Der Privatdetektiv als Held eines Kinofilms ist seit einiger Zeit aus der Mode geraten und war vor allem im Film Noir überaus beliebt. Wenn er überhaupt noch auftaucht, dann gerne in jugendlicher Form (man denke an Nancy Drew, Veronica Mars oder Rian Johnsons Debüt Brick), gelegentlich in Parodien wie Knives Out oder historischen Filmen, die in den Dreißigern oder Vierzigern spielen.
Der berühmtest moderne Film Noir ist vermutlich Roman Polanskis Chinatown, und er scheint auch heute noch vielen als Blaupause zu dienen. Korrupte Cops, mordende Megalomanen und tragische Liebesgeschichten sind dabei unverzichtbar, und die Geschichten werden vorzugsweise in den amerikanischen Molochen Los Angeles oder New York angesiedelt. Fast immer haben sie mit Stadtplanung oder der Ausbeutung von Ressourcen zu tun, wie in Goliath oder Penny Dreadful: City of Angels.
Vor vier Jahren versuchte Edward Norton, den Film Noir wiederaufleben zu lassen, indem er sich an ein beinahe klassisches Detektiv-Abenteuer heranwagte. Der Trailer hat mich damals nicht ganz überzeugen können, an den Kassen war der Film vermutlich auch deshalb ein Flop, aber manchmal hat man ja Lust auf einen etwas altmodischen Krimi.
Motherless Brooklyn
Privatdetektiv Frank Minna (Bruce Willis) bittet zwei seiner Mitarbeiter, ihn zu einem geheimnisvollen Treffen zu begleiten. Obwohl Lionel (Edward Norton) und Gilbert (Ethan Suplee) ihn so gut es geht im Auge behalten, können sie nicht verhindern, dass Minna getötet wird. Lionel, der von den vier Angestellten der cleverste ist, aber unter der Beeinträchtigung durch das Tourette-Syndrom leidet, schwört, Minnas Mörder zur Strecke zu bringen. Seine Nachforschungen führen ihn zum Stadtentwickler Moses Randolph (Alec Baldwin) und der jungen Laura (Gugu Mbatha-Raw), die gemeinsam mit einer Aktivistin (Cherry Jones) gegen Randolphs radikale und umstrittene Pläne kämpft.
Der Film basiert auf einem erfolgreichen Roman von Jonathan Lethem, dessen Handlung allerdings in die frühe Fünfzigerjahre versetzt wurde. Damit gelingt es Edward Norton, der nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch verfasst hat, dem Film die Atmosphäre eines Film Noirs zu verleihen. Vor allem zu Beginn ist ihm dies überaus gut gelungen, und man folgt Lionel gerne in das Herz einer Kabale, die einige Parallelen zu Chinatown (sic) aufweist. Ging es in dem Klassiker um Wasser in Los Angeles, dreht sich hier alles um die Stadtentwicklung von New York.
Randolph ist von Anfang an klar als der Bösewicht im Hintergrund auszumachen, der – obwohl nicht gewählt, sondern als Commissioner nur vom Bürgermeister ernannt – die geheime Macht der Stadt ist. Auf sein Geheiß hin und dank einiger schmutziger Tricks, die noch immer bei der Gentrifizierung angewandt werden, werden Viertel zu Slums erklärt, um dann abgerissen zu werden. Die vertriebene Bevölkerung hat zwar Anspruch auf neue Sozialbauten, nur bekommt sie diese nicht. Um seine Beliebtheit zu steigern, lässt Randolph auch viele Parks und Strände bauen. Dumm nur: Von den positiven Errungenschaften profitieren allein die Weißen, während alle Unannehmlichkeiten zu Lasten farbiger Minderheiten gehen.
Mit diesem latenten Rassenkrieg schlägt der Film elegant einen Bogen zur Gegenwart, die sich noch immer mit denselben Fragen und Problemen herumschlägt. Aber dieses Thema und dieser Konflikt schwelt nur im Hintergrund. Die eigentliche Frage, die sich Lionel stellt und die zum Motor seiner Ermittlungen wird, lautet: Warum musste Minna sterben? Die Backstory, die im Roman vermutlich einen größeren Raum einnimmt, wird hier nur angerissen und im Dialog erwähnt. Sie handelt von Lionel, der als Waisenkind aufwuchs und von Minna unter seine Fittiche genommen wurde. Somit ist Lionel das Herz der Geschichte, durch seine Tourette-Erkrankung bekommt die Figur etwas Unverwechselbares, und Edward Norton liefert hier wieder einmal eine großartige Performance ab.
So gelungen die Atmosphäre ist, die darstellerischen Leistungen des gesamten Ensembles, zu dem noch Willem Dafoe, Fisher Stevens, Leslie Mann und Bobby Cannavale gehören, geht der Geschichte nach dem spannenden Anfang langsam die Luft aus. Da man von vornherein weiß, wer die Bösen in der Story sind, stellt sich nur die Frage nach dem genauen Motiv und dem MacGuffin, dem Lionel im Wettstreit mit seinen Widersachern nachjagt. Leider schlägt die Geschichte hier so viele Haken, dass man am Ende nicht mehr so genau weiß, wer eigentlich was wollte. Problematisch ist hier vor allem die Rolle von Paul (Dafoe), dessen Motive bis zum Schluss unklar bleiben. Auch die Auflösung kann mit dem großen Vorbild Chinatown keine Sekunde lang mithalten.
Wer altmodische Thriller oder Detektivgeschichten mag, kommt hier sicherlich auf seine Kosten. Jazz-Fans auch, angesichts des Soundtracks und der Szenen in einem entsprechenden Club. Man sollte jedoch etwas Geduld mitbringen, denn der Film ist lang (zu lang) und leider nicht sehr flott erzählt.
Note: 3