Spione sind in der Unterhaltungsindustrie nie aus der Mode geraten. Man denke nur an James Bond, der seit Jahrzehnten in diversen Inkarnationen seine Abenteuer auf der großen Leinwand erlebt. Auch die Streamingdienste mischen mit im Agentenfilm-Genre und feiern immer wieder Erfolge, zuletzt beispielsweise mit der Wiederbelebung von Jack Ryan oder neuen Helden wie Tyler Rake oder Serien wie The Night Agent oder Citadel.
Gelegentlich werden aber auch non-fiktive Geschichten, gerne aus dem Kalten Krieg, aufbereitet, denn heißt es nicht, das Leben schreibe die besten Storys? Eine davon habe ich kürzlich gesehen.
Der Spion
Anfang der Sechzigerjahre stehen die USA und die UdSSR sich unversöhnlich gegenüber und haben ihr Atomarsenal so weit aufgestockt, dass sie die gesamte Welt mit in den Abgrund reißen könnten. Weil er Chruschtschow (Vladimir Chuprikov) für jähzornig, unberechenbar und gänzlich ungeeignet in seinem Amt hält, bietet sich der Geheimdienstoffizier Oleg Penkowski (Merab Ninidze) den Amerikanern als Informant an. Da die CIA-Agentin Emily Donovan (Rachel Brosnahan) keinen ihrer Landsleute mit der delikaten Aufgabe betrauen kann, Kontakt zu Penkowski aufzunehmen, bittet sie die britischen Kollegen um Hilfe. Diese rekrutieren den unbescholtenen Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch), der viele Geschäfte mit osteuropäischen Staaten macht, als Mittelsmann und schicken ihn nach Moskau.
Es ist eine unglaubliche, geradezu tollkühne Geschichte, die uns hier von Drehbuchautor Tim O’Connor und Regisseur Dominic Cooke aufgetischt wird: Ein biederer Geschäftsmann, der weder ein besonderes Talent zum Lügen hat (wie seine Frau Sheila (Jessie Buckley) bestätigen kann, denn sie hat eine frühere Affäre ihres Mannes auf Anhieb durchschaut) noch in besonders fitter Verfassung ist, wird auf gefährliche Mission nach Moskau geschickt. Tatsächlich ist sie in dieser Form auch nicht ganz wahr.
Der reale Greville Wynne arbeitete bereits während des Zweiten Weltkriegs für den britischen Geheimdienst und wurde später erneut rekrutiert, um verschiedene Agenten in der UdSSR zu steuern. Einer davon, sicherlich der wertvollste, war Penkowski. Das macht ihn zwar noch nicht gleich zu James Bond, doch ein reiner Amateur war er auch nicht.
Die bessere Geschichte ist jedoch die des Films, denn mit einem unbedarften Geschäftsmann, der ohne sein Zutun in eine wilde Spionagegeschichte verstrickt wird, kann man sich leichter identifizieren. Außerdem bietet sich die Möglichkeit, Wynnes Unerfahrenheit zu benutzen, um eine Situation entweder spannender oder witziger zu gestalten.
Leider nehmen Drehbuch und Regie die Story weitgehend sehr ernst. Den berühmten britischen Humor findet man allenfalls in homöopathischen Dosen, und weil Wynnes Tätigkeit sich vor allem auf das Schmuggeln und Transportieren von Dokumenten beschränkt (daher der Originaltitel The Courier), ist die Angelegenheit auch nicht sonderlich spannend oder abwechslungsreich.
Die guten Darsteller gleichen diese Defizite aber weitgehend aus. Man erfährt ein wenig über Penkowski und Wynne, die sich langsam miteinander anfreunden, und ihre Leben in zwei unterschiedlichen Systemen. Das alles ist nicht furchtbar aufregend, aber durchweg solide erzählt. Etwas Spannung bekommt der Film erst im letzten Drittel, wenn er eine Wendung nimmt, die hier nicht verraten werden soll, und von den Figuren so einiges abverlangt wird. Gleichzeitig eskaliert auch die Kuba-Krise, in der alle Befürchtungen Penkowskis wahr zu werden drohen.
Alles in allem ein durchweg solider Spionagefilme, der eher das alltägliche Kleinklein des Jobs beleuchtet und weniger die spektakulären Aktionen, die man sonst aus dem Kino gewohnt ist. Dafür gibt es ja die James Bonds und Ethan Hunts dieser Welt …
Note: 3-