Ursprünglich sollte dies ein Beitrag über The Many Saints of Newark werden, doch mit der Vorgeschichte zu Die Sopranos bin ich leider nicht warm geworden. Wenn man die Serie kennt, sollte man erwarten, dass ein Prequel erzählt, wie Tony zu dem Mann wurde, als den wir ihn kennengelernt haben, welche Menschen und Ereignisse ihn als Kind oder Teenager geprägt haben. Stattdessen geht es vor allem um seinen Onkel und auch um einige andere Verwandte, um diverse italienische und afroamerikanische Banden, aber um nichts Konkretes. Es findet zwar ein Vatermord statt, aus dem aber auch nichts resultiert. Nach einer Stunde weitgehenden Stillstands bin ich ausgestiegen. Wirklich schlecht war der Film nicht, er hatte nur nicht das Geringste zu erzählen, und die Figuren waren auch nicht so interessant, dass man ihnen gerne gefolgt wäre.
Als Alternative stand ein weiterer HBO-Film auf meiner Watchlist, über den ich zufällig gestolpert bin und der nur wenige Jahre vor The Many Saints of Newark spielt.
Der lange Weg
John F. Kennedy ist tot, und sein Vizepräsident Lyndon B. Johnson (Bryan Cranston) wird als sein Nachfolger vereidigt. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehört, den Civil Rights Act durch den Kongress zu bringen, ohne dass dieses Gesetz, das Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Hautfarbe, Religion oder Rasse verbietet, zu sehr verwässert wird. Dies gelingt ihm dank einiger politischer Winkelzüge auch, aber schon im folgenden Jahr muss Johnson sich der Wahl stellen und beweisen, dass er nicht nur ein Platzhalter ist, sondern tatsächlich das Zeug zum Präsidenten hat. Ihm weht jedoch ein starker Gegenwind aus seiner eigenen Partei entgegen, denn die Demokraten waren vor allem die Partei des weißen Mannes in den Südstaaten …
Kein Wunder, dass hierzulande kaum jemand von dem Film gehört hat, ist die Geschichte nicht gerade catchy oder spannungsgeladen. Zudem basiert das Drehbuch von Robert Schenkkan auf seinem eigenen Theaterstück, für das er einige Preise am Broadway gewonnen hat. Glücklicherweise wurden einige Anpassungen an das Medium Fernsehen vorgenommen, um die Story weg von den endlosen Gesprächen über Politik im Weißen Haus zu bekommen. Mal sieht man Johnson in seinem berühmten Amphibienfahrzeug, dann wiederum folgen, zum Teil authentische, Aufnahmen aus den Südstaaten, in denen Bürgerrechtskämpfer zusammengeschlagen und ermordet werden.
Dennoch ist es naturgemäß ein sehr dialoglastiger Film, der ungefähr dem ersten Jahr der Johnson-Präsidentschaft folgt und von einem Mann handelt, der seinen Wert beweisen muss, der immer noch im Schatten seines übermächtigen Vorgängers steht, zu dem er kein besonders gutes Verhältnis gehabt hat. Johnson ist in nahezu jeder Szene präsent und dominiert die gesamte Geschichte, und Bryan Cranston liefert eine überaus beeindruckende Performance ab.
Inhaltlich geht es vor allem um den Kampf für die Bürgerrechtsreform, zu der sich der Texaner Johnson aus tiefster Überzeugung bekennt und die er unter allen Umständen durchbringen will. Seine Pläne sind jedoch noch viel weitreichender und umfassen auch Bildungsreformen, eine Umgestaltung des Gesundheitssystems sowie den Kampf gegen Armut und Ungleichheit. Doch der soziale Reformer weiß auch um die Fallstricke Washingtons und um die Besonderheiten der amerikanischen Politik. Er muss Zugeständnisse machen, die dem Reformflügel und den Bürgerrechtlern wie Martin Luther King (Anthony Mackie) nicht gefallen. Am Ende muss Johnson sich entscheiden, ob er den Weg weitergehen will, auch wenn er dafür die gesamten Südstaaten gegen sich aufbringt und diese für seine Partei für mehrere Generationen verloren sind.
Was die Geschichte so faszinierend macht, sind die Auswirkungen auf die heutige Politik der USA, denn die Entscheidungen von Johnson prägen das Leben der Amerikaner bis zu diesem Tag. Man muss als Zuschauer jedoch höllisch aufpassen, sich die vielen Namen und Gesichter merken, und ein paar Vorkenntnisse über amerikanische Geschichte und die politischen Strukturen sind ebenfalls nicht verkehrt. Wenn man sich darauf einlässt, bekommt man ein packendes Polit-Drama geboten, das einem eindrucksvoll vor Augen führt, wie bestimmte Entscheidungen, nicht nur zu den Bürgerrechten, sondern etwa auch zum Vietnamkrieg, getroffen wurden. Nicht immer geht es dabei um moralische Prinzipien oder Überzeugungen, sondern meistens eher um Umfragewerte, Imagefragen oder parteiinterne Querelen. Kommt einem irgendwie bekannt vor, nicht wahr?
Cranstons Porträt von Johnson ist ungeheuer vielschichtig, man nimmt ihm den besorgten und empörten Südstaatler, der erkannt hat, dass der Status quo unmenschlich, ungerecht und vor allem unzeitgemäß ist und daher abgeschafft werden muss, ebenso ab wie den gewieften Machtpolitiker, der schon mal einen Unschuldigen oder einen Vertrauten über die Klinge springen lässt, um seine Wiederwahl nicht zu gefährden. Als Zuschauer kann man dabei durchaus die eine oder andere philosophische Lektion mitnehmen, etwa dass es unter Umständen sinnvoll sein kann, seine moralischen Grundsätze vorübergehend auszusetzen, um seine Macht zu erhalten, wenn man damit auf lange Sicht mehr Gutes für das Gemeinwesen leisten kann.
Note: 3+