The Flash

Wir leben wahrlich in Parallelwelten: Marvels Cinematic Universe, DCs Extended Universe, das Meta-, Monster und Arrowverse sowie vermutlich einige andere, die ich vergessen habe. Das Multiversum ist quicklebendig und mischt gehörig das Kino auf. Vielleicht sogar zu häufig, denn langsam beginnen die Zahlen zu schwächeln, und ob The Flash die in ihn gesetzten Erwartungen des Studios erfüllen kann, wird sich zeigen. Die ersten Ergebnisse sind ernüchtern, und vermutlich war es auch keine gute Idee, ihn kurz nach dem thematisch verwandten Spider-Man: Across the Spider-Verse zu starten.

DC oder Marvel, das war schon immer eine Frage wie Coca Cola oder Pepsi, Tempo oder Softis, und im Bereich der Graphic Novels sind wohl beide Firmen gleichermaßen beliebt. Doch im Kino hat Marvel seit Jahren die Nase vor. Das war jedoch nicht immer so. DC war in den Neunzigern bereits mit den Batman-Filmen sehr gut aufgestellt, und Ende des Jahrzehnts planten Kevin Smith und Tim Burton ein Franchise, in dem sie die Abenteuer verschiedener DC-Helden erzählen wollten, beginnend mit Superman, gespielt von Nicolas Cage. Einen weiteren Versuch wagte man mit Green Latern, der jedoch ebenfalls zum Scheitern verurteilt war. Erst nach Marvels Erfolg gab es 2013 mit Man of Steel erneut grünes Licht für ein DC-Universum, das im Laufe der Zeit noch um weitere Charaktere wie Aquaman oder Wonder Woman erweitert wurde. 2016 tauchte dort zum ersten Mal Flash in der Gestalt von Ezra Miller auf. Gleichzeitig lief freilich noch die Fernsehserie The Flash mit Grant Gustin in der Titelrolle, die aber zum Arrowverse gehört. Und von The Joker und The Batman, die gar nicht zum DCU gehören, mal ganz zu schweigen. Wer sagt denn, dass DC es einem einfach machen will?

Ursprünglich sollte The Flash als Fortsetzung von Justice League bereits 2018 erscheinen, doch dann gab es, typisch Hollywood, kreative Differenzen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, wurden sage und schreibe vier Regisseure und eine nicht genauer benannte Anzahl von Drehbuchautoren während des Entstehungsprozesses verschließen. Und als der Film trotz der Pandemie endlich fertig gestellt war, gab es Probleme mit Ezra Miller, wodurch der Start auf diesen Sommer verschoben wurde.

Zum Glück ist es Miller gelungen, seit dem letzten Herbst keine weiteren negativen Schlagzeilen zu produzieren (oder im Gefängnis zu landen), so dass wir nun endlich den Film anschauen konnten. Inzwischen hat DC Studios jedoch mit James Gunn und Peter Safran zwei neue Chefs, die angeblich das DC-Universum wieder auf Null zurücksetzen wollen. Rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln. Typisch DC.

The Flash

Obwohl er Teil der Justice League ist, hat Flash alias Barry Allen (Ezra Miller) das unangenehme Gefühl, nur ein Superheld zweiter Klasse zu sein. Doch er kann seinem Freund Batman (Ben Affleck) beweisen, was in ihm steckt, als er eine Reihe Babys und andere Personen beim Einsturz eines Krankenhauses rettet. Nur zu gerne würde er auch seinem Vater Henry (Ron Livingston) helfen, der wegen des Mordes an Barrys Mutter Nora (Marivel Verdú) unschuldig im Gefängnis sitzt. Als Barry entdeckt, dass er so schnell ist, dass er durch die Zeit zurücklaufen kann, beschließt er, seine Mutter zu retten – und strandet auf diese Weise versehentlich in einer Welt, in der er selbst achtzehn Jahre alt ist und keine Metawesen existieren, dafür aber Supermans Gegenspieler General Zod (Michael Shannon) die Erde zerstören will.

The Flash ist ein alter Sack. Schon in den 1940er Jahren flitzte er als Jay Garrick im Merkur-Kostüm herum und taucht als solcher auch heute noch gelegentlich auf, etwa in der Fernsehserie mit Grant Gustin. 1956 wurde die Figur völlig neu gedacht, hieß nun Barry Allen und bekam ein verändertes Aussehen sowie teilweise andere, erweiterte Fähigkeiten wie das Vibrieren, durch das er durch Wände gehen kann. Auch das Multiversum ist ein alter Hut und fand erstmals 1961 Erwähnung, als Barry auf Jay traf. 2011 kam dann die Comicserie Flashpoint auf den Markt, in dem Barry Allens Versuch, das Leben seiner Mutter mittels einer Zeitreise zu retten, das gesamte DC-Universum neu gestartet hat. Klingt kompliziert? Ist es auch, vor allem wenn man wie ich keine Ahnung von den Comics hat.

Okay, zurück zum Film, der vielleicht, vielleicht auch nicht ebenfalls das DCU neu starten wird. Da ich mindestens drei Staffeln der Fernsehserie gesehen habe, in der ebenfalls, wenn auch nicht ausschließlich, Flashpoint verfilmt wurde, kam mir einiges aus der Geschichte bekannt vor. Der Versuch, seine Mutter vor dem Tod zu bewahren, führt zur Entstehung einer völlig neuen Welt, und zwar nicht ab dem Zeitpunkt von Barrys Eingreifen, sondern auch zuvor, weshalb Batman nun deutlich älter ist und von Michael Keaton gespielt wird (was den Film gewissermaßen auch zu einer Fortsetzung von Batmans Rückkehr von 1992 macht).

Streng genommen ist The Flash eine Zeitreisen-Geschichte, die sich dann unerklärlicherweise in eine Parallelwelt-Geschichte verwandelt. Muss man vermutlich nicht verstehen, ist auch nicht sonderlich logisch, da kann Bruce Wayne noch so viele Spaghetti für seinen Erklärungsversuch heranziehen. Die Story hat aber auch sehr viel von Zurück in die Zukunft, was selbst den Autoren Christina Hodson und Joby Harold nicht verborgen geblieben ist, weshalb der Film immer wieder Erwähnung findet (allerdings, Parallelwelt und so, mit Eric Stoltz in der Hauptrolle).

Es gibt viele solcher Gags oder Easter Eggs für Hollywood-Insider, inklusive einiger überraschender Cameos, die zum Glück nicht alle im Trailer verbraten wurden, aber leider nur eine nebensächliche Rolle spielen. Da hat Spider-Man: Far from Home deutlich mehr zu bieten. Insgesamt ist der Film jedoch nicht so düster wie man es von DC gewohnt ist, sondern wirkt überraschend leicht und sogar selbstironisch. Das ist auf jeden Fall ein Pluspunkt und macht den insgesamt viel zu langen Film erträglich.

Leider neigen die Autoren zur hemmungslosen Übertreibung. Wenn Barry anfangs zum einstürzenden Krankenhaus geschickt wird, reicht es nicht aus, ihn die aus großer Höhe stürzenden Babys retten zu lassen, die Gefahr muss noch weiter gesteigert werden durch diverse Gegenstände, die die Opfer zusätzlich bedrohen. Geradezu zwanghaft versuchen die Autoren auch in anderen Szenen, immer wieder noch eins draufzusetzen, bis alles schließlich ins Groteske kippt und der Film zu einer Parodie seiner selbst wird. Das ist durchaus unterhaltsam, wirkt aber auch ein wenig unbeholfen.

Der Anfang des mit zweieinhalb Stunden viel zu langen Films ist wenigstens flott und bildgewaltig erzählt, doch sobald Barry in der Parallelwelt strandet, verliert nicht nur der Held an Tempo. Es gibt einige starke Momente, zu denen Barrys Begegnung mit seinem spätpubertierenden alternativen Ich zählt, vor allem aber jene Szenen, die mit seinen Eltern zu tun haben. Schon sehr früh konstatiert Bruce Wayne, dass es letztlich die Narben sind, die ihre Persönlichkeiten ausmachen, aber Barry muss es erst selbst erleben, um es zu glauben. Wie er alles daransetzt, seine Mutter zu retten, wie er sie das erste Mal wiedersieht und schließlich lernt, seinen Kummer anzunehmen, ist großartig und emotional erzählt. Leider gehen diese Momente beinahe im Getöse unter.

The Flash will einfach zu viel. Barry muss endgültig erwachsen werden und die Trauer um seine Mutter verarbeiten, seinen Vater aus dem Gefängnis holen, sein jugendliches Alternativ-Ich zum Flash ausbilden, seine eigenen Kräfte zurückbekommen, um in seine Zeit und Welt zurückkehren zu können, eine neue Justice League gründen und nicht nur die Parallelwelt vor der Auslöschung durch General Zod bewahren, sondern gleich das gesamte Multiversum retten. Es ist erstaunlich, dass der Film nur zweieinhalb Stunden dauert.

Leider fällt die zweite Hälfte deutlich ab. Die Actionszenen sind zwar nicht so übertrieben, dafür aber einfallsloser inszeniert, die vielen Details, die den Anfang liebenswert gemacht haben, gehen ebenso weitgehend flöten wie der Humor, und durch die Zeitreisendynamik, die es erlaubt, traumatische Ereignisse ungeschehen zu machen, geht ein Stück weit auch die Emotionalität verloren.

Alles in allem ist The Flash ein sehr solider Superheldenfilm. Man kann lachen, verdrückt am Ende vielleicht ein Tränchen und verbringt eine Menge Zeit mit einem sympathischen Helden bei der Trauerbewältigung. Letzten Endes ist der Film aber eher Zurück in die Zukunft als Spider-Man: No Way Home. Was an sich ja nicht schlecht ist, wenn man nichts anderes erwartet.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.