interessanter wurde es dann bei einer Tour durch die Altstadt, die diesen Namen auch verdient, weil so viel alte Bausubstanz erhalten geblieben ist. Die Häuser sind klein und niedlich und erinnern an nostalgische Weihnachtskarten, und mit ihren Backsteinwänden könnten sie fast in Europa stehen.

Man kann gemütlich durch die Gassen schlendern (oder bei der Hitze eher halbtot herumschlurfen) und nacheinander die wichtigsten Sehenswürdigkeiten abklappern, um in zwei Stunden bei einem eisgekühlten Drink zu sitzen und sein T-Shirt auszuwringen. Wenn man sich allerdings intensiver mit der Geschichte der Stadt und des Landes beschäftigen will, braucht man deutlich länger. Wir hatten nur ein paar Stunden Zeit und zu wenig Ehrgeiz, schließlich sind wir von Natur aus faul, haben gerade den New York-Marathon hinter uns (was die Zahl der zurückgelegten Kilometer betrifft), und sagte ich schon, dass es verdammt schwül war?

Philadelphia ist eine hübsche Stadt, zumindest im Historic District, der Rest besteht vermutlich aus den üblichen Bürogebäuden im Zentrum und ausufernden Suburbs. Das Gesicht des urbanen Amerikas ist ja überall gleich. Aber diese Stadt hat beinahe etwas Europäisches, sie atmet Geschichte und hat Flair. Eigentlich stolpert man überall über amerikanische Geschichte: Hier wurde beispielsweise die Unabhängigkeitserklärung verkündet und die Verfassung verabschiedet, und Betsy Ross hat die erste US-Flagge genäht. Wir haben aber nur von außen einen Blick auf die alten Versammlungsgebäude geworfen, weil die Bilder im Internet nicht so spektakulär aussehen, dass man unbedingt drin gewesen sein muss. Sicherlich gibt es dort interessante Ausstellungen und viele Information zum Unabhängigkeitskrieg, wenn man es unbedingt genauer wissen will, aber wir waren auch so zufrieden.

Dafür haben wir uns angestellt, um einen Blick auf die Liberty Bell zu werfen, die vor allem bei den konservativen Amerikanern hoch im Kurs steht. Maga-Kappen haben wir aber nicht entdeckt. Man kann auch von außen durch ein Fenster einen Blick auf die Glocke werfen, aber die Schlange war nicht zu lang, und wir dachten uns, das bedeutendste Stück Geschichte sollte man sich wenigstens aus der Nähe anschauen. Am Ende war es aber nur eine Glocke. Und kaputt ist sie auch noch.

Wenn man genug Geschichte in sich aufgesogen hat, sollte man unbedingt ein Philly Cheesesteak essen, das so etwas wie das kulinarische Wahrzeichen der Stadt ist. Quasi die Glocke zum Essen. Einige Mitglieder unserer Gruppe hatten Schwierigkeiten, sich den Namen zu merken, weshalb aus dem Philly Cheesesteak irgendwann ein Chili Cheesecake wurde, was beim Bestellen beinahe zu lokalen Unruhen geführt hätte. Bei der Kulinarik hört bekanntlich der Spaß auf. Das Sandwich aus dünn geschnittenem, kurzgebratenem Rindfleisch wird mit geschmorten Zwiebeln in einem Baguette serviert und mit Käse überbacken, und selbstverständlich haben wir kurz überlegt, ob man es wirklich als Sandwich bezeichnen darf (diese Foodtour hat uns wohl nachhaltiger geprägt als uns lieb ist). Was man jedoch sagen kann: Es ist zwar nicht unbedingt gesund, dafür aber ziemlich lecker. Wir waren in Sonny’s Famous Steaks in der historischen Altstadt, einem Traditionsimbiss, von dem es in einer Bewertung hieß, man solle sich nicht davon abschrecken lassen, dass er sauberer ist als die meisten anderen.

Eigentlich wollten wir uns danach die Magic Gardens ansehen, das sich immersive mixed media artenviroment nennt und praktisch eine begehbare Kunstinstallation ist, die an die Watts Towers in Los Angeles erinnert. Ein hiesiger Künstler, Isaiah Zagar, hat aus Glas- und Porzellanscherben sowie Flaschen, Rädern und alten Fliesen einen Skulpturengarten sowie zwei Galerien errichtet und etliche Wände im Viertel verschönert. Leider hatten wir nicht genug Zeit, alles genauer zu erkunden, und beließen es bei einem kurzen Blick.

An dieser Stelle folgt ein Geständnis: Ich habe Rocky nie gesehen. Aber selbst ich kenne die legendäre Szene, in der Sylvester Stallone die Treppen zu einem imposanten Gebäude hochrennt und siegreich die Fäuste reckt. Die Treppen gehören zum lokalen Kunstmuseum, und auf unserem Weg aus der Stadt sprangen wir kurz aus dem Wagen und rannten sie hoch, Siegerpose und Abmarsch. Genau das richtige an einem heißen, schwülen Nachmittag. Um uns mit der Rocky-Statue fotografieren zu lassen, fehlte jedoch die Zeit, denn die Schlange davor war endlos.

Unser Hotel lag etwas außerhalb, um uns am nächsten Morgen einen Vorsprung vor dem Berufsverkehr zu geben, und in seiner Nähe gab es kaum Restaurants. Quasi nebenan war jedoch ein Cracker Barrel. In all den Jahren haben wir diese Kette nie besucht, weil sie uns zu altbacken erschien, aber das Gebäude hat einen netten Farmhauscharakter, auf der Veranda stehen Schaukelstühle zum Verweilen, und das Innere ist mit Werkzeugen, antiken Fotos und Werbeschildern geschmückt. Das Essen ist okay, solide US-Hausmannskost. Mark G.s fried chicken war nicht so fettig wie befürchtet und mein Hühnchen mit ahornsirupglasiertem Bacon sogar überraschend gut. Besser als Fast Food ist es auf jeden Fall.

Im angrenzenden Giftshop standen seltsamerweise bereits die ersten Weihnachtsbäume, zusätzlich gab es natürlich auch Dekoration für Thanksgiving und Halloween. Nur die Osterhasen konnte ich nirgends finden.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. und Pi Jay in La-La-Land 2023 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.