Der erste Teil erschien mitten in der Pandemie, und anscheinend war ich nicht der Einzige, der sich nach etwas Action während des Lockdowns gesehnt hat. Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich mich an nichts aus dem Film erinnern. Zero. Ich weiß, dass ich ihn gesehen habe, dass Chris Hemsworth die Titelrolle spielt und der Film ein solide gemachter Actioner war. Aber der Inhalt? Fehlanzeige.
Nun ist die Fortsetzung bei Netflix erschienen und macht genau dort weiter, wo der erste Teil aufgehört hat. Sie wiederholen sogar ein paar Bilder vom Finale, aber selbst jetzt klingelt es nicht bei mir. Die gute Nachricht ist: Man muss sich nicht an den ersten Teil erinnern.
Tyler Rake: Extraction 2
Tyler (Chris Hemsworth) hat nur knapp seinen letzten Auftrag überlebt, lag einige Monate im Koma und kommt nun mühsam auf die Beine. An einem winterlichen See in Österreich kuriert er gerade seine diversen Verletzungen aus, als ein geheimnisvoller Mann (Idris Elba) ihm einen neuen Auftrag vorschlägt: Ein georgischer Drogenboss sitzt im Gefängnis, und weil er fürchtet, dass seine Feinde Jagd auf seine Familie machen könnten, hat er seine Frau und die beiden Kinder mitgenommen. Tyler soll die drei befreien – gegen den Willen des inhaftierten Gangsters. Zuerst lehnt Tyler ab, doch der Auftrag kommt von seiner Ex-Frau, die er seit dem Tod ihres gemeinsamen Kindes nicht mehr gesehen hat, und bei der Ehefrau des Drogenbosses handelt es sich um ihre Schwester.
Harte Kerle haben ja meist einen weichen Kern. In Tyler Rakes Fall ist es der Krebstod seines Sohnes, den der Söldner nie wirklich verarbeitet und der zu einer vollständigen Entfremdung von seiner Frau geführt hat. Dass er sein Kind im Sterben im Stich gelassen hat und in den Krieg gezogen ist, kann Tyler sich nicht verzeihen. Der neue Auftrag ist daher so etwas wie eine Sühne für ihn: Sein eigenes Kind konnte er nicht retten, aber die Nichte und den Neffen seiner Ex-Frau schon.
Dieser persönliche Handlungsstrang, der durch diverse Rückblenden und dem Auftauchen seiner Ex-Frau am Ende am Leben gehalten wird, verbindet die Story tatsächlich am stärksten mit dem ersten Teil, in dem Tyler bereits um seinen Verlust getrauert hat. Dass dieser Aspekt nun zu einem Abschluss gebracht wird, ist eine gute Idee, wenngleich sie recht stereotyp umgesetzt wird. Doch man nimmt Chris Hemsworth auch diesmal die Trauer um seinen Sohn ab, und die Story handelt noch von einer weiteren problematischen Vater-Sohn-Beziehung, die tragisch endet.
Viele Handlungselemente kommen einem so vor, als hätte man sie schon mal gesehen. Aber was will man auch von einem Drehbuch erwarten, das wirkt, als hätte es eine KI geschrieben (tatsächlich war es Joe Russo)? Die Story ist so dünn wie ein magersüchtiges Model und so vorhersehbar wie der Wetterbericht im Oman. Während man sich noch fragt, warum Tyler ausgerechnet im kalten Österreich seine kaputten Knochen auskuriert, schneit bereits der Auftrag herein, und nach ein paar Tagen Holzhacken und Schlittenziehen ist der Mann schon fit genug, um ein Gefängnis zu stürmen. Actionfilmklischees.
Im ersten Teil hat es eine fulminante Actionszene gegeben, die rund zehn Minuten lang war und ohne Schnitt auskam, und Regisseur Sam Hargrave, der auch diesmal wieder inszeniert, wollte dies nun toppen. Herausgekommen ist eine beeindruckende und rund zwanzig Minuten lange Szene, die mit zum Besten gehört, was man in letzter Zeit gesehen hat. Natürlich wurde nicht wirklich in einer Einstellung gedreht, aber der Effekt verfehlt seine Wirkung dennoch nicht.
Leider findet dieser Höhepunkt bereits im ersten Drittel statt, gefolgt von einem ebenfalls sehenswerten, aber lange nicht so beeindruckenden zweiten Actionsegment, das in der Wiener Donau City spielt, und einem Finale, das dagegen nur abfallen kann. Diese Reihung ist untypisch, geradezu antiklimaktisch und nicht ganz unproblematisch. Vor allem bei einer sehr schwachen Geschichte, die den Mangel an Spannung nicht mit emotionaler Dramatik kompensieren kann.
Tyler Rake: Extraction 2 ist besser als der erste Teil, aber trotz einer sehr guten und einer guten Actionszene kein Meisterwerk des Genres. Für Netflix ist es allerdings durchaus ein Pfund, mit dem sie wuchern können, weshalb es nicht überrascht, dass man darüber nachdenkt, ein komplettes Extraction-Franchise aus dem Boden zu stampfen, in dem nicht nur Chris Hemsworth, sondern auch andere Figuren ihre eigenen Filme bekommen sollen. Das Ende des zweiten Teils deutet schon mal in diese Richtung.
Note: 3+