1939 gilt als eines der größten Jahre Hollywoods, in dem zahlreiche Klassiker das Licht der Leinwand erblickten. Darunter Das zauberhafte Land (besser bekannt als: Der Zauberer von Oz) im August, aber auch Ninotschka, Die Frauen, Mr. Smith geht nach Washington, der Western Höllenfahrt nach Santa Fé (Stagecoach) oder Stürmische Höhen (Brontes Sturmhöhe) mit Laurence Olivier. Darüber hinaus noch meine persönlichen Favoriten Enthüllung um Mitternacht, Eine Dame verschwindet, Die kleine Prinzessin und Die Rückkehr des dünnen Mannes. Ein sehr gutes Jahr.
Schlusslicht Mitte Dezember war Vom Winde verweht, ein Film der Superlative, der ganz neue Maßstäbe gesetzt hat. Inflationsbereinigt ist er mit ca. 3,8 Milliarden Dollar immer noch der erfolgreichste Film aller Zeiten, er war zudem der erste Film in Technicolor und seinerzeit auch noch der längste Film bzw. der Film mit den meisten Oscars (zehn Preise von dreizehn Nominierungen).
Darüber hinaus ist er auch immer noch verdammt gut und wie geschaffen für die langen Dezembernächte.
Vom Winde verweht
Scarlett O’Hara (Vivien Leigh) ist eine große Südstaatenschönheit, der alle Männer zu Füßen liegen. Verliebt ist sie jedoch nur in Ashley Wilkes (Leslie Howard), der sie zwar begehrt, dann aber doch seine Cousine Melanie (Olivia de Havilland) heiratet, weil sie charakterlich besser zu ihm passt. Aus Rache vermählt sich Scarlett am Vorabend des Bürgerkriegs mit Melanies Bruder, der allerdings nur wenige Monate später fällt. In Atlanta trifft die lebenslustige junge Witwe Rhett Butler (Clark Gable) wieder, einen charismatischen, draufgängerischen Schmuggler, der ihr als einziger Kontra bieten kann. Die beiden lieben und hassen sich und kommen doch nicht voneinander los.
Nach dem Krieg unternimmt Scarlett alles, um sich und ihre Familie über Wasser zu halten und ihre geliebte Plantage Tara nicht zu verlieren. Sie lügt, betrügt und geht über Leichen. Rhett kreuzt dabei immer wieder ihre Wege, und eines Tages heiraten sie. Er liebt sie abgöttisch, doch sie ist vor allem hinter seinem Geld her, denn ihr Herz gehört immer noch Ashley. Erst spät merkt sie, wie viel Rhett ihr tatsächlich bedeutet, aber bis dahin haben sie mit ihren endlosen Auseinandersetzungen längst ihr Glück zerstört.
Margaret Mitchells Roman zählt mittlerweile ebenfalls zu den Klassikern der amerikanischen Literatur und war überaus erfolgreich. Ein dicker Wälzer, der sich aber auch heute noch erstaunlich gut lesen lässt und alles hat, was man sich von einem Historienroman verspricht. Und wer Buch und Film kennt, weiß, dass die Drehbuchautoren Sidney Howard und der legendäre Ben Hecht (zusammen mit John van Druten) gute Arbeit geleistet haben. Auch F. Scott Fitzgerald hat kurz am Buch mitgewirkt. Als Regisseur wird Victor Fleming genannt, aber vor ihm hatte George Cukor bereits einige Szenen gedreht, wurde aber von Produzent Selznick gefeuert. Als Fleming krank wurde, sprang zeitweise noch Sam Wood ein, der jedoch genauso wenig wie Cukor genannt wird. Wer mehr wissen will, dem sei die Wikipedia-Seite empfohlen.
Es ist gerade die Vielschichtigkeit der Geschichte, die ihren Reiz ausmacht. Zum einen wird ein tiefgründiges Frauenporträt gezeichnet, das die durchaus sympathische Heldin des Films nicht überhöht, sondern sehr realistisch abbildet. Scarlett ist eine Frau, die nie zufrieden ist und immer genau das will, was sie gerade nicht hat. Folgerichtig liebt sie auch den einzigen Mann, der sie nicht heiraten will. Ihr Gegenstück ist Melanie, wunderbar gespielt von Olivia de Havilland, die übrigens als einzige Hauptdarstellerin noch lebt und stramm auf die 100 zugeht. Melanie ist die personifizierte Güte und Bescheidenheit, das weibliche Ideal schlechthin und damit sterbenslangweilig, wäre de Havilland nicht so eine gute Schauspielerin, die andeutet, dass Melanie stets mehr zu wissen scheint als sie jemals zugeben würde.
Bei zwei so ausdrucksstarken Frauenfiguren (und dabei habe ich noch nicht mal Hattie McDaniel erwähnt, die für ihre großartige Rolle als Sklavin-Nanny als erste afroamerikanische Schauspielerin einen Oscar erhielt) spielen die Männer naturgemäß nur die zweite Geige. Clark Gables Rhett Butler steht den Damen jedoch in nichts nach, und jede Auseinandersetzung zwischen ihm und Vivian Leigh ist ein Vergnügen. Scarlett ist keine Frau, die leicht zu lieben ist, sie ist hochnäsig, gehässig, launisch, jähzornig, oft überhaupt nicht damenhaft – und gerade deshalb wahnsinnig interessant. Gerade die zweite Hälfte des Films ist vor allem das Psychogramm einer fatalen, leidenschaftlichen und verzweifelten Liebe, Rhett und Scarlett schenken sich nichts, sie lieben und hassen sich, sie zerfleischen und verletzen sich, bis am Ende nichts mehr bleibt als die Erinnerung an glücklichere Tage.
Obwohl die Liebesgeschichte am ehesten im Gedächtnis bleibt, ist es auch ein Film über die Frauen im amerikanischen Bürgerkrieg, die ihre eigenen Schlachten schlagen und Opfer bringen müssen, die als Krankenschwestern Verwundete pflegen, sich gegen Plünderer zur Wehr setzen oder später als „Karrierefrau“ eine Unerbittlichkeit an den Tag legen müssen, gegen die selbst viele Männer erblassen. Die große Politik findet im Kleinen statt, vom Krieg selbst sieht man nicht viel: das brennende Atlanta, eine geschlagene Armee, der Blick bleibt in erster Linie auf das Heim gerichtet, es ist die Perspektive der Frauen und Schwachen, der Verwundeten und Verzweifelten.
So ist vor allem die erste Hälfte von großer erzählerischer Wucht. Hier wird aus dem Vollen geschöpft mit pompösen Kulissen und aufwändigen Kamerafahrten und berauschenden Bildern. Zugegeben, in der zweiten Hälfte hat der Film dann einige kleinere Längen, er ist zudem nicht nur Drama, sondern teilweise auch Melodrama, dabei aber nicht übertrieben süßlich oder pathetisch. Zumindest gemessen an seiner Zeit. Heutige Augen sehen vieles sicherlich anders, aber mittlerweile wirken sogar Filme aus den Neunzigern erschreckend langsam…
Was ein wenig zu kurz kommt, ist der politische Aspekt. Die Sklaverei spielt nur am Rande eine Rolle, und vieles wird zudem – schließlich ist Mitchell selbst Südstaatlerin – geschönt. Es wäre naiv zu glauben, dass alle Sklaven so gut behandelt wurden, aber darum ging es der Autorin nicht. Sie schildert ein Frauenschicksal in schwierigen Zeiten; die Welt, in der Scarlett aufwächst, zerbricht vor ihren Augen, und die Gesellschaft, die so viel Wert auf gute Manieren, eine noble Abstammung und Schönheit legt, geht an ihrem Hochmut und ihrer Arroganz zugrunde. Es schwingt in der Geschichte eine Wehmut mit, die bis heute in den Südstaaten anhält, und vielleicht trägt das mit dazu bei, dass der Film auch heute noch so geliebt wird.
Note: 1