Wahnsinn, wie die Zeit vergeht! Wir sind schon seit einer Woche in New York, haben sehr viel gesehen und erlebt und bei weitem nicht alles geschafft, was wir uns vorgenommen hatten. Dafür konnten wir sehr viel Zeit mit der Familie verbringen, wundervolle neue Erinnerungen schaffen und lustige Anekdoten für die langen Winterabende sammeln. Am Sonntag hieß es jedoch, Abschied zu nehmen, und wie kann man diesen bitteren Moment besser versüßen als mit einem Brunch?
Wir trafen uns in Mom’s Kitchen, einem Bistro mit typischen Frühstücksgerichten wie Pancakes, die unter einem Berg aus Früchten, Sahne und bunten Streuseln nicht zu sehen waren, Waffeln mit Hühnchen (eine Kombination, der ich einfach nichts abgewinnen kann), oder diversen Sandwiches. Mark G. und ich hatten beide einen Frühstücksbagel mit Schinken, Ei und scharfer Sauce, der recht lecker war. Dazu konnte man zwischen Salat und Pommes frites wählen, beides eher untypische Gerichte zu dieser frühen Stunde.
Der Abschied fiel uns enorm schwer, vor allem, weil es mindestens fünf Jahre dauern wird, bis wir uns alle wiedersehen. Falls bis dahin jemand die Organisation übernimmt. Den einen oder anderen werden wir aber schon vorher treffen, einige bereits in zwei Tagen, wenn wir in Washington D.C. sind, andere im September, wenn wir nach New York zurückkehren.
Um uns abzulenken, unternahmen wir am Nachmittag einen kleinen Einkaufsbummel. Die Avenue der Americas hatte sich über ein halbes Dutzend Blocks hinweg in einen bunten, lärmenden Wochenmarkt verwandelt, auf dem zahlreiche Imbissstände um Besucher buhlten. Es gab eine Menge Kebab, Maiskolben und andere Leckereien (New Yorker lieben anscheinend ihr Street Food) und einige wenige Verkaufsständen, meist mit Kleidung oder Schmuck. Macy’s besitzt hier das größte Kaufhaus der Welt mit der, gemessen daran, wohl kleinsten Herrenabteilung. Was okay ist, denn Männer gehen nicht gerne einkaufen.
Auf dem Rückweg haben wir uns noch eine hiesige Bretzel gekauft, die früher mal einen und jetzt ganze sechs Dollar kostet. Sie ist größer als unsere bayrischen Exemplare, sehr viel weicher (wenn sie nicht gerade so trocken ist wie die, die wir ergattert haben) und wird bevorzugt mit Senf gegessen (vermutlich, weil sie so trocken ist). Der Bayer würde jetzt vermuten, dass sie die obligatorische Weißwurst dazu vergessen haben. Alternativ kann man auch einen Käse-Dip dazu bestellen, was vielleicht besser schmeckt. Wenn ich ehrlich bin, finde ich die kalifornische Version mit Karamellsauce besser.
In New York gibt es etliche Plattformen, die man sogar mit einem entsprechenden Ticket alle nacheinander besuchen kann. Meiner Meinung nach macht es jedoch wenig Sinn, die Stadt von drei oder vier himmelhohen Aussichtspunkten aus zu betrachten, aber das sollte jeder für sich entscheiden. Vor dreizehn Jahren waren wir auf dem Dach des Rockefeller Centers, weil man von hier aus wunderbar auf das Empire State Building blicken kann, und sind so lange geblieben, dass wir noch den Sonnuntergang beobachten konnten. Inzwischen gibt es jedoch neue Optionen, und wir haben uns für Summit One Vanderbilt entschieden.
Mark G. konnte noch Tickets für halb acht abends ergattern, und wir freuten uns bereits, weil wir auf diese Weise die Stadt bei Tageslicht und in der Nacht sehen konnten. Leider wussten wir nicht, dass der Einlassprozess so umständlich und langwierig ist, dass wir erst oben ankamen, als die Sonne schon beinahe verschwunden war.
Früher, als die Welt noch analog war, zeigte man sein Ticket vor und wurde eingelassen, heute erhält man nach der Kontrolle ein Armband mit QR-Code und muss anschließend die unerlässlichen, aber unerfreulichen Sicherheitsschleusen passieren. Frisch gechipt und tätowiert, gemessen und gewogen wurden wir zu guter Letzt auch noch fotografiert. Der Sinn dahinter hat sich uns nicht auf Anhieb erschlossen, wir dachten, es hat etwas mit den Sicherheitsmaßnahmen zu tun und haben entsprechend ernste Mienen aufgesetzt. Während andere Gruppen fröhlich in die Kamera grinsten und sich in Posen warfen, die jedem Musicaldarsteller Ehre gemacht hätten, standen wir stocksteif wie vor einem Erschießungskommando und haben jedes Klischee der humorlosen Deutschen bedient.
Danach durfte jeder noch ein Selbstporträt machen, das dann „in den Wolken“ auftauchen sollte. Was auch immer damit wieder gemeint war. Die Apparatur zu bedienen, war etwas umständlich und brauchte Zeit, wir wollten einfach nur nach oben, aber man ließ uns nicht. Das war nervig, vor allem, weil wir nicht genau wussten, wozu der Aufwand notwendig war. Als wir uns danach auch noch einen Film über das Gebäude ansehen sollten, haben wir entschieden abgelehnt und sind zu den Aufzügen gegangen.
Man sollte meinen, dass man spürt, wenn man in einem Affenzahn in den Himmel geschossen wird, tatsächlich habe ich nicht einmal gemerkt, dass der Aufzug überhaupt gestartet ist. Eine Weile lang dachte ich, dies ist wieder eine dieser „Erlebnisstationen“ wie die Fotostopps, denn im Fahrstuhl flackerten nur die Lichter und simulierten dadurch ein Tempo, das man einfach nicht spürt. Nur beim Anhalten merkte man am leichten Ziehen im Magen, dass der Lift tatsächlich in Bewegung ist. Und plötzlich waren wir im 91. Stock.
Man kann den Eindruck beim Betreten des riesigen, komplett verspiegelten Saals kaum beschreiben. Es ist, als würde einem kurz der Boden unter den Füßen weggerissen. Für ein, zwei Sekunden verliert man die Orientierung und stürzt wie Alice in eine verwirrende, flirrende Welt hinter den Spiegeln, in der eigene Gesetze gelten. Dann hat man sich wieder gefangen und kann den beeindruckenden Anblick, der sich einem bietet, genießen. Sofern man halbwegs schwindelfrei ist.
Die riesige Glasfront bietet einen spektakulären Blick auf die Stadt, Empire und Chrysler Building sowie die Zahnstocher der Upper East Side. Die Wolkenkratzer, zu denen man auf den Straßen aufgesehen hat und die einem so hoch wie der Himmel vorkamen, sind nun klein wie die Gebäude auf der Platte einer Modelleisenbahn. Die Lichter der Autos auf den Straßen glühen wie winzige Punkte, und die Menschen auf den Gehwegen sind gar nicht mehr zu erkennen.
Summit One Vanderbilt bietet nicht einfach nur eine Plattform in den Wolken, von der man auf das Gewimmel auf der Erde herabblicken kann, sondern eine Erlebnisreise durch eine Kunstinstallation. Das beginnt mit dem verspiegelten Saal, der von ätherischer (und leider ziemlich nerviger) transzendentaler Elektronikmusik erfüllt ist, gefolgt von einem Raum, der an ein Bällebad bei Ikea erinnert, nur sind es große versilberte Luftballons, die den Boden bedecken und von den Decken schaukeln. Alles ist in Bewegung und wird in buntes Licht getaucht, als stünde man in einem riesigen Kaleidoskop (was, glaube ich, bei Tageslicht noch viel beeindruckender ist). Im Anschluss folgen noch weitere Aussichtspunkte in den höheren Stockwerken, darunter Glaskästen, die aus einer Wand herausragen und in die man hineingehen kann, so dass es aussieht, als würde man in der Luft schweben. Definitiv nichts für Menschen mit Höhenangst. Und wenn man ganz mutig ist (und noch ein paar Dollar drauflegt), kann man in einem gläsernen Aufzug an der Außenseite zum höchsten Punkt des Gebäudes schweben. Wir haben darauf verzichtet, weil man dafür eine halbe Stunde hätte anstehen müssen und es für gute Fotos bereits zu dunkel war.
Ich muss zugeben, das Ganze war ein außergewöhnliches, beeindruckendes Erlebnis, das nur von einer Kleinigkeit getrübt wurde: Es war zu voll. Auf den Werbebildern sieht man vereinzelte Menschen, die verträumt die Aussicht betrachten wie auf einem Gemälde von Caspar David Friedrich, die Realität erinnert eher an einen Gang über das Oktoberfest, nur gibt es hier weniger Betrunkene. Dafür läuft einem ständig jemand ins Bild, um die Fensterplätze muss man kämpfen, und im Bällebad stolpert man entweder über herumtobende Kinder oder bekommt einen Spiegelballon ins Gesicht gepfeffert.
Zum Abschluss kann man sich in einer Bar einen Cocktail genehmigen oder auf einer riesigen LED-Leinwand, auf der ständig neue Wolkenformationen auftauchen, nach seinem Gesicht suchen. Zuvor muss man allerdings sein Armband einscannen lassen, und jetzt ergab die Fotoaktion vom Anfang auch Sinn. Wenn man will, kann man diese Bilder auch herunterladen. Alles in allem kann ich Summit One Vanderbilt nur empfehlen, es ist zwar nicht gerade billig, aber man bekommt auch viel dafür geboten, darunter auch einen der spektakulärsten Blicke auf New York.
Den Abend ließen wir in einem mexikanischen Restaurant bei Burritos, Quesadillas und Tacos ausklingen. Erstaunlicherweise waren viele Lokale trotz der noch recht frühen Stunde bereits geschlossen. Dabei sind viele Theater in der Nähe, und es gibt jede Menge hungrige Nachtschwärmer. Wir wurden bereits um elf Uhr vor die Tür gesetzt, obwohl der Laden erst eine Stunde später schließen sollte. Verstehe, wer will.
Die Woche New York verging jedenfalls wie im Flug. Insgesamt hat es mir gut gefallen, trotz der permanenten Reizüberflutung. Vor allem der Lärm ist nicht zu unterschätzen. Ständig heult irgendwo eine Sirene, Autos hupen, und um den Times Square herum plärrt aus jedem Laden Musik. Man könnte meinen, man ist in Las Vegas. Die Rikschas, in denen Touristen herumfahren können, sind buchstäblich Discos auf Rädern und ihre Fahrer vermutlich bereits taub. Beschaulich und still ist einfach nicht New York, zumindest nicht im Zentrum.
Und es gibt immer wieder neue Attraktionen, mit denen den Leuten das Geld aus der Tasche gezogen werden soll. Eine ist eine sich drehende Plattform, an der eine Halterung mit Leuchte angebracht ist, in die man sein Handy stecken kann. Dann tanzt man, während die Kamera einen ständig umkreist, was ziemlich cool aussieht, sofern man kein Bewegungslegastheniker ist oder betrunken von der Plattform fällt. Der Tophit ist Empire State of Mind, das wir so oft gehört hatten, dass wir immer wieder spontan und zu den unpassendsten Zeit anfingen, den Refrain zu trällern (kleiner Nachtrag aus Washington: Das hält immer noch an …).
New York ist nicht Amerika, es ist hier nicht nur lauter, die Menschen sind ruppiger, teilweise sogar richtig unfreundlich, der Service ist schlechter, dafür sind die Preise höher. Auf den Gehwegen laufen einem immer wieder Kakerlaken über die Füße oder kämpfen um Essensreste, und fast überall stinkt es nach Müll, Urin oder Abgasen. Aber die Stadt besitzt auch eine einzigartige Energie, die einen inspiriert. Oder zumindest war das früher mal so. Inzwischen ziehen immer mehr Künstler fort, entweder weit raus, nach Queens oder in die Vororte, oder sie verlassen den Big Apple für immer, weil das Leben hier unerschwinglich geworden ist. Das sind eben die zwei Seiten der Gentrifizierung: Die Straßen werden hübscher, es gibt gemütliche Cafés und schnuckelige Läden, aber alles ist so teuer, dass sich die wenigsten das leisten können, dafür muss man nicht mehr Angst haben, überfallen zu werden. Alles hat eben seine zwei Seiten.
Und nun auf nach Amerika!