Morgenstund hat bekanntlich Gold im Mund, aber sich endlich einmal richtig auszuschlafen, ist auch nicht ganz zu verachten. Da kann der frühe Vogel sein Edelmetall ruhig behalten. Oder so ähnlich. Leider waren wir dennoch schon relativ früh zu einer Tour durch Brooklyn und Downtown verabredet, weshalb wir das Frühstück ausfallen lassen mussten, um rechtzeitig am Pier zu sein. Mit der Fähre ging es dann nach Brooklyn, wo zuerst ein Besuch in DUMBO anstand, ein Stadtteil, der nicht mit langrüsseligen Tieren mit großen Ohren zu tun hat, sondern eine Abkürzung für Down Under the Manhattan Bridge Overpass ist. An der Ecke Washington und Water Street gibt es ein kurze Straße, hinter der man die majestätische Manhattan Bridge sehen kann, und spätestens seit Instagram ist dies einer der meistfotografierten Orte in New York. Natürlich haben auch wir ein paar Bilder geschossen, bevor es weiterging.
Im Time Out Market haben wir dann das Frühstück nachgeholt, und zu unserem Glück gab es unter den zahllosen Imbissständen auch eine Filiale von Ess-a-Bagel. Ihr Klassiker ist der Bagel mit Räucherlachs, Frischkäse, einem Salatblättchen, der obligatorischen Tomatenscheibe und ein paar fancy Kapern für die Feinschmecker, der ausgesprochen lecker war (so lecker, dass ich nicht einmal ein Foto gemacht, sondern gleich reingebissen habe), der aber mit knapp 20 Dollar inklusive Steuer nicht gerade preiswert war. Sensationell ist übrigens der Blick von der Dachterrasse auf die beiden Brücken und Manhattan. Leider war die Sonne in diesem Moment etwas schüchtern.
Über die Brooklyn Bridge ging es zurück zu Fuß nach Manhattan. Dieses Abenteuer hoch über dem Wasser sollte man sich nicht entgehen lassen, denn man hat aus luftiger Höhe schöne Ausblicke auf Downtown und die Manhattan Bridge. Am Pier 17 haben wir dann eine kleine Pause eingelegt und ein (ziemlich schlechtes) Softeis gegessen, das zudem die wenig appetitliche Form eines Hundehaufens hatte (daher kein Foto). Das alte Gebäude mit den vielen kleinen Ständen, das wir 2010 besucht hatten, ist inzwischen einem unpersönlichen Neubau gewichen, der weitgehend leer steht. Auf dem Dach scheinen aber regelmäßig Konzerte stattzufinden, tagsüber war der Komplex aber nahezu verwaist. Kein Vergleich mit früher, als hier noch der Bär steppte.
Unser kanadischer Cousin und Tourguide führte uns anschließend kreuz und quer durch Downtown. Das Wetter erwies sich dabei als etwas launenhaft. Am Morgen war der Himmel noch bedeckt, es tröpfelte sogar ein paarmal, dann kam die Sonne raus, und es wurde unerträglich heiß und schwül. Später zog sich der unentschlossene Himmel dann wieder zu und drohte mit Gewitter, es blieb aber wie in einer gigantischen Sauna. Daher waren wir schon bald ziemlich erschöpft und kaum noch fähig, den Ausführungen zu den beengten Wohnverhältnissen der Einwanderer, zur Wasserversorgung oder zum Friedhof für People of Color zu folgen. In Chinatown waren wir auch, sind aber nur einmal kurz durchgelaufen, ohne in den kleinen Läden zu stöbern oder etwas zu essen.
Für einen späten Lunch sind wir dafür zu Katz’s gegangen, jenem legendären Deli, das in einer ikonischen Szene in Harry und Sally zu sehen ist (es gibt sogar ein Schild, das auf den entsprechenden Tisch und das berühmte Zitat verwaist). Die Schlange vor dem Laden ging fast bis zum Ende des Blocks, aber glücklicherweise wollten wir uns dort mit anderen Verwandten treffen, die bis zu unserem Eintreffen geduldig anstanden und uns einen Tisch organisierten. Wer keine solchen Verwandten hat, sollte viel Zeit mitbringen.
An einer langen Theke kann man seine Bestellung aufgeben und mitnehmen, oder man ordert an einem der zahlreichen Tische. Nett ist, dass man sich beim Warten selbst Wasser einschenken kann, was für einen guten Kundenservice und sehr lange Wartezeiten spricht. Und sobald man sich an den Tisch setzt, bekommt man sehr leckere eingelegte Gurken als Snack oder Amuse-Gueule serviert. Auch die Einrichtung ist eher rustikal, schließlich ist dies kein Restaurant, sondern ein Delikatessengeschäft mit Sitzgelegenheiten. Warum sie bei auf Hochtouren laufender Klimaanlage allerdings auch die Heizung eingeschalten hatten, verstehe wer will. Von vorne wehte kühler Wind, von hinten waberte warme Luft. Gut, wenn man’s gerade im Rücken hat, ansonsten war es etwas zu warm.
Berühmt ist Katz’s für seine köstlichen Delikatessen mit jüdischem Einschlag. Mark G. hatte ein Sandwich mit gehackter Leber („wie sie deine Mama macht, nur besser“) und ich ein halbes Pastrami-Sandwich und eine Schüssel mit Matzeball-Suppe, die an unsere Grießklößchensuppe erinnert. Mein Fazit: Das Pastrami-Sandwich ist besser als das von The Hat, was ich unseren Freunden in L.A. aber besser verschweigen werde. Leider ist der Spaß nicht ganz billig, denn unsere zwei normal großen, gut belegten Brote haben zusammen umgerechnet über fünfzig Euro gekostet. New York und die Tradition (Katz’s gibt es seit 1888) haben eben ihren Preis.
Nach einer kleinen Pause und einer weiteren Dusche ging es am Abend noch in die Hipster-Hauptstadt Williamsburg, um einen Geburtstag zu feiern. Das Restaurant Mazie sieht von außen recht unscheinbar aus, besitzt aber einen lauschigen, mit Wein bewachsenen Innenhof und europäisches Flair. Leider hat es auch eine sehr schummerige Beleuchtung, die vornehmlich aus Kerzenlicht besteht. Zum Lesen der Speisekarte nicht ganz ideal. Wir hatten beide den Signature-Burger, der ein gewöhnlicher Hamburger ist, dessen Innenleben aus Hackfleischpattie, geschmorten Zwiebeln, Gurke und Tomate noch Gesellschaft von einer gebratenen Scheibe Ananas und einem beidseitig gebratenem Spiegelei bekommt. Ungewöhnlich, aber nicht schlecht.
Auf dem Heimweg rächte sich der Ausflug nach Williamsburg jedoch: Um Mitternacht wurde die M-Linie, die uns auf direktem Weg zurück zum Hotel gebracht hätte, eingestellt, und wir mussten einen großen Umweg fahren, umsteigen und jedes Mal sehr lange warten. Ein Zug fiel sogar ohne Angabe von Gründen aus. Für eine Metropole wie New York, die angeblich niemals schläft, schon fast ein Armutszeugnis. Dafür gab es eine kostenlose Show: Eine betrunkene Prostituierte auf gefährlich hohen High Heels, deren Lippen so aufgespritzt waren, dass man sie kaum verstehen konnte, versuchte, einen Kunden aufzugabeln.
Kaum hatte sie die Bühne verlassen, marschierte ein Truppe Bahnmitarbeiter wie eine Gruppe Stripper auf, die jede Menge Werkzeug mit sich herumschleppte und mit uns zum nächsten Bahnhof fuhr, um dort etwas zu reparieren. Man merkt, dass die U-Bahn ganz schön in die Jahre gekommen ist, die Züge rattern extrem laut, schaukeln wie wild, und die Bremsen kreischen wie eine wütende Banshee. Auch die Bahnhöfe, zumindest in den äußeren Bezirken, wirken heruntergekommen, die Wände haben kaum noch Fliesen, und die Temperaturen sind jetzt im August höher als in jeder Sauna. Wenn man aus dieser Kakophonie der Großstadt wieder zurück ins Hotel kommt, dauert es eine ganze Weile, bis das Klingeln im Ohr wieder verschwunden ist. Aber das ist eben der Preis für einen Urlaub in New York.