Als der erste Covid-19-Impfstoff bereitstand, gab es in den USA vor allem zwei Gruppen, die ihm kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, die einen waren Konservative, zumeist weiße Trumpisten, die anderen Afro-Amerikaner. Letztere hegen ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Staat in Gesundheitsfragen, seit Anfang der Siebzigerjahre die skrupellose Tuskegee-Syphilis-Studie bekannt geworden war. In dieser wurde über einen Zeitraum von vierzig Jahren eine Gruppe armer, ungebildeter Schwarzer, die an Syphilis erkrankt waren, beobachtet, um den Verlauf der Krankheit zu dokumentieren. Vielfach wussten die Betroffenen nicht einmal, woran sie genau erkrankt waren, und selbst, als ein wirksames Medikament auf den Markt kam, wurde die Studie weitergeführt, ohne dass es zu einer Behandlung gekommen wäre.
Während es in Hollywood in den letzten Jahren zu einem größeren gesellschaftspolitischem Umdenken gekommen ist und zahlreiche kritische Filme und Serien entstanden sind, die sich mit dem amerikanischen Rassismus in Gegenwart und Vergangenheit auseinandersetzen, entstand gleichzeitig eine rechte Gegenbewegung, die zur Geschichtsklitterung aufruft. In Florida, seit Jahren Vorreiter in ultra-rechter Gesetzgebung, wurden unlängst vom Äquivalent unseres Kultusministeriums, dem Board of Education, neue Standards für das Unterrichten afro-amerikanischer Geschichte bekanntgegeben, die für einen Skandal gesorgt haben, weil sie die Sklaverei in einem recht schmeichelhaften Licht erscheinen lassen.
Vor diesem Hintergrund ist kürzlich bei Netflix ein Film erschienen, der einen absurden, aber nicht unkomischen Trailer hatte, dafür jedoch einen schwachen imdB-Wert. Letzterer ist häufig ein Hinweis auf die Qualität des Films, in vielen Fällen leider aber auch auf eine unkoordinierte Schmutzkampagne. Bei Arielle, die Meerjungfrau konnte man gut sehen, dass es eine große Menge Ein-Sterne-Votes gab, weil einige rassistische Zeitgenossen sich daran gestört haben, dass die Meerjungfrau nun schwarz ist. Umgekehrt haben rechte User dem QAnon-Thriller-Müll Sound of Freedom (bei den Rechten muss es ja immer um Freiheit gehen, nur nicht um die der Andersdenkenden) einen Spitzenwert verpasst, gegen den sogar Der Pate wie ein schlecht gemachtes B-Filmchen aussieht. Haters Gonna Hate. Willkommen im Kulturkampf!
They Cloned Tyrone
Fontaine (John Boyega) ist ein Drogendealer in The Glen, einer vorstädtischen, verarmten und weitgehend von Afro-Amerikanern bewohnten Gegend, der seine Schulden beim Zuhälter Slick Charles (Jamie Foxx) einsammeln will. Kaum hat er dessen Wohnung verlassen, wird er von einem Kontrahenten erschossen. Als Fontaine am nächsten Morgen erwacht, geht er wie üblich seinem Tagwerk nach, doch dann kreuzt er erneut bei Slick Charles auf, um seine Schulden einzutreiben, und erfährt, dass er eigentlich tot ist. Zusammen mit der Prostituierten Yo-Yo (Teyonah Parris) machen die drei sich daran, das Rätsel zu lösen, und stoßen schon bald auf eine geheime Organisation, die schwarze Menschen klont.
The Glen ist wie ein aus der Zeit gefallener Ort, eine Art Vorhölle, in der es für keinen einen Ausweg gibt. Selbst Yo-Yo, die gute Noten hatte und davon träumte, Investigativ-Journalistin zu werden, landete schließlich als Prostituierte auf der Straße. Die Leben der schwarzen Einwohner verlaufen immer nach demselben Muster, sogar die Lotterie enthält nichts als Nieten. Und dennoch träumen sie immer weiter von einer anderen, einer besseren Zukunft.
Das Rubbellos, das anpreist, dass angeblich jedes Los gewinnt, aber dann doch nur den Schriftzug: „Du hast verloren“ freigibt, ist das perfekte Bild für das Leben der Protagonisten. Regisseur Juel Taylor, der das Buch zusammen mit Tony Rettenmaier verfasste, orientiert sich bei der Inszenierung zudem an den Blaxploitation-Filmen der Siebziger, so dass man am Anfang tatsächlich nicht weiß, wann die Geschichte spielen soll. Auch die Berufe der Protagonisten sowie der Vintage-Look ihrer Kostüme passen perfekt dazu.
Einen Schlenker in das Science-Fiction-Dystopie-Genre macht der Film, als die drei ungleichen Anti-Helden schließlich auf eine groß angelegte, staatlich gelenkte Verschwörung stoßen. Bei den Schwarzen beliebte Produkte wie die frittierten Hähnchen einer Fast-Food-Kette, glättende Haarprodukte oder Traubensaft wurden solchermaßen modifiziert, dass sie die Konsumenten in eine leicht zu lenkende, gefügige Masse verwandeln, die vielleicht noch Missstände erkennt, aber kein Interesse hat, dagegen aufzubegehren. Und im Zweifelsfall gibt es immer noch bestimmte Musikstücke, die eine hypnotische Wirkung auf die Zuhörer haben. Dr. Mabuse lässt grüßen.
Man muss den Machern zugutehalten, dass sie einige clevere Ideen hatten, die afro-amerikanische Stereotype aufgreifen und satirisch verarbeiten. Auch die Message, die der Film verbreiten will, ist interessant und passt perfekt in unsere Zeit. Es gibt also eine Menge Dinge, die für diese Produktion sprechen.
Leider ist gut gemeint noch lange nicht gut gemacht. Insgesamt wirkt die Geschichte unausgegoren und vor allem gegen Ende schlecht durchdacht, wenn zuerst ein übermächtiger Gegner heraufbeschworen wird, der alle Trümpfe in der Hand hält und alles kontrolliert, aber dann plötzlich ganz leicht besiegt werden kann, weil er bequemerweise vergisst, seine Mittel einzusetzen.
Auch sonst gibt es etliche Mängel. Der Anfang zieht sich wie Kaugummi, weil der Regisseur ein möglichst authentisches Bild von The Glen zeichnen will, dabei aber vor allem bekannte Plotmuster und Stereotype wiederholt. Auch später kommt es zu einigen Längen, und sogar Langeweile kommt auf, weil die Figuren in eine Passivität verfallen, die der Tod jeder Handlung ist.
Mit drei Randfiguren als Protagonisten haben die Macher, wie gesagt, alles richtig gemacht, und die Darsteller agieren auch weitgehend gut. Jamie Foxx ist gut aufgelegt, quasselt aber wie immer ein bisschen zu viel, was auf Dauer nervt. Doch das Herz der Story ist Teyonah Parris, die als schwarze Nancy Drew so viel Spielfreude an den Tag legt, dass sie im Alleingang etliche Szenen rettet. Die Dialoge versprühen mitunter auch Humor, nur hätte es davon noch sehr viel mehr gebraucht, um den Unterhaltungswert signifikant zu steigern.
Perfekte Zutaten, schlechtes Rezept, könnte man sagen. Und wer sich gefragt haben sollte, wer eigentlich Tyrone ist, bekommt die Antwort nach der Schlussblende. Einige angehängte und viel zu lange Szenen deuten auf eine Fortsetzung hin, auf die die Macher hoffen, die aber kein Mensch braucht.
Note: 4+