Um vier Uhr früh war die Nacht zu Ende. Zumindest für den jetlaggeplagten Mitteleuropäer, der nach nur fünf Stunden Schlaf plötzlich hellwach ist. Und was macht man dann in der Stadt, die sowieso niemals schläft? Man schreibt seinen Reisebericht und geht zum Times Square, um in Ruhe einen Blick auf die Wolkenkratzer zu werfen, ohne von einer menschlichen Stampede über den Haufen gerannt zu werden. Zu dieser frühen Stunde sind schon die ersten Menschen auf dem Weg ins Büro (Amerikaner leben schließlich, um zu arbeiten), an den Ecken machen Straßenarbeiter bereits ihre erste Pause, und die Ladeninhaber haben die Gehwege mit dem Schlauch abgespritzt. Alles ist friedlich und wie frisch gewaschen und riecht nach Marihuana.
Seit der Legalisierung in vielen Bundesstaaten ist dies der vorherrschende Geruch in den Städten. Las Vegas, Los Angeles und New York riechen nun wie eine Studentenbude. Was sich im Big Apple immerhin von Vorteil erweist, da die unangenehmen Gerüche immer noch überwiegen. Man fragt sich nur, warum viele Menschen dann immer noch so gereizt sind. Wird möglicherweise nicht genug gekifft?
Auf dem Times Square war zu dieser frühen Stunde noch nicht viel los, weshalb man den Platz gut auf sich wirken lassen konnte. Vor dreizehn Jahren gab zwar schon jede Menge riesige Reklametafeln und Bildschirme, aber die gigantischen LED-Leinwände sind nochmal eine Spur beeindruckender. Auf ihnen flimmern Trailer zu neuen Filmen und Serien, vor allem aber läuft auf ihnen Werbung für Kosmetika, Restaurants und Luxusartikel. Dazwischen tauchen wie Menetekel biblische Botschaften auf, und dass auf einem Schirm ein Standbild aus Blade Runner zu sehen war, hatte fast etwas Surreales.
Zum Frühstück wollten wir mit einer australischen Cousine in ein nahe gelegenes Café, das, wie wir vor der Tür feststellen mussten, leider montags geschlossen ist. Dank des Internets fanden wir einen anderen Laden mit guten Bewertungen, der von zahlreichen Bauarbeitern, Handwerkern und sonstigen Arbeitern frequentiert wurde. Ein gutes Zeichen dafür, dass das Essen schmeckt und nicht zu teuer ist, dafür ist die Einrichtung eher rustikal und sieht so aus, wie ich mir eine Werkskantine Anno 1978 in Bukarest vorstelle. Aber das amerikanische Frühstück mit Omelette, Toast und Bratkartoffeln war erstaunlich lecker.
Solchermaßen gestärkt ging es auf Erkundungstour in Midtown. Mark G. hatte einen Rundgang ausgetüftelt, der uns unter anderem zum Rockefeller Center, der Central Synagoge, dem Chrysler Building und der UNO führte. Beim Rockefeller Center, in dem einige Fernsehsender untergebracht sind, wurde gerade gestreikt. Schauspieler und Autoren liefen in einem abgesperrten Bereich im Kreis und hielten ihre Schilder hoch, was für uns Europäer, die es gewohnt sind, dass die Menschen auf die Straße gehen und ihren Anliegen lauthals Aufmerksamkeit verschaffen, seltsam zahm und schüchtern wirkte, als wäre man hier auf einer Hundeshow. Interessiert hat es auch keinen, denn die Demonstranten waren niemanden im Weg, nicht sonderlich laut und insgesamt so unauffällig, dass man gut über sie hinwegsehen konnte. So kann das ja nichts werden.
Auf unserer Wanderung über diese fremde Insel passierten wir auch den Dunklen Turm Lugbúrz, der Welt gemeinhin als Trump-Tower bekannt, und da wir eine Schar unerschrockener Helden sind, wagten wir uns in die Höhle des Löwen. Vor dreizehn Jahren, als der Mann nur ein belächelter Reality-Star und gescheiterter Geschäftsmann war, hatten wir schon einmal einen Blick auf das protzige Innere mit dem inzwischen berühmten goldenen Rolltreppen geworfen. Damals summte das Gebäude wie ein Bienenstock, die Menschen drängten sich im Foyer und bevölkerten das Restaurant, nun herrschte gähnende Leere. Ein paar neugierige Touristen und vielleicht einige Anhänger sahen sich um, aber die Stadt bestraft den Mann ansonsten mit Missachtung. Der Trump-Grill war verwaist, trotz des Schnäppchenpreises von knapp 40 Dollar für ein komplettes Menü. BIG FAILURE, würde TFG (The Former Guy) wohl sagen.
Gegen Mittag wollten wir eigentlich bei Ess-a-Bagel halten, um uns zu stärken, aber wir waren immer noch zu satt und mussten diese Köstlichkeit daher auf einen anderen Tag verschieben. Am Vormittag war es ziemlich bewölkt, mit angenehmen Temperaturen, aber hoher Luftfeuchtigkeit. Fünf Schritte und man konnte sein T-Shirt wechseln.
Gegen Mittag kam dann die Sonne raus, was immerhin den Vorteil hatte, dass man bessere Fotos schießen konnte, dafür war es jedoch unerträglich heiß. Man kann eben nicht alles haben, zumindest nicht im Hochsommer. Wir haben daher für eine Weile Zuflucht in der Grand Central Station gesucht, uns brav vor die Säulen der Oyster Bar gestellt und Stille Post gespielt, was leider nicht den gewünschten Effekt hatte, aber die Akustik dort ist auf jeden Fall ungewöhnlich. Weil wir eine Pause brauchten, haben wir uns danach in ein Café gesetzt.
Anschließend ging es noch zum Empire State Building und nach Koreatown, wo wir in der Food Gallery 32 einen sehr leckeren Snack hatten. Die Teriyaki Bowl, die Mark G. und ich uns geteilt haben, stammte von einem japanischen Imbiss und bestand aus einem Chicken Katsu mit Teriyaki-Sauce, die etwas anders gewürzt war, als ich sie kenne, aber ungemein köstlich war. Da wir mit mehreren Vegetariern unterwegs sind, finden sich in asiatischen Restaurants naturgemäß mehr Optionen auf der Speisekarte, und ich könnte mir vorstellen, hier nochmals zu essen. Chic ist es hier nicht, aber der Laden war sehr gut besucht und bietet etwas Anderes als die üblichen Burger.
In diesem Zusammenhang ist es übrigens verwunderlich, dass es sehr viele Restaurants in New York gibt, die keine vegetarische Alternative anbieten. Man bekommt Kartoffel- oder Gemüsebeilagen, aber keine eigenen, vegetarischen Gerichte, und selbst die Salate beinhalten meistens noch Hühnchen. Mit etwas Glück kann man allerdings den Koch überreden, etwas zu zaubern, was nicht auf der Karte steht, ansonsten bleibt nur die Suche nach einem vegetarischen oder veganen Restaurant oder ein Besuch in einer Hipsternachbarschaft. In der Nähe unseres Hotels gibt es tatsächlich einen veganen Imbiss, der allerdings von unseren Begleitern verschmäht wird, weil man durch einen langen, dunklen Gang dorthin gelangt, der ziemlich gruselig ist und an dessen Ende meist zwei Typen sitzen, die mit ihren Basecaps und ihrer Körperhaltung wie Gangster wirken. Vielleicht vegane Türsteher?
Nach einer längeren Ruhepause im Hotel waren wir am Abend mit weiteren Verwandten zum Essen verabredet. Die Gruppe entschied sich für ein italienisches Restaurant, das für seine Fleischbällchen berühmt ist, wobei es eher gigantische Klopse sind, die auf einem Berg von Spaghetti thronen. Nicht sehr italienisch, aber darüber kann man ja streiten. Kaum hatten wir bestellt, hieß es, die Meatballs seien ausgegangen. Um halb neun an einem Montag mit relativ wenigen Kunden außer uns (allerdings etlichen telefonischen Bestellungen). Und langsam war der Service auch, was mich vermuten ließ, dass ihnen die Fleischbälle einfach weggerollt sind. Aber unsere Rigatoni mit Shrimps waren sehr lecker, es wäre nur schön gewesen, sie mit den anderen zusammen zu essen. Mit vielen lustigen Anekdoten und langen Gesprächen endete schließlich unser erster Tag in New York.