Triangle of Sadness

Für einen Arthausfilm war Triangle of Sadness überaus erfolgreich, er wurde für drei Oscars nominiert (darunter bester Film und bestes Drehbuch) und mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Auch wenn mich der Trailer in seiner derben Überzeichnung nicht angesprochen hat, war ich neugierig, was den Zuschauern an dem Film wohl gefallen haben könnte. Zurzeit ist er bei Prime Video zu sehen, und irgendwie passt der Titel ja auch zu gegenwärtigen Sommerwetter.

Triangle of Sadness

Carl (Harris Dickinson) arbeitet als Model, bekommt aber kaum noch Jobs. Seine Freundin Yaya (Chalbri Dean Kriek) ist besser im Geschäft und inszeniert sich überdies als Influencerin, lässt sich von Carl aber dennoch immer wieder einladen. Das ärgert ihn, schließlich meint er, sie müssten die althergebrachten Rollenklischees doch inzwischen überwunden haben. Nach einem Streit verspricht Yaya, in Zukunft offener zu Carl zu sein.

Einige Zeit später bekommen die beiden eine Kreuzfahrt auf einer Luxusyacht geschenkt und treffen dort auf eine Riege reicher, exzentrischer Menschen und eine klare, rigide Gesellschaftsordnung. Ausgerechnet am Tag des Kapitänsdinners gerät das Schiff in einen Sturm und wird anschließend von Piraten versenkt. Wenige Überlebende retten sich auf eine Insel, wo nun die Putzfrau Abigail (Dolly de Leon) mit ihren Fertigkeiten zur Anführerin aufsteigt – und sich Carl als Lustknaben hält.

Der Film von Ruben Östlund, der auch das Drehbuch schrieb, zerfällt in drei Teile: Der erste handelt von Carl und Yaya, ihrem Streit und ihrer Versöhnung, der zweite spielt auf dem Boot, der dritte auf der Insel. Der Anfang suggeriert, dass es sich um die Geschichte des jungen, schönen Paars handelt, dessen Beziehung auf die Probe gestellt wird, weil nur sie in der harten Modewelt bestehen kann. Es ist die einzige Branche, in der Männer schlechter bezahlt werden, weshalb Carl wenigstens in seiner Beziehung um seine (finanzielle) Gleichberechtigung zu kämpfen scheint. Wenn das Patriachat hier schon auf den Kopf gestellt wird, sollten auch seine Regeln über Bord geworfen werden, die ohnehin nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen. Das ist insgesamt etwas zu lang und umständlich erzählt, aber nicht ohne Witz, und erinnert in den besten Momenten an Woody Allen.

Man sollte jedoch nicht erwarten, einen Film über Carl und Yaya zu bekommen. Die beiden führen uns noch in den zweiten Teil, indem wir ihnen an Bord der Luxusyacht wiederbegegnen, doch sie verschwinden mit der Zeit im Ensemble. Zu den Reichen gehören der osteuropäische Düngerfabrikant Dimitry (Zlatko Burić) und seine Frau Vera (Sunnyi Melles), die britischen Waffenhändler Clementine (Amanda Walker) und Winston (Oliver Ford Davies) sowie die seit einem Schlaganfall gelähmte Therese (Iris Berben). Unangenehm fallen dabei nur Vera und Dimitry auf, die zu laut sind und extravagante Wünsche äußern. So lässt Vera alle Angestellten zum Baden antreten, um ihnen etwas Gutes zu tun, ohne dabei zu merken, wie unangebracht und herablassend das ist.

Es ist aber auch ein Kreuz mit unserer westlichen, demokratischen Gesellschaft, die einerseits propagiert, dass alle Menschen gleich sind, deren Kapitalismus aber eine riesige Kluft zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen schafft. Waren in der (absolutistischen) Monarchie alle Rollen quasi gottgegeben und die Ordnung unverrückbar, sind nun Verschiebungen möglich, Menschen wie Dimitry können in die höchsten Kreise aufsteigen, selbst wenn (oder vielleicht auch gerade weil) sie, wie er selbst sagt, mit Scheiße handeln, oder sie können wie Yaya und Carl aufgrund ihres Äußeren als Zaungäste in sie eingeladen werden. Doch die Reichen haben ein schlechtes Gewissen, weshalb sie die nicht vorhandene Gleichheit betonen und sogar einfordern, ohne dabei zu merken, wie absurd ihre Forderungen sind. Ökonomische Unterschiede und Ungleichheiten sind, man sieht es bereits in den ersten Bildern von einer Modenshow, das alles beherrschende Thema.

Nach dem etwas abschweifenden und irreführenden ersten Teil gerät der Film in die sicheren Fahrwasser der deftigen Satire, die dicht an der Grenze zur Farce angesiedelt ist und sie bisweilen überschreiten. Die Reichen sind skurril, aber nicht so exzentrisch wie es vielleicht wünschenswert gewesen wäre, und über eine längere Strecke weiß man nicht, wohin die Reise überhaupt gehen soll. Es werden eine Menge neuer Figuren eingeführt, wobei Carl und Yaya immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden, ohne dass es interessantere Charaktere geben würde.

Schuld an der viel zu großen Distanz zu den Figuren ist in erster Linie die Inszenierung. Die Kamera ist über weite Strecken des Films so weit von den Menschen entfernt, dass man sie kaum unterscheiden kann und selten ein Gesicht zu sehen bekommt. Vielleicht wollte Östlund seine Geschichte wie eine klinische Studie anlegen, wie seine Figurenanordnung, die eher auf dem Papier interessant wirkt. Jedenfalls kommt man keiner einzigen Figur emotional wirklich nahe und verliert mit der Zeit jedes Interesse an ihr. Es werden auch keine Storys erzählt, sondern nur Anekdoten abgespult, die noch dazu oft mitten in der Handlung abbrechen oder wichtige Teile ausblenden.

Gelungen ist allein das Kapitänsdinner, das aufgrund des harten Seegangs im Chaos versinkt. Woody Harrelson gibt dabei den amerikanischen Kapitän, der ein verkappter Kommunist ist und sich mit dem kapitalistischen Osteuropäer Dimitry über die Vor- und Nachteile der beiden Systeme streitet, was sich allerdings nicht so recht in die übrige Thematik einfügen will.

Als Satire ist Triangle of Sadness von der eher robusten, derben Natur, wie leider so oft in letzter Zeit. Wo Parasite aber immerhin noch über eine exquisite, perfekt durchchoreografierte Inszenierung verfügt, die viele Drehbuchpatzer wettmachen kann und die zu marktschreierisch verkündete Botschaft abmildert, dreht Östlund bis zum Anschlag auf und überschwemmt den Film mit Fäkalien und Erbrochenem. Letzten Endes ist dieser Einfall Geschmackssache, ändert aber nichts daran, dass hier eher mit dem Brecheisen als mit dem Feinpinsel gearbeitet wird.

Der größte Bruch ereignet sich dann beim Übergang zum dritten Teil, der so unvermittelt beginnt, dass man sich fragt, ob man nicht eine Viertelstunde Film verschlafen hat. Leider lässt der Regisseur damit die wohl gelungenste Viertelstunde weg, denn die Ereignisse nach dem Sturm, die vielversprechend beginnen, werden komplett ausgeblendet.

Der dritte Teil ist nicht nur der schwächste des Films, sondern für sich genommen sogar ziemlich katastrophal. Anfangs rätselt man vor allem, was aus den übrigen Figuren geworden sein mag, was nur unzureichend beantwortet wird, dann fragt man sich, warum sich alle so unglaublich dämlich anstellen. Weil dies eine Gesellschaftssatire sein soll, werden die üblichen Versatzstücke aufgefahren, die man selbst als Laie benennen kann: Natürlich wird mit Abigail nun eine Putzfrau zur Anführerin, weil nur sie über die nötigen Fähigkeiten verfügt, das Überleben zu sichern. Das soziale Gefüge verändert sich, nicht mehr Geld oder Einfluss bringen einen nun an die Spitze, sondern Spezialfähigkeiten, und es entsteht eine neue Ordnung. Wer hätte das vorhersehen können? Manchmal hat man das Gefühl, die hochgelobten Autoren- und Arthausfilmer halten alle Zuschauer für minderbemittelt.

Östlund scheint an diesem Punkt überhaupt nicht mehr zu wissen, was er eigentlich erzählen soll. Die Story wandelt sich an einer Stelle ein wenig zu Der Herr der Fliegen, folgt insgesamt aber vor allem J.M. Barries Stück The Admirable Crichton, das für den gesamten Film als Blaupause gedient zu haben scheint. In ihm geht es um einen britischen Lord, der sich für das Klassensystem schämt, Brüderlichkeit und Gleichheit propagiert, damit bei seinen Bediensteten jedoch nur Unbehagen auslöst. Als er und seine Familie auf einer einsamen Insel stranden, ist es der handwerklich versierte Butler, der ihr Überleben sicherstellt und sich zum Anführer aufschwingt. Der Stoff wurde bereits mehrfach verfilmt, sehenswert ist vor allem die Version von Lewis Gilbert von 1957.

Vor allem im Ende unterscheiden sich die beiden Stoffe jedoch stark. Während in Gilberts Film die Schiffbrüchigen gerettet werden und sich die Rollen mit der Rückkehr in die Gesellschaft wieder umkehren, klammert sich Abigail an ihre Herrschaft. Das eigentliche Ende, das stellenweise wie ein schlechter Witz anmutet, bleibt jedoch offen und damit unbefriedigend.

Alles in allem ein unzureichend konzipierter, wenig durchdachter Film über gesellschaftliche Unterschiede, soziale Rollen und die Bedeutung von Macht und Geld, ein thematischer Mix, der nicht richtig aufgeht, mit einer Story, die ihre Figuren aus den Augen verliert und am Ende nicht mehr weiß, was eigentlich erzählt werden soll. Trotz einiger gelungener Szenen und amüsanter Momente überwiegt schlussendlich die Sadness.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.